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Once Upon a Time In… Hollywood [Analyse]

Quentin Tarantinos achter Film feiert das Kino – und knöpft sich meisterhaft die Mythen der realen Welt vor.

[Massive Spoiler voraus]

Quentin Tarantinos Schaffen ist ein ganzes eigenes Buch wert (vielleicht schreibe ich das noch). Wer sein Werk chronologisch verfolgt, wird eine Steigerung erkennen. Von der Lust an der Unterhaltung über Herzensprojekte, die bestimmte Kino-Traditionen abfeiern, steigern sich seine Filme spätestens mit Inglourious Basterds zunehmend zu gehaltvollen Studien bestimmter Themen: Die Macht des Kinos (Basterds), der Preis der Zivilisation (Hateful Eight). Sein bislang letztes Werk Once Upon a Time In… Hollywood legt noch eine Schippe drauf.

Arbeit am Mythos

Sharon Tate sitzt in Gestalt von Margot Robbie im Kino und sieht sich ihren eigenen Film an. Auf der Leinwand erscheint die echte Sharon Tate. Robbies Tate erfreut sich an deren Schauspiel und den Reaktionen des Publikums. Während sich die echte Tate vor dem echten Dean Martin zum Affen macht, gewinnt man als Zuschauer die leise Ahnung, dass die echte Tate nichts Außergewöhnliches hatte und nicht annähernd an die Anmut Margot Robbies heranreicht. Der Film im Film, ein Motiv, das aus Inglourious Basterds bekannt ist, bricht so in Tarantinos achtem Film genau das auf, was er auf der Oberfläche nostalgisch zu verherrlichen scheint: den Mythos Hollywood.

Filme im Film

DiCaprios Rick Dalton dabei zuzusehen, wie er am Western-Set einen Bösewicht mimt, also eigentlich DiCaprio als diesen Bösewicht zu sehen, bis er schließlich nach einer halben Ewigkeit endlich den Text vergisst und der Zuschauer fast erlöst zurück in den eigentlichen Film findet, hinaus aus dem Film im Film, durchbricht die vierte Wand noch radikaler. Sie ist durchbrochen und gleichzeitig nicht, denn der Hauptfilm umschließt diesen Durchbruch wie eine schützende Plasikfolie.

Das erzeugt ein Gefühl von Dankbarkeit, Dank dafür, zurück in der gewählten Welt zu sein. Tarantino präsentiert so das Destillat des Kinogangs auf dem Silbertablett: die Weltflucht. Eine eigentlich triviale Erkenntnis. Er ergänzt sie aber um die oft übersehene Tatsache, dass Weltflucht immer auch bedeutet, in eine andere Welt eintauchen zu müssen, sofern die Weltlosigkeit und damit der Suizid keine Optionen sind. Once Upon a Time in… Hollywood ist eine Hymne an diese anderen Welten und schwelgt in seiner akribischen Versessenheit auf Kulissen und Ausstattung geradezu in deren Macht.

Eskapismus dank realer Anleihen

Doch das Ganze liegt noch wahnwitziger. Der Film mutet nur deshalb zeitweise wie eine Geschichte an, weil man meint, ihren Ausgang zu kennen. So gesehen beginnt Tarantinos Film noch lange vor den Opening Credits. Nämlich als er bekannt gibt, dass sich der Film lose mit den Morden an Sharon Tate und ihren Freunden befasst. Ein reales Ereignis lauert so im Hintergrund des mäandernden Leinwandgeschehens und gibt diesem, in dem es selbst die vierte Wand in die andere Richtung durchbricht, überhaupt eine Art von Suspense, von Erwartungen und damit Konsumierbarkeit. Die Grenze zwischen den beiden Welten verwischt also, Fiktion blendet über in Realität und umgekehrt.

Dieses wahnwitzige Experiment geht nie ganz auf, weil Tarantino vor allem im Mittelteil eine Spur zu viel ins Risiko geht und die Immersion letztlich abreißt, als der Zuschauer sich an die opulenten Bilder und den kalifornischen Vibe gewöhnt hat. Aber es führt geradewegs zur eigentlichen Pointe dieses kino-intellektuellen Turmbaus zu Babel: Am Ende war alle Anspannung umsonst, denn die Tate-Morde finden nicht statt. Am Ende wird hier ein Märchen erzählt, verdammt nochmal, lest den Titel, und der Film findet zu sich selbst, weil er zum ersten Mal überhaupt ganz Film wird.

Kein Schauspiel eines Schauspielers, das von einem Schauspieler gespielt wird, keine eigens abgedrehten, vermeintlichen Retroschinken im Fernseher, kein Bruch mit der vierten Wand mehr – und gerade deshalb: Katharsis. Katharsis im doppelten Sinne also, denn nicht nur die Tate-Morde bleiben aus, auch der Film beginnt endlich. Sprich das Kino darf endlich seine Macht entfalten, die ja letztlich in nichts anderem gründet als in seiner Fähigkeit, die Realität zurechtzubiegen und Märchen lebendig werden zu lassen (auch hier lässt Inglourious Basterds grüßen).

Tarantino auf der dritten Meta-Ebene

Paradoxerweise gerinnt der finale Akt so zum Fremdkörper im Film (abermals ein Film im Film also), weil er so ganz Film sein darf. Die besten Szenen, die diesen letzten 30 Minuten vorangehen, sind folgerichtig ebenfalls jene, in der sich erzählerische Episoden vollziehen dürfen, Brad Pitts Cliff Booth auf der Hippie-Ranch, Cliff Booth und sein Pitbull, Bruce Lee am Set. In diesen Szenen ist Tarantino ganz Tarantino. Doch was ihm an Altersmilde glücklicherweise abgeht, hat er an Wahnwitz dazugewonnen, weshalb Once Upon a Time in… Hollywood gerade kein Episodenfilm ist wie seine größten Meisterwerke (Pulp Fiction, Inglorious Basterds). Die Episoden durchbrechen das beinahe Dokumentarische, das Geplänkel, die Arbeit am Mythos.

So muss auch die herrliche Denunziation des realen Bruce Lee verstanden werden, verkörpert durch einen fiktiven Bruce Lee, der so verflucht echt aussieht, dass der Moment, in dem er sich die Sonnenbrille vom Gesicht reißt, selbst schon zu einem Bruch mit der vierten Wand wird: Achso, das ist gar nicht der Echte! Bruce Lee muss als Mythos ebenso wie Hollywood, Sharon Tate, Polanski („jung, talentiert, verweichlicht“) und Hippietum der Lächerlichkeit preisgegeben werden, damit der Film auf seine eigentliche Aussage zulaufen kann: Die Realität wird bevölkert von tausend kleinen Göttern – ehrlich macht sich dabei nur das Kino, das nie den Anspruch erhebt, real zu sein. Eine Welt bestehend aus Lügen, in der nicht gelogen wird.

Eine Feier des Kinos

Daher fällt die Wahl des Helden auf denjenigen, dessen Beruf es ist, sogar in der absoluten Fiktion, im Hollywoodfilm, noch eine Fiktion aufrechtzuerhalten: Stuntman Cliff Booth. Cliff steht über den Dingen, haust hinter der Leinwand eines Autokinos in einem Trailer mit seinem Pitbull und scheint ganz und gar zufrieden. Selbst ein LSD-Trip führt ihn nicht ins Abseitige, die halluzinogene Droge nicht zur Verblendung. „Seid ihr überhaupt echt?“, wirft Cliff den Manson-Mördern mit einer Lakonie an den Kopf, die seit Indiana Jones Absage an einen Säbelkampf nicht auf Leinwand zu sehen war.

Natürlich nicht, aber, und das ist die ganze Farce auf den Punkt gebracht, doch „So echt wie ein scheiß Donut!“, wie ihm mit geladener Waffe versichert wird. Das enthemmte Lachen des 55-jährigen Brad Pitts legt sich warm um die Schulter des Zuschauers. Endlich einer, der sich nicht am eigenen Mythos abarbeitet und keinem fremden aufsitzt. Nur ein solcher Mann kann das Angebot eines Blowjobs von Hippiemädchen Pussycat ablehnen, ist Sex mit schönen jungen Mädchen doch auch immer Arbeit am eigenen Mythos.

Herabgesetzte Hippies

Prominentestes Ziel der ganzen Demystifizierung ist aber die Hippiebewegung. „Fuckin‘ Hippies!“ brüllen Cliff und Rick abwechselnd und als letzterer in ein Kostüm mit Hippie-Optik schlüpfen soll, kann er das kaum ertragen. Von Freiheit oder Liebe statt Krieg machen ist bei den auftretenden Blumenmenschen derweil nichts zu spüren. Das hat seine Gründe: Mit Once Upon a Time in… Hollywood bebildert Tarantino einen Wendepunkt der Bewegung. An jenem 9. August 1969 endeten die 60er-Jahre, wie die amerikanische Autorin Joan Didion einmal gesagt hat. Die Manson-Family, irrgeleitete Hippiekinder, ermorden fünf Menschen und schmieren mit dem Blut ihrer Opfer das Wort „Pig“ an die Wand, bei einem anderen Mord auch Songtitel der Beatles, „Helter Skelter“. Im Film hausen sie auf einer ehemaligen Film-Ranch, deren blinden Besitzer sie kaltgestellt haben. „Sie liebt mich!“, entgegnet dieser seinem alten Kumpel Cliff, als der ihm die Augen öffnen will und sitzt selbst erblindet noch einem Mythos auf.

Sektenführer Charles Manson zeigt Tarantino dabei als das einzige unangetastete Mysterium. Keine 10 Sekunden ist er auf der Leinwand zu sehen, aber immer präsent. „Warte nur, bis du Charlie kennenlernst!“, säuselt das Hippiemädchen Cliff ins Ohr, während 5.000 Kilometer entfernt amerikanische Soldaten bei der Ankunft in Vietnam denselben Satz zu hören, aber Charlie (US-Codename für die Vietcong) ebenfalls kaum vor die Linse kriegen. Die Freiheit, von der die Hippies träumen, schließt eine Welt ohne Mythen ein. Aber kaum sind die alten eingerissen, erheben sich neue, nicht weniger falsche aus der Asche: Death to piggies.

Wer ist dein Stuntman?

Die Aufgabe, vor der DiCaprios Rick Dalton steht und die tatsächlich so etwas wie einen Plot konstruiert, reiht sich in all die Arbeit am Mythos ein. Er muss damit aufhören, ständig seinen eigenen Mythos kreieren zu wollen. Stotternd kriecht er durch sein reales Leben, um vor der Kamera Figuren zum Leben zu erwecken, die nicht weiter von dem entfernt sein könnten, was er eigentlich ist. Selbstzweifel zerfressen seine Künstlerseele. Sie betreffen jedoch nicht so sehr sein schauspielerisches Talent, sondern vielmehr die Frage, was er als Star, also als Mythos, verkörpert. „I’m a has-been“, verzweifelt er an Cliffs starker Schulter, der ihm notfalls auch die Fernsehantenne repariert und durch L.A. spazieren fährt, kurz: der längst auch im realen Leben alle Momente der Wahrhaftigkeit für ihn übernimmt.

Als die Hippies schließlich in sein Zuhause eindringen, gewinnt Rick plötzlich seine Tatkraft zurück. Er eilt in den Geräteschuppen und kehrt mit einem Flammenwerfer zurück, eine alte Filmrequisite, die ihm damals noch zu heiß war, und fackelt die Hippies über den Haufen. Der Kinosaal bricht in dieser Szene in schallendes Gelächter aus, weil niemand erwartet, dass der verzagte, Margeritas trinkende Rick tatsächlich zu so etwas in der Lage ist: Wenn Cliff den Abend nicht rettet, bricht die Hölle los.

Rick muss seinen Mythos preisgeben

Aber Cliff fährt verletzt im Krankenwagen davon. Rick bleibt zurück und verfängt sich nach seiner Verwandlung prompt in so etwas wie einem Leben. Sharon Tate fragt über den Türsprecher was los war und lädt ihn zu sich ein. Cliff wird nun nicht länger gebraucht, weil Rick endlich bei sich angekommen ist. Die Kamera erhebt sich in die Vogelperspektive. Sharon umarmt Rick als hätten sich zwei endlich gefunden, als hätte Rick nun endlich auch etwas von diesem unwiderstehlichen Charisma, das nur die Menschen haben, die ganz bei sich sind. Wie Margot Robbies Sharon Tate, aber offensichtlich nicht die Echte. Katharsis Nummer 3.

Und natürlich bleibt das alles ein Märchen, Once upon, denn in der Realität gibt niemand so schnell die eigenen Mythen auf, schon gar nicht die, die ihn selbst betreffen. Und natürlich gerieten die Hippies in dieser Nacht des 9. August 1969 nicht an Cliff Booth und Rick Dalton. Aber mit der Kinokarte hat der Zuschauer sich ja gerade das gekauft: Ein Ticket in eine andere Welt, weil Weltlosigkeit keine Option ist. Anders gesagt: Solange wir ins Kino gehen, geht es irgendwie weiter. Davon handelt Once Upon a Time in… Hollywood auf einer vertrackten Meta-Ebene. Ein paar Stufen Himmelsleiter weiter unten ist es ein Film über die todbringende, lähmende Kraft von Mythen.

Takeaways

  • Wenn du deinem Protagonisten einen Verbündeten an die Seite stellst, wähle ihn weise: Woran mangelt es deinem Helden?
  • Es gibt nicht zu viele Meta-Ebenen, nur zu wenig funktionierenden Plot
  • Episoden können grandios sein, aber das höchste Level des Erzählens ergibt sich immer aus ihrem Zusammenspiel
  • Die Historie ist dein Verbündeter, wenn es um Suspense, Dramatik und Erwartungen geht

Manche Dinge müssen einfach gesagt werden. Das macht es dir als Autorin mitunter leichter. Aber manchmal auch verdammt schwer. Denn gute Dialoge zu schreiben, will gelernt sein. In diesem Artikel erfährst du alles über die größten Fallstricke beim Verfassen deiner Dialogszenen – und wie du es richtig machst.

1. Realistisch bleiben!

Sich an der Realität zu orientieren, ist auch beim Schreiben von Dialogen ein guter erster Rat. Aber was heißt das konkret? Zunächst einmal solltest du deine Figuren nicht so sprechen lassen, wie du denkst, dass Menschen oder genauer, Menschen ihres Schlages, sprechen. Was das bedeutet? Stell dir vor, wie Stefan Raab sich über Rapper lustig macht: „Ey yo, Bruder, was geht ab, alter! Fetter Scheiß, yo!“ Genau so solltest du deine Rapper nicht sprechen lassen. Das ist klischeebeladen, aber vor allem ist es: unrealistisch. Es reißt den Leser aus der Geschichte.

Stattdessen solltest du dir erstmal Interviews mit Rappern anschauen, Kool Savas hören und ein Rap-Battle auf YouTube anschauen. Dann wirst du schnell merken, dass diese Leute durchaus eine eigene Sprache sprechen. Aber eben keine Stefan-Raab-Fantasiesprache. Sondern ihre, seit Jahrzehnten gewachsene, mit ihrer Kultur verwobene Sprache. Gleiches gilt für jedes andere Milieu: Die Bankentürme in Frankfurt Main, den tiefen Pott der Backsteinsiedlungen oder das Bundeskanzleramt.

Von der generellen Sprache deiner Figuren abgesehen, gibt es noch einen weiteren, sehr beliebten, unrealistischen Fehler beim Dialoge schreiben:

„Hallo Max, wie geht es dir?“
„Ganz gut, Timo, danke.“
„Gehst du heute noch raus, Max?“
„Mal sehen, was Mama sagt, Timo.“

fiktives Beispiel

Du hast es bereits erraten: Lass deine Figuren nicht dauernd ihre Namen sagen. Wir tun das nicht. Im Gegenteil: Psychologen haben herausgefunden, dass wir es sehr mögen und unser Gegenüber sympathisch finden, wenn es oft unseren Namen sagt. Weil es eben nicht der Normalfall ist.

2. Unrealistisch bleiben!

Ha, erwischt! Du dachtest wohl, Dialoge zu verfassen, sei eine einfache, widerspruchslose Angelegenheit. Weit gefehlt. Denn so sehr wir Realismus benötigen, um den Äußerungen unserer Figuren das nötige Maß an Authentizitä und Glaubwürdigkeit zu verleihen, so sehr benötigen wir Unrealismus um die Leser zu interessieren:

„Ja, manchmal ist mir, als ob ich selber hinter mir herliefe. Ich will davon! Vor mir selber davonlaufen. Aber ich kann nicht! Kann mir nicht entkommen. Muss … muss den Weg gehen, den es es mich jagt! Und rennen … rennen, endlose Straßen! Ich will weg, ich will weg! Und mit mir rennen die Gespenster … von Müttern, von Kindern. Die gehen nie mehr weg.

Fritz Lang – „M – Eine Stadt sucht ihren Mörder“

Natürlich würden wir nie so reden. Die Sprache ist hier dem Milieu entsprechend (ein mittelloser Mörder) einfach gehalten, aber deswegen nicht weniger gemacht. Sie bedient sich eines eindrücklichen Bildes, das sie mit betörender Effektivität ausführt. Aber wann reden wir schon in Bildern? Doch erst recht nicht vor einem wütendem Mob. Und überhaupt, wer sollte uns dabei zuhören?

Aber das ist ja gerade der Trick: Der Leser hört zu. Das verschafft dir als Autor die Freiheit, auszuholen. Und nimmt dich in die Pflicht, nicht bei der Realität stehenzubleiben, sondern zu konstruieren, zu modellieren, zu erschaffen.

Der Gradmesser für eine gesunde Portion Unrealismus sind die mitgehörten, halböffentlichen Gespräche im Café, in der S-Bahn oder auf dem Büroflur: Selbst wenn jemand bei einer solchen Gelegenheit etwas wirklich Spannendes erzählt, würden wir das so nicht drucken wollen. Es ist zu inkonsistent, zu wirr, zu sehr Rohmaterial.

Was nicht heißt, dass gute Dialoge nicht wirr und roh sein können. Durchaus. Aber eben an den richtigen Stellen, im richtigen Maß, mit gutem Grund – also weil du als Autorin sie so konstruiert hast.

3. Figuren spracclich unterscheiden

„Voll krass.“
„Ja, mega.“
„Shit, da hinten kommt Herr Opitz!“
„Na, Kids? Mega Wetter, oder?“

fiktives Beispiel

Es gibt sie nicht nur im Dialog, aber hier tritt sie direkt und schonungslos zutage: die Stimme deiner Figuren. Je nach Alter, Milieu, Geschlecht, Träumen, Ängsten und vielem mehr sprechen sie mit einer anderen Stimme. Und zwar ausnahmlos, jede einzelne Figur. Denn auch wenn die Kassiererin an der gotttverlassenen Tankstelle irgendwo im ausgedörrten Hinterland nur eine Zeile Text hat, ist sie ein Individuum mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Sie kann nicht so sprechen wie der Mathematik-Professor, der sich zu ihr an die Theke verirrt hat.

Gleiches gilt für Herrn Opitz. Der offenbar deutlich älter als die beiden Jugendlichen ist, und in irgendeinem Sinne eine Autoritätsperson. Der einzige plausible Grund, ihn hier so sprechen zu lassen, wie die ihm unterstellten Kinder, ist eine ausgeprägte Midlife Crisis. Das wäre dann guter Dialog. Sonst ist es falsch.

4. Bescheidene Inquits verwenden

Ein Inquit, das ist eine die wörtliche Rede begleitende Formel. Bei Dialogen sind Inquits also gezwungenermaßen allgegenwärtig. Etwa bei: „Du spinnst doch“, sagte er. Doch Autoren lieben das Ausschweifende. Das Üppige. Deshalb lassen sie sich oft dazu verleiten, auf den schmalen Schultern der Inquits tonnenweise Ballast abzuwerfen. Das sieht dann schnell so aus:

„Ich kann nicht glauben, dass du das gerade gesagt hast“, stellte sie mit hochrotem Kopf fest.
„Hab ich aber!“, donnerte Hans trotzig.
„Du machst es nicht besser“, jaulte sie beinahe wehleidig.

fiktives Beispiel

Überfrachtete Inquits in jeder Zeile. Das Tückische an diesen Inquits ist, dass sie dem Gesagten die Kraft nehmen. Sie ziehen die Aufmerksamkeit des Lesers auf sich. Und sind, in all ihrer Deutlichkeit, dabei streng genommen Fälle von Infodump und/oder des berühmten „Show, don’t tell“. Denn dass Jack hier trotzig donnert, hat der Dialog schon gezeigt – „Hab ich aber!“ ist eine wunderbar kindisch-trotzige Zeile. Die wird hier nun aber einkassiert, beschnitten, für nebensächlich erklärt.

Dabei verstoßen diese Inquits auch gegen ein Grundgebot des Erzählens: Überfrachte den Leser nicht mit Eindrücken. Er kommt sonst nicht mit. Und, noch schlimmer: Es entstehen keine Bilder in seinem Kopf. Wie es anders geht, zeigt die redigierte Version des Dialogs:

„Ich kann nicht glauben, dass du das gerade gesagt hast.“ Ihr Gesicht lief rot an.
„Hab ich aber!“, brüllte Hans. Die kleinen Arme hatte er in die Hüften gestemmt.
„Du machst es nicht besser.“

fiktives Beispiel

Das ist natürlich keine Hochliteratur, aber auf einmal doch Literatur. Durch das Kürzen der Inquits kriegt der Dialog Platz zum Atmen. Verloren geht dabei nichts. Und du als Autor gewinnst Raum zur Entfaltung: die kleinen, in die Hüften gestemmten Arme – das ist ein Bild! Der trotzig donnernde Hans ist keins.

Es gibt noch eine weitere Besonderheit bei Inquits. In ihrer guten, bescheidenen Form (sagte sie, flüsterte er, wurde er gefragt) können sie trotzdem noch grundfalsch daherkommen. Nämlich dann, wenn du als Autorin allzu kreativ wirst. Also den durch die Kürzung gewonnenen Platz gleich wieder breitbeinig mit den Inquits besetzen willst: donnerte Hans, lachte sie, ließ er sie wissen.

Hier werden Verben benutzt, die die Handlung (jemand sagt etwas) allzu blümerant ausdrücken, also ebenfalls ganz viel Bedeutung mitbringen, die a) stört, siehe oben oder b) keinen Sinn ergibt. Oder hast du schon mal einen Satz gelacht? Eine Antwort genickt („Das geht“, nickte sie)? Ich fürchte nein.

Wie aber soll man das dann machen, die Sache mit den Inquits? Ganz einfach, zum Beispiel so:

Dann hörte der Motor auf zu brummen, und draußen schrie eine Stimme: „Die Toten hierhin, habt ihr Tote dabei?“
„Verflucht“, rief der Fahrer zurück, „verdunkelt ihr schon nicht mehr?“
„Da nützt kein Verdunkeln mehr, wenn die ganze Stadt wie eine Fackel brennt“, schrie die fremde Stimme. „Ob ihr Tote habt, habe ich gefragt!“
„Weiß nicht.“
„Die Toten hierhin, hörst du? Und die anderen die Treppen hinauf in den Zeichensaal, verstehst du?“
„Ja, ja.“
Aber ich war noch nicht tot, ich gehörte zu den anderen, und sie trugen mich die Treppe hinauf.

Heinrich Böll – „Wanderer, kommst du nach Spa …“

Rief, schrie, und oftmals auch einfach gar kein Inquit. So einfach kann es sein. Und doch so gehaltvoll. Der Trick ist: Vertraue deinen Worten und vertraue deinen Lesern. Wenn es gut geschrieben ist, wird es verstanden werden. Wenn es nicht gut geschrieben ist, werden aufgeschwemmte Inquits es nicht retten.

5. Nutze Beschreibungen

Dialoge können ein Feuerwerk sein. Knall, Boom, Peng! Dann braucht es kaum mehr als die Dialogzeilen selbst. Doch dafür bedarf es bestimmter Voraussetzungen. Vor allem muss hinreichend klar sein, wer spricht. Und wer bedeutet in dem Fall nicht nur, welche Figur, sondern auch, wer diese Figur ist. Ist das noch nicht etabliert, sind Beschreibungen zwischen den Dialogzeilen eine hervorragende Möglichkeit, die Figur zu charakterisieren:

„Und ihre Mutter, was tat ihre Mutter in solchen Situationen?“
Da war eine Macke im Linoleum-Boden, eine dicke, schwarze Macke, Jürgen konnte sie von seinem Platz aus deutlich sehen.
„Sie weinte.“
„Machte es das schlimmer?“
„Lauter. Es war ein lautes Weinen.“ Am liebsten hätte er eine Walnuss darin verrieben, farblich hätte das gepasst und sich mit der Zeit festgetreten. Vielleicht sollte er nächstes Mal eine mitbringen.
„Gibt es etwas, das Sie sich in diesen Momenten von ihr gewünscht hätten?“ Jürgen sah auf.
„Ja, ich … das Küchenmesser.“

fiktives Beispiel

Das könnte der Anfang eines Romans sein. Natürlich trägt hier der Dialog, vor allem die Fragen des Gegenübers, die inhaltliche Hauptlast. Aber die Beschreibungen charakterisieren Jürgen, etwas, das die Dialogzeilen selbst nicht leisten können. Und so beginnt der Leser sich für Jürgen zu interessieren. Nicht allein deshalb, weil er offenbar eine schlimme Kindheit hatte. Schlimme Kindheiten gibt es viele. Aber diese eine hier, Jürgens schlimme Kindheit, die Kindheit des Mannes, der sich Gedanken über eine Macke im Linoleum macht, während er darüber ausgefragt wird – die ist interessant.

Was für Figuren gilt, gilt natürlich auch für die Welt deiner Geschichte. Auch sie kann in eingeschobenen Beschreibungen beiläufig während deines Dialogs charakterisiert werden.

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