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Allgemeine Schreibtipps Ein sehr guter Text

3 Bücher über das Schreiben, die du lesen musst

Schreibratgeber gibt es wie Sand am Meer. Manche sind gut, andere zweitklassig. Dann gibt es noch die wahren Goldgruben. In diesem Artikel will ich dir daher drei der wertvollsten und außergewöhnlichsten Texte bzw. Bücher über das Schreiben vorstellen, die es meiner Meinung nach gibt. Und die dir hoffentlich nicht alle bekannt sind.

1. Robert McKee: Story

Okay, als erstes ein Klassiker, den jeder kennt (oder kennen sollte). Ich würde es hier nicht aufführen, hielte ich dieses Buch nicht für eine essenzielle Lektüre für jeden Autor (egal ob Drehbuchautor, für die das Buch explizit verfasst wurde, Epiker, Kurzgeschichten-Spezialist oder Kinderbuchautor). Nirgendwo sonst wirst du mehr über Storytelling lernen.

McKee beginnt mit einem Plädoyer für Plot und die Kunst des Storytellings, das an sich schon lesenswert ist und die jahrtausendealte Kunst gegen hochgezogene Augenbrauen verteidigt, die hinter einem gut durchdachten Plot stets Kommerz und bloßes Entertainment wittern. Darauf folgt die wohl beste Einführung in die Begrifflichkeiten des Storytellings, die es zu lesen gibt.

Anschließend diskutiert McKee die Beziehung zwischen der Struktur einer Geschichte und ihrem Genre, dem Setting, den Figuren und ihrer Bedeutung. Wie auch ich immer predige: Alles beeinflusst sich gegenseiting und hängt miteinander zusammen (zumindest sollte das so sein).

Erst danach befasst McKee sich mit dem eigentlichen Aufbau von Geschichten, also mit den Plot Points, dem Inciting Incident, dem Klimax und dergleichen. Im Zuge dessen erläutert er auch die Anatomie einer Szene selbst und die Kunst des Zusammensetzens mehrerer Szenen, also die Komposition einer Story aus ihren Teilen.

Im letzten Teil von Story (deutsche Übersetzung verfügbar, empfehle aber das Original) spricht McKee über die großen und kleineren Probleme des Schreibens einer Geschichte: eine gelungene Exposition, den Antagonisten, das Interesse des Zuschauers bzw. Lesers.

Heraus kommt eine tiefschürfende Analyse der Techniken und Strukturen des Storytellings anhand schillernder Beispiele, weshalb Story für mich eines der ganz großen Bücher über das Geschichtenerzählen ist.

2. 36 Writing Essays by Chuck Palahniuk

Fight Club haben die meisten wohl gesehen, einige vielleicht sogar gelesen. Der Autor des Romans, Chuck Palahniuk, hat aber nicht nur grandiose Geschichten geschrieben (bei einer öffentlichen Lesung seiner Texte sollen 40 Menschen in Ohnmacht gefallen sein), sondern auch 36 Essays über die Kunst des Schreibens (wer googlet, findet auch ein praktisches PDF, keine Übersetzung verfügbar).

Darin schreibt er über so unterschiedliche Themen wie das laute Lesen und die Kunst der kleinen Pausen in Dialogen, bevor er schließlich die erste Version einer Kurzgeschichte präsentiert, in ihrer vorläufigen, schlechen Form, von allerlei Notizen unterbrochen, und den Leser so in die Schreibwerkstatt mitnimmt.

Am Ende der meisten Essays findet sich eine Hausaufgabe für den Leser, die jedem angehenden Autor wärmstens zu empfehlen sind.

Das Besondere an diesen Essays (neben den direkten Einblicken in das Schreibhirn eines lebenden Schriftstellers) sind Palahniuks Reminiszensen an das eigene Erlernen des Handwerks. Immer wieder streut er Anekdoten über seine eigenen Lehrer ein, über seine Fehlschläge und die Diskussionen in den Schreibworkshops. Durch dieses reflexive Moment entsteht ein didaktisch hochwirksamer Ratgeber.

Hinzu kommt Palahniuks unerreicht klare und aufs Nötigste reduzierte Schreibe, die die Essays unheimlich dicht und dynamisch macht. Die besten 160 Seiten über das Schreiben, die ich kenne.

3. Weathers & Winchester: Copy and Compose

Jedenfalls fast. Denn was Winston Weathers und Otis Winchester 1969 in ihrem Buch Copy and Compose zusammengetragen haben, ist nicht von dieser Welt.

Auf ebenfalls knapp 160 Seiten präsentieren sie 27 grundlegende Satztypen, 37 stilistische Satztypen, 18 grundlegende Absatztypen sowie 10 stilistische Absatztypen. Klingt unheimlich technisch und öde. Aber die Analysen und gewählten Beispiele sind derart präzise und voller Bewunderung für die Schreibkunst, dass es jedem Autor die Sprache verschlägt.

Das Prinzip des Buchs lautet, zunächst herausragende Beispiele für einen bestimmten Typ zu präsentieren, ihre Funktionsweise zu erläutern und dann den Leser dazu aufzufordern, den Beispielsatz abzuschreiben (copy), ehe er einen eigenen, der Form nach identischen Satz formulieren soll (compose).

Es geht also zurück auf die Schulbank. Dort erwartet dich aber kein gelbes Reclamheftchen samt Lektüreschlüssel. Copy and Compose wird dein Denken über Sätze und Absätze revolutionieren.

Also mach dich bereit, „The Repetition Sentence (with the Keyword repeated“ kennenzulernen und bald schon deinen eigenen zu entwerfen. Dabei geht es natürlich nicht darum, die Namen der Sätze und Absätze zu lernen wie Vokabeln. Es geht darum, sich des Repertoires bewusst zu werden, das Sprache und Grammatik jedem von uns bereitstellen. Das macht es zu einem der wichtigsten Bücher über das Schreiben.

Da keine deutsche Übersetzung verfügbar ist, sind gute Englischkenntnisse erforderlich. Insbesondere, um die Beispielsätze zu übersetzen und trotz gelegentlicher Probleme bei der Übertragung eigene Varianten entwickeln zu können.

Das Buch ist leider vergriffen, aber es soll digitale Kopien auf Google zu finden geben (PDF).

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Allgemeine Schreibtipps Ein sehr guter Text Prosa

Figurenentwicklung: Alle Figuren müssen etwas riskieren

Figuren verfolgen Ziele. Luke Skywalker will den Todesstern zerstören, Will Smith will die Welt retten, Sigourney Weaver will dem Alien entkommen. Aber ein Ziel allein macht noch keinen Plot. Wäre der Todesstern unbewacht und unbewaffnet, würde Luke einfach hinfliegen, seine Raketen abfeuern und niemand hätte uns je davon erzählt. Für eine gelungene Figurenentwicklung ist es daher unerlässlich, das Verfolgen des Ziels mit einem Risiko aufzuladen. Luke droht im Kampf um den Todesstern der Tod und damit das Scheitern der Rebellion – gleichbedeutend mit ewiger imperialischer Tyrannei. Versagt Luke, lässt er seine Freunde im Stich, die auf ihn und die Macht zählen. Sigourney Weaver hat es da einfacher: Sie riskiert bloß ihr Leben, ganz genregetreu.

Die große Kunst der Figurenentwicklung ist es jedoch, sich dabei nicht nur auf den Protagonisten zu konzentrieren. Für jede deiner Figuren sollte etwas auf dem Spiel stehen. Auch für die Bösen unter ihnen. Sie alle müssen ihre Haut zu Markte tragen.

Ein formvollendetes Beispiel für diesen Teil der Figurenentwicklung liefert das 2016 mit dem Oscar für den besten Film ausgezeichnete Journalistendrama Spotlight (leichte Spoiler im weiteren Verlauf).

Die investigative Abteilung des Boston Globe besteht aus vier Journalisten: Michael Keaton als deren Chef, Mark Ruffalo als ehrgeiziger Schreiberling, Rachel McAdams als einfühlsame Reporterin und Brian d’Arcy James als Mann für die Recherche. Alle vier Figuren verfolgen dasselbe Ziel. Sie wollen den Missbrauchskandal aufdecken, der die katholischen Priester in Boston zu betreffen scheint. Und alle vier Figuren nehmen dabei ganz persönliche Risiken in Kauf.

Persönliches Risiko > Allgemeines Risiko

Keatons Figur muss sich von alten Freunden abwenden und wird als Verantwortlicher seitens der Kirche unter Druck gesetzt. Ruffalos Charakter stammt selbst aus dem Milieu, in dem die Priester auf Beutefang gingen und riskiert die eigene Integrität. McAdams Figur hat den von ihr aufgespürten Opfern versprochen, die Wahrheit ans Licht zu bringen. Und d’Arcy James Figur wohnt mit seinen Kindern gegenüber einem Haus für auffällig gewordene Priester. Über allen schwebt zudem der drohende Jobverlust. Die Verleger haben einen neuen Herausgeber eingesetzt, der alles auf den Prüfstand stellen soll. Auch den Luxus, sich eine eigene Investigativ-Abteilung zu leisten.

Die Figurenentwicklung in Spotlight ist sogar so formvollendet, dass eben jener neue Herausgeber (Liev Schreiber) als einziger Charakter kein Risiko trägt. Er stammt nicht aus Boston, ist ohnehin gut situiert und zudem Jude. Oder birgt gerade das ein Risiko für ihn?

Nimmt man den Figuren ihre persönlichen Einsätze, erhält man austauschbare Schablonen, die einfach gewinnen wollen, der guten Sache wegen. Aber das reicht nicht, um den Leser zu fesseln. Erst durch den Kniff, alle Figuren mit hohen Einsätzen spielen zu lassen, steht auch in jeder Szene etwas auf dem Spiel. Ruffalo kommt nicht an die geheimen Unterlagen – aber er darf seine Leute nicht im Stich lassen. McAdams muss die Recherchen einstellen – hat aber doch den traumatisierten Opfern ihr Wort gegeben. D’arcy James muss Stillschweigen bewahren – aber in seiner Nachbarschaft leben pädophile Priester.

Auch wissenschaftliche Arbeiten kennen Risiko

In nicht-fiktiven Texten haben wir es zwar selten mit ausgedachten Figuren zu tun, aber selbst hier hilft es, die Risiken der Beteiligten (die Protagonisten eines Artikels, einer Debatte, historische Persönlichkeiten) zu verdeutlichen. Deine Arbeit über Immanuel Kants Kritik der reinen Vernunft kann einfach dessen Ziel darstellen (Was können wir wissen?) und wird damit dem Forschungsinteresse genügen. Wenn es dir aber gelingt, einzufangen, was dabei auf dem Spiel steht (Kann es überhaupt Metaphysik geben? Hat David Hume etwa Recht mit seinem Skeptizismus? Lassen sich Empirismus und Rationalismus miteinander versöhnen?), wird auch der Leser Interesse zeigen. Oft bietet das einen Ansatzpunkt für einen grandiosen ersten Satz deiner Arbeit. Zudem schult es dein kritisches Denken, dir die Frage nach den persönlichen Einsätzen der Beteiligten zu stellen.

Robert McKee verwendet diesen Trick in der Einleitung zu seinem Klassiker Story über das Drehbuschreiben. Er beendet den Abschnitt mit der Erläuterung seiner Motivation, dieses Buch zu schreiben: Sein unstillbarer Hunger nach großartigen Filmen. Wenn es ihm gelingt, sein Wissen an seine Leser zu vermitteln und seine Leser daraus die richtigen Lehren ziehen, wird es weiterhin einzigartige Filme geben. McKee ist also auf einer Mission – und wir als seine Leser sind zu seinen Komplizen geworden. Und etwas steht auf dem Spiel: Wohl und Wehe des Kinos. Spannend.

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Allgemeine Schreibtipps Ein sehr guter Text

Starke Verben braucht dein Text!

Starke Verben sind Verben, die im Deutschen den Stammvokal wechseln, wenn man sie konjugiert: ich trinke, ich trank. Haben die Gebrüder Grimm so festgelegt.

Aber natürlich geht es in diesem Essay nicht um Grammatik. Starke Verben, etwas umgangssprachlicher ausgedrückt und auf die Literatur und Stilistik bezogen, sind Verben, die knallen. Davon brauchen wir viele in unseren Texten. Jedenfalls an den richtigen Stellen.

1. Starke Verben sind präzise

Chuck Palahniuk, unter anderem Autor des Romans Fight Club, schildert in einem Essay über die Kunst des Schreibens eine Episode seiner Kindheit.

Beispiel 1

„Dann sprang ich vom Nähstuhl.
Und dort, fallengelassen, vergessen, senkrecht aus dem Teppich herausragend, stand eine Nadel. Eine dicke, silberscharf, so lang wie dein kleiner Finger.“

(eigene Übersetzung)

Die ganze Kraft dieser zwei kurzen Absätze fließt aus dem einen starken Verb, mit dem die Handlung in Gang gesetzt wird: „sprang“. Ersetzt man dieses Verb etwa durch „stand ich auf“ oder „erhob ich mich“ verliert die Episode jeden Reiz. Jemand steht auf, da ist eine Nadel, okay. Aber wenn er springt und da eine Nadel aus dem Teppich ragt – unsere Füße krümmen sich beim Lesen.

Nun ist „springen“ kein außergewöhnliches Wort. Aber es ist wunderbar präzise. Und genau diese Präzision ist es, der die Magie starker Verben, nun… entspringt.

2. Hüte dich vor den Adjektiven

Palahniuk hat mit seiner Wahl zudem eine zweite Falle umschifft. Anstatt ein starkes Verb zu verwenden, hätte er ein schwaches Verb mit einem Adjektiv oder Adverb ausschmücken können:

„Dann stand ich abrupt vom Stuhl auf.“

(fiktives Beispiel)

Aber diese Mischung aus schwachem Verb und Adjektiv lässt im Kopf des Lesers kein Bild entstehen. Abrupt aufstehen. Langsam laufen. Schnell gehen – was soll das alles sein? Hingegen: springen, schleichen, sprinten – sofort weiß der Leser, was gemeint ist. Sein Vorstellungsvermögen muss nicht erst zwei separate Dinge miteinander verknüpfen, die Handlung und die Art und Weise der Handlung, sondern kann direkt das Gelesene verarbeiten. Stell dir vor, dein Trainer ruft von der Seitenlinie: „Beweg‘ deinen Fuß schnell in Richtung Ball!“. Ich schätze, du verlierst den Ball, bevor du seiner Anweisung Folge leisten kannst. Wenn er ein guter Trainer ist und du eine gute Autorin, dann sagt ihr beide: „Schieß!“.

Umgekehrt hat ein starkes Verb ein begleitendes Adjektiv überhaupt nicht nötig:

„Dann sprang ich abrupt vom Nähstuhl.“

vs.

„Dann sprang ich vom Nähstuhl.“

Die erste Version fügt dem Bild nichts hinzu, sie verwässert nur, bremst, hindert.

3. Starke Verben zwingen dich, etwas zu zeigen

Mitunter kann der hohe Anspruch, sich als Autor auf die Magie starker Verben zu berufen, dazu führen, aus kurzen, abstrakten, schnell geschriebenen Sätzen ganze Absätze zu formen. Das ist Arbeit, hebt den Text aber auf ein anderes Niveau. Betrachten wir ein delikates Beispiel, das sich wunderbar zu Demonstrationszwecken eignet.

Beispiel 2

„Sie hatte einen langen, ekstatischen Orgasmus“.

(fiktives Beispiel)
Starke Verben

Ich habe zwei Adjektive verwendet, in der Hoffnung, dem Orgasmus so irgendwie Tiefgang, Bedeutung und Detail zu verleihen. Aber das schlägt fehl. „Sie hatte einen Orgasmus“ ist zu abstrakt, zu Allerwelt, zu sehr Aussage anstatt Bild. Die Schwäche des Verbs kann auch durch fünf Adjektive nicht überwunden werden. Versuchen wir es anders:

„Ihre Hüfte schoss nach vorn. Die Hände packten das Laken und ließen es nicht mehr los.“

(fiktives Beispiel)

Das ist keine Meisterleistung. Aber hier passiert etwas. Es entstehen Bilder im Kopf des Leser, etwas schießt nach vorn, etwas wird gepackt, nicht mehr losgelassen. Dagegen kommt „einen Orgasmus haben“ nicht an. Der aufmerksame Leser wird bemerkt haben: Starke Verben zwingen uns dazu, den alten Leitspruch „show, don’t tell“ zu beherzigen. „Sie hatte einen Orgasmus“ wird immer eine Aussage bleiben, weil das Verb, dass hier benutzt wird, nicht anders kann: Die Magie des Erzählens fehlt. Ein weiteres Beispiel:

Beispiel 3

„Ich hob meine Arme, nahm seine Kehle und hielt sie fest.“

(fiktives Beispiel)

Das geht besser:

„Meine Arme schossen nach vorn, ich packte seine Kehle und ließ sie nicht mehr los.“

(fiktives Beispiel)

Dieselben Verben wie im obigen Beispiel – und eine ähnliche Wirkung, in einem ganz anderen Kontext. Das zeigt, wie magisch starke Verben wirken, solange sie bloß schwache Verben ersetzen. Weit von einem Meisterwerk entfernt, sorgen sie auch hier für Bilder, Anschaulichkeit und unmittelbares Lesen.

4. Auch wissenschaftliche Texte profitieren

Auch non-fiktionale Texte profitieren vom Einsatz starker Verben. Wissenschaftliche Arbeiten etwa sind ohnehin um Präzision bemüht. Hier können schwache Verben zu Missverständnissen führen oder Formulierungen unnötig verkomplizieren. Deshalb werden sie in einem wissenschaftlichen Lektorat von mir ersetzt.

Beispiel 4

„Es ist wichtig, dass die Prüfung der Anlage mit höchster Präzision vorgenommen wird, um keinen Garantiefall zu haben.“

(fiktives Beispiel)

Unschön, umständlich, leblos. Das muss nicht sein:

„Die Anlage muss präzise geprüft werden, um einen Garantiefall zu verhindern.“

(fiktives Beispiel)

Das unschöne „Es ist wichtig“ am Satzanfang, wurde durch ein simples aber präzises „muss“ ersetzt. Einen Garantiefall kann man zwar „haben“, aber hier geht es doch eher darum, ihn zu „verhindern“. Außerdem ist es nicht nötig, „eine Prüfung vorzunehmen“, wenn man auch einfach „prüfen“ kann.

Aus 18 Wörtern und zwei Kommata sind 11 und ein Komma geworden – die starken Verben übernehmen also die Arbeit, die wir vorher einem Heer von Gehilfen aufgehalst haben. Und legen so frei, worum es eigentlich geht. Mach dir das bei deiner Bachelor- oder Masterarbeit zu nutze.

5. Die Substantivwüste

Ein insbesondere in wissenschaftlichen Arbeiten beliebtes Phänomen ist die sogenannte Substantivwüste. Sie beruht auf einer ausgeprägten Abneigung des Autors gegen starke Verben und präsentiert sich folgendermaßen.

Beispiel 5

Die Sicherstellung des Betriebsablaufs über den Jahreswechsel hinaus ist laut Bekanntmachung der Geschäftsführung sakrosankt.

(fiktives Beispiel)

5 Substantive zwingen den Leser zur erweiterten Hirnakrobatik, da der Inhalt nicht unmittelbar erschlossen werden kann. Er springt von Subtantivhochhaus zu Substantivhochhaus. Dazwischen: der staubtrockene Abgrund. Versuchen wir es anders:

Wie die Geschäftsführung bekannt gab, ist die Sicherstellung des Betriebsablaufs über den Jahreswechsel hinaus zu priorisieren.

(fiktives Beispiel)

Wir sind zwar nur ein Substantiv losgeworden, konnten den Satz aber in zwei leicht verdauliche Teile trennen, die jeweils von einem starken Verb geprägt sind. Die Geschäftsführung gab etwas bekannt. Nämlich, dass X zu priorisieren ist. Im Zuge dessen sind wir auch noch ein seltsames Adjektiv losgeworden: aus „ist sakrosankt“ wurde „priorisieren“.

6. Einige Alternativen

Am häufigsten sind die Verben „machen“, „haben“, „tun“ & „sein“ für schwache Formulierungen verantwortlich. Ständig wirst du aufgrund ihres Auftretens über Gelegenheiten stolpern, mit starken Verben Präzision und Bildhaftigkeit herzustellen. Machst du dein Mittagessen? Nein, du kochst es, grillst es, kredenzt es etc. Hast du einen Haufen Geld? Nein, du schwimmst darin, ertrinkst darin, scheißt es. Tust du deshalb nichts für die Familie? Nein, du lümmelst, schmarotzt, verweigerst dich. Bist du Alkoholiker? Nein, du säufst, schluckst wie ein gieriges Vögelchen, gießt dir den Schnaps in die Kehle.

Doch auch Verben wie „nehmen“, „gehen“, „sehen“ oder „essen“ können je nach Kontext zu schwach sein, um als beste Wahl durchzugehen, wie die folgende Grafik zeigt:

Starke Verben und schwache Verben

Dennoch bleibt natürlich zu sagen: Manchmal haben schwache Verben ihre Berechtigung. Manchmal wollen wir keine Bilder erzeugen und erst recht keine Präzision. Etwa weil die Figur unter Schock steht. Oder wir den tristen Alltag einer Kleinstadt beschreiben. Und auch Adjektive haben ihren Platz in unseren Texten wie in den großen Klassikern. Aber wie immer gilt: Wer nicht um die Wirkung weiß, kann sie nicht beabsichtigen.

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Allgemeine Schreibtipps Ein sehr guter Text

Der erste Satz deines Textes ist der wichtigste

„Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt.“

Franz Kafka, Die Verwandlung

Mit diesem Satz beginnt Franz Kafka seine legendäre Erzählung Die Verwandlung. Beim Leser bewirkt dieser erste Satz vor allem eines: Er will weiterlesen.

Idealerweise sollte zwar jeder Satz deines Texts den Leser dazu motivieren, weiterzulesen. Aber der erste Satz deines Texts ist deine Visitenkarte. Klappentext, Rezensionen und dergleichen können viel behaupten. Mit dem ersten Satz wird es ernst. Gelingt es dir hier nicht, deinen Leser zu fesseln, legt er den Text womöglich einfach wieder beiseite. Warum weiterlesen? Hierfür musst du Gründe liefern.

Kafka gelingt dies meisterhaft (nicht nur hier). Er bringt im ersten, relativ kurzen Satz seiner Geschichte drei Gründe unter, die den Leser zum Weiterlesen anhalten.

Grund 1: Der Protagonist oder das Motiv (Wer und Was?)

Vor dem inneren Auge des Lesers erscheint Gregor Samsa, der ein bemitleidenswerter Zeitgenosse ist. Nichts ahnend erwacht er aus unruhigen Träumen in seinem eigenen Bett als Ungeziefer. Der Leser identifiziert sich einerseits mit ihm, schließlich hat jeder schon einmal schlecht geschlafen, andererseits ist Samsas Leiden für den Leser etwas völlig Unbekanntes, schließlich hat sich wohl noch niemand in ein Ungeziefer verwandelt. Kurzum: Der Leser ist an diesem seltsamen Herrn Samsa interessiert. Und er weiß, wovon die Geschichte handelt: Wie ergeht es Gregor Samsa als Ungeziefer? Kann er wieder ein Mensch werden?

In non-fiktiven Texten kannst du als Autor natürlich nicht mit nächtlichen Verwandlungen aufwarten. Aber das heißt nicht, dass du auf die Etablierung eines interessanten Protagonisten oder eines spannenden Motivs verzichten musst.

Der schottische Philosoph David Hume beginnt seine philosophische Abhandlung über die persönliche Identität mit einem Satz, der Kafkas Kunststück in nichts nach steht:

„Es gibt einige Philosophen, die sich einbilden, wir seien uns dessen, was wir unser Ich nennen, jeden Augenblick aufs unmittelbarste bewußt;“

David Hume, Traktat über die menschliche Natur

Der interessante Protagonist ist in diesem Fall die schon anklingende These Humes. Offenbar ist er der Auffassung, dass wir uns unseres Ichs keineswegs klar bewusst sind. Wie jetzt? Ich weiß doch, dass ich ich bin? Auch das Motiv ist klar: Im Folgenden wird es darum gehen, zu klären, inwiefern wir das eben nicht wissen.

Ein Essay, eine Abschlussarbeit oder ein Brief, der so begonnen wird, fesselt den Leser mit dem ersten Satz. Natürlich wird er weiterlesen.

Erste Satz

Grund 2: Das Rätsel (Wie?)

Von Gregor Samsas Vergangenheit wissen wir nach dem ersten Satz nur, dass er aus unruhigen Träumen erwachte. Das ist nicht viel, aber es ist nicht nichts. Was hat es mit diesen Träumen auf sich? Sind sie der Grund für seinen unglückseligen Zustand? Und was hat er geträumt? Aber auch wenn es keinen Zusammenhang gibt: Wie zur Hölle wird ein Mann über Nacht zu einem Ungeziefer?

Dieses Rätsel, das Kafka im ersten Satz seiner Erzählung untergebracht hat, weckt ebenfalls das Interesse des Lesers. Der Leser liebt Kausalität (was sind Geschichten anderes?). Wenn ihm ein unerklärlicher Zustand präsentiert wird, möchte er wissen, wie dieser zustandekommt. Erst recht, wenn ihn, wie durch Grund 1 etabliert, der mit diesem Zustand verbundene Protagonist interessiert.

Auch in nicht-fiktiven Texten kann der erste Satz ein Rätsel auftischen. Im Fall von David Humes ersten Satz ist dieses Rätsel die Frage, welche Folgen es für unser Konzept von Identität hat, wenn wir uns unseres Ichs keineswegs unmittelbar bewusst sind.

Grund 3: Der Kontext (Wo, Wann, Wohin?)

Im Vergleich zu den beiden ersten Gründen erscheint der Kontext nebensächlich. Doch bei genauerer Betrachtung ist es gerade der Kontext, der dem ganzen Leben einhaucht, ein Bild vor den Augen des Lesers entstehen lässt und nicht zuletzt eine Bewegung andeutet. Und Bewegung ist das Grundelement jeder Geschichte und jeder Argumentation.

Die Wahl des richtigen Kontexts ist die vielleicht schwierigste Aufgabe bei der Komposition eines perfekten ersten Satzes. Bei Kafka finden wir die Kontextualisierungen „eines Morgens“, „in seinem Bett“ und die subtileren „erwachte“ sowie „fand er sich … verwandelt“. Die Zeitangabe orientiert den Leser im Tagesgeschehen, der frühe Morgen ist für gewöhnlich ein Moment der Stille und des Alleinseins. Das stellt ein weiteres Problem für Gregor Samsa in den Raum: Was, wenn ihn jemand so sieht? Die Familie? Die Haushälterin? Der Briefträger? Noch schützt Samsa der Schlaf der Umgebung, aber Unheil droht.

In dieselbe Kerbe schlägt das Bett als Ortsangabe. Im Bett schläft man allein, sofern man nicht verheiratet ist. Außerdem muss man das Bett verlassen, irgendwann. Aber kann das Samsa als Ungeziefer überhaupt? Oder ist er ans Bett gefesselt? Dieses Ausgeliefertsein unterstreichen die Verben „erwachte“ und „fand er sich“: Wer erwacht, kann nichts für seinen momentanen Zustand (etwa die Frisur) und wer sich findet, der hat damit nichts zu tun. Samsa erstrahlt so in einer Passivität, die das Beklemmende der Verwandlung unterstreicht und gleichzeitig die Bedrohung des Entdecktwerdens zuspitzt. Der Kontext verhilft Kafkas ersten Satz also erst zu seiner vollen Wirkmacht. Ohne diesen Kontext regt er kaum zum Weiterlesen an:

Gregor Samsa verwandelte sich eines Tages in ein ungeheures Ungeziefer.

fiktives Beispiel

David Hume wiederum nutzt den Kontext, um seine Opposition gegen den Common Sense zu unterstreichen und so die entschiedene Stoßrichtung (Bewegung) seines Essays anzudeuten: „einige Philosophen“, die „sich einbilden“ etwas zu wissen. Heute noch kennen wir die Formulierung: „einige Personen in diesem Raum halten das wohl für falsch“, die gerade durch den Verzicht auf die Nennung von Namen intensiv wirkt. Dass sich Philosophen etwas „einbilden“ sollen, obwohl diese Spezies doch naturgemäß höchst rational vorgeht, demonstriert die Angriffslust und die Selbstsicherheit Humes. Das macht Lust auf mehr. Ohne diesen Kontext wirkt auch dieser Satz halbgar:

Wir sind uns unseres Ichs nicht in jedem Augenblick aufs unmittelbarste bewusst.

fiktives Beispiel

Ein Beispiel verdeutlicht die Arbeit, die hinter einem perfekten ersten Satz steckt. Angenommen, deine Geschichte soll davon handeln, dass sich zwei Menschen unsterblich ineinander verlieben, diese Liebe aber aufgrund der äußeren Umstände nicht leben können. Dein erster Satz lautet daher in der ersten Version wie folgt:

Ben liebt Anna.

fiktives Beispiel

Dieser Satz stellt die Protagonisten und das Motiv der Geschichte vor. Aber nicht vollständig, denn zum einen sind nur zwei Namen zu lesen, aber keinerlei weitergehende Charakterisierung und zum anderen ist die Liebe ja gar nicht das Motiv der Geschichte. Also überarbeitst du den Satz:

Ben war zwar erst 10, aber hatte sich unsterblich in Annas schwarze Locken verguckt, die sie auf dem Werbeplakat offen trug.

fiktives Beispiel

Nun weiß der Leser, das Ben eigentlich noch zu jung für die Liebe ist, aber offenbar so aufgeweckt, dass es in seinem Herzen schon rumort. Anna wiederum ist eine dunkelhaarige Schönheit, die für Ben jedoch nicht erreichbar scheint: Sie entstammt einem Werbeplakat. Wird er einen Weg finden, Anna zu erreichen?

Erster Satz

Allerdings fehlt noch ein Rätsel. Im Moment ist das bloß die Geschichte eines Jungen, der sich zum ersten Mal verliebt und noch nicht weiß, dass Werbeplakate dafür nicht die beste Adresse sind. Version 3 lautet daher:

Ben war zwar erst 10, aber hatte sich unsterblich in Annas schwarze Locken verguckt, die sie auf dem zerissenenen Werbeplakat offen trug.

fiktives Beispiel

Der kleine Zusatz durch das Adjektiv verkompliziert die Angelegenheit: Wieso ist das Werbeplakat zerissen? Und wie kann man sich in ein wohl nur schlecht sichtbares Foto verlieben? Lebt Ben in einem armen Bezirk? Lebt er dort womöglich allein auf der Straße? Das kleine Wort lädt den Satz magisch auf.

Beim Wort „zerissenen“ verschwimmt die Grenze zwischen Rätsel und Kontext. Dieser erste Satz ist natürlich noch nicht perfekt. „Unsterblich“ etwa ist eine abgegriffene Beschreibung für die Intensität der Liebe, die Satzkonstruktion ließe sich überarbeiten usw. Aber im Vergleich zum plumpen „Ben liebt Anna“ tut sich hier für den Leser eine Welt auf – eine ganze Geschichte dröhnt aus diesen ersten Worten. Mit einigen weiteren Überarbeitungen, die ich auch im Lektorat vorschlagen würde, schließen wir dieses Kapitel:

Ben war 10, als er sich unsterblich in Annas schwarze Locken verguckte, die ihr auf einem zerissenen Werbeplakat ins Gesicht wehten.

fiktives Beispiel

Wie du vielleicht gemerkt hast, steckt in einem ersten Satz mitunter schon eine ganze Geschichte. Insbesondere bei Kafka stoßen wir immer wieder auf dieses Phänomen. Das hat Methode: Er bringt das auslösende Ereignis der Geschichte gleich im ersten Satz unter. Mitunter sind der erste Satz und die sogenannte Log Line sogar nahezu identisch (siehe etwa auch Der Prozess). Die Log Line gibt die Geschichte in aller Kürze wieder und ist sowohl beim Schreiben als auch nach dem ersten Draft ein nützliches Tool, um deine Story auf ihre Tauglichkeit zu prüfen. Dazu habe ich einen ausführlichen Artikel verfasst: Hast du eine Log Line?

Hast du einen Text geschrieben, der von einem Lektorat profitieren könnte? Informiere dich über alles, was du über das Lektorat eines Romans wissen musst. Oder denkst du an ein wissenschaftliches Lektorat?

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