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Once Upon a Time In… Hollywood [Analyse]

Quentin Tarantinos achter Film feiert das Kino – und knöpft sich meisterhaft die Mythen der realen Welt vor.

[Massive Spoiler voraus]

Quentin Tarantinos Schaffen ist ein ganzes eigenes Buch wert (vielleicht schreibe ich das noch). Wer sein Werk chronologisch verfolgt, wird eine Steigerung erkennen. Von der Lust an der Unterhaltung über Herzensprojekte, die bestimmte Kino-Traditionen abfeiern, steigern sich seine Filme spätestens mit Inglourious Basterds zunehmend zu gehaltvollen Studien bestimmter Themen: Die Macht des Kinos (Basterds), der Preis der Zivilisation (Hateful Eight). Sein bislang letztes Werk Once Upon a Time In… Hollywood legt noch eine Schippe drauf.

Arbeit am Mythos

Sharon Tate sitzt in Gestalt von Margot Robbie im Kino und sieht sich ihren eigenen Film an. Auf der Leinwand erscheint die echte Sharon Tate. Robbies Tate erfreut sich an deren Schauspiel und den Reaktionen des Publikums. Während sich die echte Tate vor dem echten Dean Martin zum Affen macht, gewinnt man als Zuschauer die leise Ahnung, dass die echte Tate nichts Außergewöhnliches hatte und nicht annähernd an die Anmut Margot Robbies heranreicht. Der Film im Film, ein Motiv, das aus Inglourious Basterds bekannt ist, bricht so in Tarantinos achtem Film genau das auf, was er auf der Oberfläche nostalgisch zu verherrlichen scheint: den Mythos Hollywood.

Filme im Film

DiCaprios Rick Dalton dabei zuzusehen, wie er am Western-Set einen Bösewicht mimt, also eigentlich DiCaprio als diesen Bösewicht zu sehen, bis er schließlich nach einer halben Ewigkeit endlich den Text vergisst und der Zuschauer fast erlöst zurück in den eigentlichen Film findet, hinaus aus dem Film im Film, durchbricht die vierte Wand noch radikaler. Sie ist durchbrochen und gleichzeitig nicht, denn der Hauptfilm umschließt diesen Durchbruch wie eine schützende Plasikfolie.

Das erzeugt ein Gefühl von Dankbarkeit, Dank dafür, zurück in der gewählten Welt zu sein. Tarantino präsentiert so das Destillat des Kinogangs auf dem Silbertablett: die Weltflucht. Eine eigentlich triviale Erkenntnis. Er ergänzt sie aber um die oft übersehene Tatsache, dass Weltflucht immer auch bedeutet, in eine andere Welt eintauchen zu müssen, sofern die Weltlosigkeit und damit der Suizid keine Optionen sind. Once Upon a Time in… Hollywood ist eine Hymne an diese anderen Welten und schwelgt in seiner akribischen Versessenheit auf Kulissen und Ausstattung geradezu in deren Macht.

Eskapismus dank realer Anleihen

Doch das Ganze liegt noch wahnwitziger. Der Film mutet nur deshalb zeitweise wie eine Geschichte an, weil man meint, ihren Ausgang zu kennen. So gesehen beginnt Tarantinos Film noch lange vor den Opening Credits. Nämlich als er bekannt gibt, dass sich der Film lose mit den Morden an Sharon Tate und ihren Freunden befasst. Ein reales Ereignis lauert so im Hintergrund des mäandernden Leinwandgeschehens und gibt diesem, in dem es selbst die vierte Wand in die andere Richtung durchbricht, überhaupt eine Art von Suspense, von Erwartungen und damit Konsumierbarkeit. Die Grenze zwischen den beiden Welten verwischt also, Fiktion blendet über in Realität und umgekehrt.

Dieses wahnwitzige Experiment geht nie ganz auf, weil Tarantino vor allem im Mittelteil eine Spur zu viel ins Risiko geht und die Immersion letztlich abreißt, als der Zuschauer sich an die opulenten Bilder und den kalifornischen Vibe gewöhnt hat. Aber es führt geradewegs zur eigentlichen Pointe dieses kino-intellektuellen Turmbaus zu Babel: Am Ende war alle Anspannung umsonst, denn die Tate-Morde finden nicht statt. Am Ende wird hier ein Märchen erzählt, verdammt nochmal, lest den Titel, und der Film findet zu sich selbst, weil er zum ersten Mal überhaupt ganz Film wird.

Kein Schauspiel eines Schauspielers, das von einem Schauspieler gespielt wird, keine eigens abgedrehten, vermeintlichen Retroschinken im Fernseher, kein Bruch mit der vierten Wand mehr – und gerade deshalb: Katharsis. Katharsis im doppelten Sinne also, denn nicht nur die Tate-Morde bleiben aus, auch der Film beginnt endlich. Sprich das Kino darf endlich seine Macht entfalten, die ja letztlich in nichts anderem gründet als in seiner Fähigkeit, die Realität zurechtzubiegen und Märchen lebendig werden zu lassen (auch hier lässt Inglourious Basterds grüßen).

Tarantino auf der dritten Meta-Ebene

Paradoxerweise gerinnt der finale Akt so zum Fremdkörper im Film (abermals ein Film im Film also), weil er so ganz Film sein darf. Die besten Szenen, die diesen letzten 30 Minuten vorangehen, sind folgerichtig ebenfalls jene, in der sich erzählerische Episoden vollziehen dürfen, Brad Pitts Cliff Booth auf der Hippie-Ranch, Cliff Booth und sein Pitbull, Bruce Lee am Set. In diesen Szenen ist Tarantino ganz Tarantino. Doch was ihm an Altersmilde glücklicherweise abgeht, hat er an Wahnwitz dazugewonnen, weshalb Once Upon a Time in… Hollywood gerade kein Episodenfilm ist wie seine größten Meisterwerke (Pulp Fiction, Inglorious Basterds). Die Episoden durchbrechen das beinahe Dokumentarische, das Geplänkel, die Arbeit am Mythos.

So muss auch die herrliche Denunziation des realen Bruce Lee verstanden werden, verkörpert durch einen fiktiven Bruce Lee, der so verflucht echt aussieht, dass der Moment, in dem er sich die Sonnenbrille vom Gesicht reißt, selbst schon zu einem Bruch mit der vierten Wand wird: Achso, das ist gar nicht der Echte! Bruce Lee muss als Mythos ebenso wie Hollywood, Sharon Tate, Polanski („jung, talentiert, verweichlicht“) und Hippietum der Lächerlichkeit preisgegeben werden, damit der Film auf seine eigentliche Aussage zulaufen kann: Die Realität wird bevölkert von tausend kleinen Göttern – ehrlich macht sich dabei nur das Kino, das nie den Anspruch erhebt, real zu sein. Eine Welt bestehend aus Lügen, in der nicht gelogen wird.

Eine Feier des Kinos

Daher fällt die Wahl des Helden auf denjenigen, dessen Beruf es ist, sogar in der absoluten Fiktion, im Hollywoodfilm, noch eine Fiktion aufrechtzuerhalten: Stuntman Cliff Booth. Cliff steht über den Dingen, haust hinter der Leinwand eines Autokinos in einem Trailer mit seinem Pitbull und scheint ganz und gar zufrieden. Selbst ein LSD-Trip führt ihn nicht ins Abseitige, die halluzinogene Droge nicht zur Verblendung. „Seid ihr überhaupt echt?“, wirft Cliff den Manson-Mördern mit einer Lakonie an den Kopf, die seit Indiana Jones Absage an einen Säbelkampf nicht auf Leinwand zu sehen war.

Natürlich nicht, aber, und das ist die ganze Farce auf den Punkt gebracht, doch „So echt wie ein scheiß Donut!“, wie ihm mit geladener Waffe versichert wird. Das enthemmte Lachen des 55-jährigen Brad Pitts legt sich warm um die Schulter des Zuschauers. Endlich einer, der sich nicht am eigenen Mythos abarbeitet und keinem fremden aufsitzt. Nur ein solcher Mann kann das Angebot eines Blowjobs von Hippiemädchen Pussycat ablehnen, ist Sex mit schönen jungen Mädchen doch auch immer Arbeit am eigenen Mythos.

Herabgesetzte Hippies

Prominentestes Ziel der ganzen Demystifizierung ist aber die Hippiebewegung. „Fuckin‘ Hippies!“ brüllen Cliff und Rick abwechselnd und als letzterer in ein Kostüm mit Hippie-Optik schlüpfen soll, kann er das kaum ertragen. Von Freiheit oder Liebe statt Krieg machen ist bei den auftretenden Blumenmenschen derweil nichts zu spüren. Das hat seine Gründe: Mit Once Upon a Time in… Hollywood bebildert Tarantino einen Wendepunkt der Bewegung. An jenem 9. August 1969 endeten die 60er-Jahre, wie die amerikanische Autorin Joan Didion einmal gesagt hat. Die Manson-Family, irrgeleitete Hippiekinder, ermorden fünf Menschen und schmieren mit dem Blut ihrer Opfer das Wort „Pig“ an die Wand, bei einem anderen Mord auch Songtitel der Beatles, „Helter Skelter“. Im Film hausen sie auf einer ehemaligen Film-Ranch, deren blinden Besitzer sie kaltgestellt haben. „Sie liebt mich!“, entgegnet dieser seinem alten Kumpel Cliff, als der ihm die Augen öffnen will und sitzt selbst erblindet noch einem Mythos auf.

Sektenführer Charles Manson zeigt Tarantino dabei als das einzige unangetastete Mysterium. Keine 10 Sekunden ist er auf der Leinwand zu sehen, aber immer präsent. „Warte nur, bis du Charlie kennenlernst!“, säuselt das Hippiemädchen Cliff ins Ohr, während 5.000 Kilometer entfernt amerikanische Soldaten bei der Ankunft in Vietnam denselben Satz zu hören, aber Charlie (US-Codename für die Vietcong) ebenfalls kaum vor die Linse kriegen. Die Freiheit, von der die Hippies träumen, schließt eine Welt ohne Mythen ein. Aber kaum sind die alten eingerissen, erheben sich neue, nicht weniger falsche aus der Asche: Death to piggies.

Wer ist dein Stuntman?

Die Aufgabe, vor der DiCaprios Rick Dalton steht und die tatsächlich so etwas wie einen Plot konstruiert, reiht sich in all die Arbeit am Mythos ein. Er muss damit aufhören, ständig seinen eigenen Mythos kreieren zu wollen. Stotternd kriecht er durch sein reales Leben, um vor der Kamera Figuren zum Leben zu erwecken, die nicht weiter von dem entfernt sein könnten, was er eigentlich ist. Selbstzweifel zerfressen seine Künstlerseele. Sie betreffen jedoch nicht so sehr sein schauspielerisches Talent, sondern vielmehr die Frage, was er als Star, also als Mythos, verkörpert. „I’m a has-been“, verzweifelt er an Cliffs starker Schulter, der ihm notfalls auch die Fernsehantenne repariert und durch L.A. spazieren fährt, kurz: der längst auch im realen Leben alle Momente der Wahrhaftigkeit für ihn übernimmt.

Als die Hippies schließlich in sein Zuhause eindringen, gewinnt Rick plötzlich seine Tatkraft zurück. Er eilt in den Geräteschuppen und kehrt mit einem Flammenwerfer zurück, eine alte Filmrequisite, die ihm damals noch zu heiß war, und fackelt die Hippies über den Haufen. Der Kinosaal bricht in dieser Szene in schallendes Gelächter aus, weil niemand erwartet, dass der verzagte, Margeritas trinkende Rick tatsächlich zu so etwas in der Lage ist: Wenn Cliff den Abend nicht rettet, bricht die Hölle los.

Rick muss seinen Mythos preisgeben

Aber Cliff fährt verletzt im Krankenwagen davon. Rick bleibt zurück und verfängt sich nach seiner Verwandlung prompt in so etwas wie einem Leben. Sharon Tate fragt über den Türsprecher was los war und lädt ihn zu sich ein. Cliff wird nun nicht länger gebraucht, weil Rick endlich bei sich angekommen ist. Die Kamera erhebt sich in die Vogelperspektive. Sharon umarmt Rick als hätten sich zwei endlich gefunden, als hätte Rick nun endlich auch etwas von diesem unwiderstehlichen Charisma, das nur die Menschen haben, die ganz bei sich sind. Wie Margot Robbies Sharon Tate, aber offensichtlich nicht die Echte. Katharsis Nummer 3.

Und natürlich bleibt das alles ein Märchen, Once upon, denn in der Realität gibt niemand so schnell die eigenen Mythen auf, schon gar nicht die, die ihn selbst betreffen. Und natürlich gerieten die Hippies in dieser Nacht des 9. August 1969 nicht an Cliff Booth und Rick Dalton. Aber mit der Kinokarte hat der Zuschauer sich ja gerade das gekauft: Ein Ticket in eine andere Welt, weil Weltlosigkeit keine Option ist. Anders gesagt: Solange wir ins Kino gehen, geht es irgendwie weiter. Davon handelt Once Upon a Time in… Hollywood auf einer vertrackten Meta-Ebene. Ein paar Stufen Himmelsleiter weiter unten ist es ein Film über die todbringende, lähmende Kraft von Mythen.

Takeaways

  • Wenn du deinem Protagonisten einen Verbündeten an die Seite stellst, wähle ihn weise: Woran mangelt es deinem Helden?
  • Es gibt nicht zu viele Meta-Ebenen, nur zu wenig funktionierenden Plot
  • Episoden können grandios sein, aber das höchste Level des Erzählens ergibt sich immer aus ihrem Zusammenspiel
  • Die Historie ist dein Verbündeter, wenn es um Suspense, Dramatik und Erwartungen geht

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