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Talking Story

Es (2017) [Analyse]

Ein Clown frisst Kinder, alle 27 Jahre wieder: Über die Brillianz der Metapher, verfehltes Horror-Handwerk und die Fallstricke von Trends.

Die Kleinstadt Derry wird alle 27 Jahre von einem kinderfressenden Clown heimgesucht. Eine Gruppe nerdiger Kids stellt sich ihm dieses Mal in den Weg. Doch der Clown macht sich ihre tiefsten Ängste zu eigen.

[Massive Spoiler voraus]

Die Neuverfilmung von Stephen Kings 1200-Seiten-Roman Es hätte ein Meisterwerk werden können. Heraus gekommen ist ein Film, der nicht für sich stehen will. Das liegt zum einen an der grundsätzlichen Entscheidung, den Film in der Zeit der Romanerscheinung spielen zu lassen, also in den 80er Jahren statt wie im Buch in den 50ern. Allerdings bleibt Regisseur Andy Muschietti zum anderen auch was den Horror angeht einiges schuldig.

80er-Hype und lahmer Horror

Wer in den letzten Jahren das Horrorgenre verfolgt hat, allen voran die Filme von James Wan (The Conjuring, Insidious), der wird nicht umhin können, Muschiettis Inszenierungen als unsaubere und weichgespülte Kopie des State of the Art auzufassen. Wo Wan den Spannungsbogen bis zum Äußersten ausreizt, kann Muschiettis meist nicht anders, als dem Zuschauer möglichst schnell seine Monster zu präsentieren. Doch das Wesen des Horrors bleibt der Suspense, die kaum auszuhaltende Erwartung des Zuschauers vor dem Grauen. Nicht das Grauen selbst. Dies hat Wan erkannt und das Grauen, sprich die gezeigten Monster, stets mit einem perfekt inszenierten Überraschungseffekt verknüpft, der die aufgebaute Spannung plötzlich löst. Die sogenannten Scarejumps, die uns aus dem Kinosessel hüpfen lassen.

Muschiettis bedient sich dieser Methodik zwar zwangsläufig auch, aber er verfehlt sie, weil ihm das Timing fehlt. Zudem bleiben die Monster selbst harmlos. Die vermodernde Wasserleiche etwa, die ein hypochondrisches Kind heimsucht, ist gerade komisch genug designt, um den unbedarften Zuschauer nicht zu überfordern. Ohnehin ist die Technik der Jumpscares zu plump, um weiterhin schablonenhaft zu faszinieren: seltsamer Vorgang in der Ferne – Schnitt – ängstliches, ungläubiges Gesicht des Opfers – Schnitt – Nahaufnahme des Monsters samt überbordenden Soundeffekten – we got it.

Agatha Christie lässt grüßen

Diese handwerklichen Mängel und mainstreamtauglichen Zugeständnisse fallen umso schwerer ins Gewicht, da Muschietti sich 45 Minuten Zeit nimmt, um die sieben Kids einzuführen, die sich später Es entgegenstellen. Was in diesem Fall eben heißt, dass jedes der Kinder Es begegnen muss und somit seiner größten Angst, als die sich Es manifestiert. In Ermangelung wirklich grusliger Szenen gerät diese Exposition monoton. Man fühlt sich an die Agatha-Christie-Verfilmungen mit Sir Peter Ustinov erinnert, die die Hälfte der Spielzeit damit zubringen, wirklich jeder Figur ein potentielles Motiv für den erst noch zu begehenden Mord unterzujubeln.

Die Nostalgie ist altbekannt

Aber immerhin sind da noch die 80ies, dieses herzhafte Kindheits-Jahrzehnt jener, die damals schon alt genug waren, um Stephen Kings Roman zu lesen. Gremlins, Goonies, New Kids on the Block – die Anleihen sind unübersehbar und machen Spaß. Der Cast ist stark und vereint sich tatsächlich zu einer verschworenen Gemeinschaft, deren Verbundenheit authentisch wirkt. Wenn sie BMX-Rad fahren, Arcadespiele zocken oder ihre Schulhefte zu Beginn der Ferien in den Mülleimer kippen, wohnt man dem Geschehen mit diebischer Freude bei.

Allerdings hat auch hier kürzlich eine andere Produktion die Messlatte deutlich zu hoch gelegt. Stranger Things war schlicht das bessere 80ies-Revival. Natürlich hat sich genau dieses Stranger Things wiederum stark an Filme wie Goonies und die Es-Fernsehfilme angelehnt, aber eben überzeugender. Warum dann auch noch einer der Hauptdarsteller von Stranger Things gecastet wurde, bleibt das Geheimnis der Produzenten. Der Buchvorlage zu folgen und die 50er Jahre als Schauplatz zu wählen, hätte die Chance geboten, stattdessen etwas Neues zu kreieren.

Im Kern eine grandiose Story über das Erwachsenwerden

Die grundsätzliche Metapher des Films sowie des Buches bleiben brilliant: Es ist nicht mit dem Clown Pennywise identisch, sondern etwas viel Älteres, Dunkles, Böses, das verschiedene Gestalten annimmt, je nach den Ängsten seiner Opfer. Um das Böse zu besiegen, müssen die Kinder ihre Ängste hinter sich lassen oder von ihnen in Gestalt von Es verzehrt werden. Dafür aber müssen sie sich von ihren Eltern emanzipieren. Denn fast alle Ängste der Kinder, ob nun vor Krankheiten, vor der eigenen Geschlechtlichkeit oder vor einem Gemälde wurden ihnen von ihrem Elternhaus vermacht.

Die Kinder müssen also erwachsen werden. Die Erwachsenen in Derry hingegen sind auf eine Art Kinder geblieben. Sie leben mit ihren Ängsten, ohne sich je mit ihnen konfrontiert zu haben. Anders als bei den Kindern wirken ihre Ängste nur noch unterbewusst, sind von der sichtbaren Oberfläche verschwunden. Ihre Lebensweise wird von Angst bestimmt, ohne dass sie es bemerken – und bestimmt ihren Umgang mit ihren Kindern. Deshalb können die Erwachsenen die Blutfontänen und die roten Luftballons von Pennywise auch nicht sehen. Sie leben längst mit ihren Ängsten, nicht mehr gegen sie.

Realität vs. Angst

So ist es dann auch der Satz „You’re not real!“, der die Wende einleitet. Es ist für die Kinder fortan nicht länger das personifizierte Grauen, sondern eine Illusion, der man entgegentreten muss. Genau wie die Angst vor Spinnen, vor anderen Menschen, vor dem anderen Geschlecht. Letzterer geht es schließlich in der Schlussszene des Films an den Kragen. Der erste Kuss markiert unweigerlich die Abnabelung vom Elternhaus. Die Tatsache, Liebe jenseits des Schoßes der Mutter gefunden zu haben, beraubt diese ihrer Heiligkeit und Autorität. Während die meisten von uns diesen Schritt wohl vollzogen haben, ist es längst nicht selbstverständlich, sich den übrigen, sehr individuellen Ängsten zu stellen. Es ist ein Film über dieses Umdrehen, über das Nicht-Länger-Weglaufen und bezieht daraus seinen Wert, fügt der Vorlage jedoch nichts hinzu, sondern unterläuft ihre Brillanz.

Takeaways

  • laufe keinen Trends hinterher
  • suche nach der grundlegenden Metapher deiner Geschichte
  • krieg dein Handwerk auf die Reihe, aber überrasche dein Publikum
  • Exposition muss heutzutage schneller gehen
  • in der Metapher steckt die Lösung des zentralen Konflikts