Delikate Details, Körperbeschreibungen, Fantasien – in einer literarischen Liebesszene werden Grenzen gesprengt. Dafür ist Literatur ja auch da: Das Leben heranzoomen, ein anderes imaginieren. Doch als Autor lauern gerade hier etliche Fallstricke! Deshalb habe ich in diesem Artikel die wichtigsten Tipps für eine gelungene Liebesszene zusammengetragen.
Inhaltsverzeichnis
1. Der Unterschied zwischen Porno und Erotik
Schauwerte sind nichts ohne Kontext. Versteh mich nicht falsch: Natürlich fasziniert mich der Anblick Stonehenges. Aber doch nicht, weil da Steine aufeinander stehen. Sondern weil absurd große Steine von absurd kleinen Menschen vor absurd vielen Jahren dorthin verfrachtet wurden. Und es irgendetwas bedeutet. Menschen, deren Realität nichts mit der unseren gemein hatte, hatten einen Grund für diese Plackerei. Der vielleicht doch etwas über uns verrät. Über die conditio humana. Wow.
Schauwerte plus Kontext sind magisch. Im Grunde gilt für Liebesszenen also dasselbe wie für alles andere: Bedeutung hebt die Dinge vom grauen Hintergrund ab. So entsteht Erotik. Oder ein guter Actionfilm, der ja auch auf Schauwerten basieren zu scheint. Und das tut er. Aber ein wirklich guter Actionfilm erzählt nicht von Explosionen und Verfolgungsjagden. Er erzählt von einem Helden, von einem Motiv, handelt im Subtext von einer Frage. The Matrix war ein visueller Triumph. Aber gesprochen hat man über die Geschichte, die Prämisse. Zum Vergleich: Jurassic World 2 hat Dinos – und trotzdem spricht niemand darüber.
Schreibst du eine Liebesszene, musst du also Kontext herstellen und dem Gezeigten Bedeutung verleihen. Du kannst nicht einfach von Körperteilen sprechen. Bedeutung liegt in deinen Figuren, im Plot und in dem Motiv.
Schreibst du also einen Roman über einen an Alzheimer erkrankten Mann, dann lass ihn Sex haben mit irgendjemandem, aber beschreibe, wie er sich nur an seine verstorbene Frau erinnert und glaubt, noch einmal mit ihr zu schlafen. Schreibst du einen wilden Actionkracher, lass deinen Helden schwer verletzt von seiner Angebeteten pflegen, lass sie die Führung übernehmen, ihm ein Geschenk machen, in der Befürchtung, er müsse sterben.
2. Vergiss deine Figuren nicht
Wie beschreibt man aber einen Liebesakt möglichst gekonnt? Die oberste Regel lautet: Folge deinen Figuren. Ein schüchterner Junge, der sich gegen seinen übermächtigen Vater nicht behaupten kann, wird im Bett nicht zu einem selbstbewussten Casanova. Und ein Kriegsheld wird sich von einem zusammenstürzenden Bett nicht aus der Ruhe bringen lassen.
Oder gerade er? Unsere Figuren schreiben uns nicht vor, was wir zu schreiben haben. Aber sie definieren Möglichkeiten. Ihnen musst du folgen. Damit triffst du Entscheidungen: Ist dein Kriegsheld traumatisiert? Dann wird er eine Panikattacke kriegen, mitten im Akt, als das Bett zusammenbricht. Wie damals, in der Kaserne, als die Bomben fielen.
Hast du deinen schüchternen Jungen als übergewichtigen Fleischklops beschrieben? Dann stelle etwas mit seinem Fleisch an. Lass es wallen. Oder seine Geliebte umschließen wie Wackelpudding, den sie als kleines Kind liebte.
Hat deine Figur einen Mangel, eine alte Narbe (das sollte sie)? Wie wirkt sich das auf ihren Sex aus? Ist sie trotz dieses Mangels in irgendetwas verdammt gut, etwa wie die Protagonisten in Better Call Saul? Lässt sich diese Fähigkeit auf interessante Weise auf den Sex übertragen? Oder zeigt sich in einer Sexszene erst der Wandel deines Charakters: Der schüchterne Junge packt seine Geliebte, wirft sie aufs Bett und macht Liebe mit ihr, nachdem er seinen Mobbern endlich die Grenzen aufgezeigt hat (Achtung: Klischee).
Du schreibst nicht einfach eine Liebesszene. Du schreibst eine Liebesszene zwischen Figur A und Figur B (und womöglich Figur C-Z). Vergiss das nie.
3. Eine Liebesszene hat einen Ort
So wichtig die Figuren auch sind, solltest du als Autorin nicht vergessen, dass sie sich nicht im Vakuum lieben. Um sie herum passieren Dinge. Stehen Gegenstände. Laufen andere Menschen vorbei. Mach dir das zu nutze. Bette deine Liebenden im wahrsten Sinne des Wortes ein in ihrem Ort.
Oder tue das Gegenteil: Die Bomben fallen auf die belagerte Stadt, die Seiten sind voll von ihrem Lärm. Dann die Liebesszene – und Stille. Das heißt aber nicht, dass die Bomben plötzlich fort sind. Ihr Schweigen verstärkt die Liebesszene nur noch.
Natürlich gilt Punkt 2 auch beim Setting: Was du beschreibst, entspricht der Wahrnehmung deiner Protagonisten. Fallen deiner Figur die Narben an seinen Beinen auf? Gut. Aber auch die Staubkörner auf den Dielen? Das sagt entweder etwas über sie (Charakterisierung) oder ist Ausdruck ihres bereits bekannten Charakters.
4. Schreibe, was du kennst
Du kennst den alten Spruch: Write what you know. Nun, in Liebesdingen wissen wir beileibe nicht alles und können uns auch nicht alles anlesen. Irgendwie bleibt heterosexueller Sex für einen Homosexuellen etwas Abstraktes. Oder SM für den Blümchensex-Liebhaber. Das heißt aber nicht, dass du nicht darüber schreiben kannst.
Wichtiger als Praktiken sind die Gefühle und das Verlangen. Darum dreht sich jede gute Liebesszene. Um das, was sich zwischen den Figuren abspielt: in ihren Köpfen und Herzen. Wenn du also eine tragische Episode schreibst, etwa die letzte Liebesnacht vor der notwendigen Trennung, dann erforsche deine Gefühle. Und erinnere dich, wie es sich angefühlt hat, damals. Würge es hoch. Kotz es aus. Bring es etwas in Form, du weißt schon: Figuren, Narben, Ort, Bedeutung. Et voilà: Deine SM-Szene wird überzeugend sein, obwohl dein krassestes sexuelles Abenteuer die Verwechslung der Damen- mit der Herrentoilette war.
5. Schreibe deine Liebesszenen, als seien deine Eltern bereits tot
Wenn wir schreiben, offenbaren wir uns. Das heißt jedoch nicht, dass wir die Meinungen und Vorlieben unserer Protagonisten teilen. Außenstehende, Freunde, Familie, Feuilleton verwechseln das dennoch gerne. Das kann uns hemmen.
Allein schon „Pimmel“ zu schreiben, mag manchen von uns peinlich sein. Pimmel, Pimmel, Pimmel.
Philip Roth gab dem jungen Ian McEwan daher einmal den Rat, so zu schreiben, als seien seine Eltern bereits tot. Dadurch erreichst du drei Dinge. Erstens verringert es die Scham, die du beim Schreiben verspürst (nicht nur bei Liebesszenen). Zweitens befreit es dich von dem schädlichen Impuls, gefallen zu wollen. Und drittens kannst du dein Manuskript anhand dieses Gedankens selbst lektorieren. Hast du diesen Satz so geschrieben, weil du dich vor den Reaktionen deiner Eltern fürchtetest? Hast du deshalb etwas weggelassen?
Heutzutage muss man diesen Satz vielleicht erweitern. Schreibe so, als sei Twitter nicht existent. Als gäbe es keine Empörungsmaschinerie (wie etwa im Fall von Werk ohne Autor). Moral ist eine gute Sache, meistens. Als Autorin darf sie dich nicht interessieren.
Der Inhalt deiner Texte ist ohnehin per sé amoralisch. Was dein Protagonist tut, ist weder gut noch schlecht in einem realen Sinn. Es passiert ja nicht wirklich. Stirbt deine Heldin, weil sie an das Gute glaubt? Weil sie ihre Liebe frei auslebt? Okay, so what? Das bedeutet nicht, dass du der Meinung bist, man solle das nicht tun. Wer dir etwas anderes erzählt, sollte eine besondere Behandlung deinerseits erfahren: Schreibe, als sei auch er bereits tot.
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