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Allgemeine Schreibtipps Ein sehr guter Text

Starke Verben braucht dein Text!

Wir gehen, machen, tun – die Protagonisten unserer Texte aber bitte nicht! Über starke Verben und ihre Magie.

Starke Verben sind Verben, die im Deutschen den Stammvokal wechseln, wenn man sie konjugiert: ich trinke, ich trank. Haben die Gebrüder Grimm so festgelegt.

Aber natürlich geht es in diesem Essay nicht um Grammatik. Starke Verben, etwas umgangssprachlicher ausgedrückt und auf die Literatur und Stilistik bezogen, sind Verben, die knallen. Davon brauchen wir viele in unseren Texten. Jedenfalls an den richtigen Stellen.

1. Starke Verben sind präzise

Chuck Palahniuk, unter anderem Autor des Romans Fight Club, schildert in einem Essay über die Kunst des Schreibens eine Episode seiner Kindheit.

Beispiel 1

„Dann sprang ich vom Nähstuhl.
Und dort, fallengelassen, vergessen, senkrecht aus dem Teppich herausragend, stand eine Nadel. Eine dicke, silberscharf, so lang wie dein kleiner Finger.“

(eigene Übersetzung)

Die ganze Kraft dieser zwei kurzen Absätze fließt aus dem einen starken Verb, mit dem die Handlung in Gang gesetzt wird: „sprang“. Ersetzt man dieses Verb etwa durch „stand ich auf“ oder „erhob ich mich“ verliert die Episode jeden Reiz. Jemand steht auf, da ist eine Nadel, okay. Aber wenn er springt und da eine Nadel aus dem Teppich ragt – unsere Füße krümmen sich beim Lesen.

Nun ist „springen“ kein außergewöhnliches Wort. Aber es ist wunderbar präzise. Und genau diese Präzision ist es, der die Magie starker Verben, nun… entspringt.

2. Hüte dich vor den Adjektiven

Palahniuk hat mit seiner Wahl zudem eine zweite Falle umschifft. Anstatt ein starkes Verb zu verwenden, hätte er ein schwaches Verb mit einem Adjektiv oder Adverb ausschmücken können:

„Dann stand ich abrupt vom Stuhl auf.“

(fiktives Beispiel)

Aber diese Mischung aus schwachem Verb und Adjektiv lässt im Kopf des Lesers kein Bild entstehen. Abrupt aufstehen. Langsam laufen. Schnell gehen – was soll das alles sein? Hingegen: springen, schleichen, sprinten – sofort weiß der Leser, was gemeint ist. Sein Vorstellungsvermögen muss nicht erst zwei separate Dinge miteinander verknüpfen, die Handlung und die Art und Weise der Handlung, sondern kann direkt das Gelesene verarbeiten. Stell dir vor, dein Trainer ruft von der Seitenlinie: „Beweg‘ deinen Fuß schnell in Richtung Ball!“. Ich schätze, du verlierst den Ball, bevor du seiner Anweisung Folge leisten kannst. Wenn er ein guter Trainer ist und du eine gute Autorin, dann sagt ihr beide: „Schieß!“.

Umgekehrt hat ein starkes Verb ein begleitendes Adjektiv überhaupt nicht nötig:

„Dann sprang ich abrupt vom Nähstuhl.“

vs.

„Dann sprang ich vom Nähstuhl.“

Die erste Version fügt dem Bild nichts hinzu, sie verwässert nur, bremst, hindert.

3. Starke Verben zwingen dich, etwas zu zeigen

Mitunter kann der hohe Anspruch, sich als Autor auf die Magie starker Verben zu berufen, dazu führen, aus kurzen, abstrakten, schnell geschriebenen Sätzen ganze Absätze zu formen. Das ist Arbeit, hebt den Text aber auf ein anderes Niveau. Betrachten wir ein delikates Beispiel, das sich wunderbar zu Demonstrationszwecken eignet.

Beispiel 2

„Sie hatte einen langen, ekstatischen Orgasmus“.

(fiktives Beispiel)
Starke Verben

Ich habe zwei Adjektive verwendet, in der Hoffnung, dem Orgasmus so irgendwie Tiefgang, Bedeutung und Detail zu verleihen. Aber das schlägt fehl. „Sie hatte einen Orgasmus“ ist zu abstrakt, zu Allerwelt, zu sehr Aussage anstatt Bild. Die Schwäche des Verbs kann auch durch fünf Adjektive nicht überwunden werden. Versuchen wir es anders:

„Ihre Hüfte schoss nach vorn. Die Hände packten das Laken und ließen es nicht mehr los.“

(fiktives Beispiel)

Das ist keine Meisterleistung. Aber hier passiert etwas. Es entstehen Bilder im Kopf des Leser, etwas schießt nach vorn, etwas wird gepackt, nicht mehr losgelassen. Dagegen kommt „einen Orgasmus haben“ nicht an. Der aufmerksame Leser wird bemerkt haben: Starke Verben zwingen uns dazu, den alten Leitspruch „show, don’t tell“ zu beherzigen. „Sie hatte einen Orgasmus“ wird immer eine Aussage bleiben, weil das Verb, dass hier benutzt wird, nicht anders kann: Die Magie des Erzählens fehlt. Ein weiteres Beispiel:

Beispiel 3

„Ich hob meine Arme, nahm seine Kehle und hielt sie fest.“

(fiktives Beispiel)

Das geht besser:

„Meine Arme schossen nach vorn, ich packte seine Kehle und ließ sie nicht mehr los.“

(fiktives Beispiel)

Dieselben Verben wie im obigen Beispiel – und eine ähnliche Wirkung, in einem ganz anderen Kontext. Das zeigt, wie magisch starke Verben wirken, solange sie bloß schwache Verben ersetzen. Weit von einem Meisterwerk entfernt, sorgen sie auch hier für Bilder, Anschaulichkeit und unmittelbares Lesen.

4. Auch wissenschaftliche Texte profitieren

Auch non-fiktionale Texte profitieren vom Einsatz starker Verben. Wissenschaftliche Arbeiten etwa sind ohnehin um Präzision bemüht. Hier können schwache Verben zu Missverständnissen führen oder Formulierungen unnötig verkomplizieren. Deshalb werden sie in einem wissenschaftlichen Lektorat von mir ersetzt.

Beispiel 4

„Es ist wichtig, dass die Prüfung der Anlage mit höchster Präzision vorgenommen wird, um keinen Garantiefall zu haben.“

(fiktives Beispiel)

Unschön, umständlich, leblos. Das muss nicht sein:

„Die Anlage muss präzise geprüft werden, um einen Garantiefall zu verhindern.“

(fiktives Beispiel)

Das unschöne „Es ist wichtig“ am Satzanfang, wurde durch ein simples aber präzises „muss“ ersetzt. Einen Garantiefall kann man zwar „haben“, aber hier geht es doch eher darum, ihn zu „verhindern“. Außerdem ist es nicht nötig, „eine Prüfung vorzunehmen“, wenn man auch einfach „prüfen“ kann.

Aus 18 Wörtern und zwei Kommata sind 11 und ein Komma geworden – die starken Verben übernehmen also die Arbeit, die wir vorher einem Heer von Gehilfen aufgehalst haben. Und legen so frei, worum es eigentlich geht. Mach dir das bei deiner Bachelor- oder Masterarbeit zu nutze.

5. Die Substantivwüste

Ein insbesondere in wissenschaftlichen Arbeiten beliebtes Phänomen ist die sogenannte Substantivwüste. Sie beruht auf einer ausgeprägten Abneigung des Autors gegen starke Verben und präsentiert sich folgendermaßen.

Beispiel 5

Die Sicherstellung des Betriebsablaufs über den Jahreswechsel hinaus ist laut Bekanntmachung der Geschäftsführung sakrosankt.

(fiktives Beispiel)

5 Substantive zwingen den Leser zur erweiterten Hirnakrobatik, da der Inhalt nicht unmittelbar erschlossen werden kann. Er springt von Subtantivhochhaus zu Substantivhochhaus. Dazwischen: der staubtrockene Abgrund. Versuchen wir es anders:

Wie die Geschäftsführung bekannt gab, ist die Sicherstellung des Betriebsablaufs über den Jahreswechsel hinaus zu priorisieren.

(fiktives Beispiel)

Wir sind zwar nur ein Substantiv losgeworden, konnten den Satz aber in zwei leicht verdauliche Teile trennen, die jeweils von einem starken Verb geprägt sind. Die Geschäftsführung gab etwas bekannt. Nämlich, dass X zu priorisieren ist. Im Zuge dessen sind wir auch noch ein seltsames Adjektiv losgeworden: aus „ist sakrosankt“ wurde „priorisieren“.

6. Einige Alternativen

Am häufigsten sind die Verben „machen“, „haben“, „tun“ & „sein“ für schwache Formulierungen verantwortlich. Ständig wirst du aufgrund ihres Auftretens über Gelegenheiten stolpern, mit starken Verben Präzision und Bildhaftigkeit herzustellen. Machst du dein Mittagessen? Nein, du kochst es, grillst es, kredenzt es etc. Hast du einen Haufen Geld? Nein, du schwimmst darin, ertrinkst darin, scheißt es. Tust du deshalb nichts für die Familie? Nein, du lümmelst, schmarotzt, verweigerst dich. Bist du Alkoholiker? Nein, du säufst, schluckst wie ein gieriges Vögelchen, gießt dir den Schnaps in die Kehle.

Doch auch Verben wie „nehmen“, „gehen“, „sehen“ oder „essen“ können je nach Kontext zu schwach sein, um als beste Wahl durchzugehen, wie die folgende Grafik zeigt:

Starke Verben und schwache Verben

Dennoch bleibt natürlich zu sagen: Manchmal haben schwache Verben ihre Berechtigung. Manchmal wollen wir keine Bilder erzeugen und erst recht keine Präzision. Etwa weil die Figur unter Schock steht. Oder wir den tristen Alltag einer Kleinstadt beschreiben. Und auch Adjektive haben ihren Platz in unseren Texten wie in den großen Klassikern. Aber wie immer gilt: Wer nicht um die Wirkung weiß, kann sie nicht beabsichtigen.

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