Kategorien
Talking Story

Wolfgang Borchert: Die Küchenuhr [Analyse]

[Massive Spoiler voraus]

Wolfgang Borcherts Kurzgeschichten gehören zu dem Besten, das die deutsche Nachkriegsliteratur hervorgebracht hat. Daher ist von ihnen viel für das eigene Schreiben zu lernen. Im ersten Teil meiner Serie widme ich mich daher einer seiner bekanntesten Erzählungen Die Küchenuhr und versuche mich an einer Analyse. Dem geneigten Leser sei vorab die eigenständige Lektüre des Textes ans Herz gelegt.

1. Der Protagonist

Borcherts Protagonist in Die Küchenuhr ist der mit dem alten Gesicht, dessen Gang allein verrät, dass er erst zwanzig ist. Diese Diskrepanz lässt ihn auffallen, schon von Weitem. Doch welche Diskrepanz ist das eigentlich: Die zwischen seinem Gesicht, als Körperteil, und seinem Gang? Oder zwischen seinem Selbst, etwas Innerem also, und seinem Äußerem?

Die Antwort fällt leichter, wenn man sich dem zweiten Protagonisten zuwendet – der namensgebenden Küchenuhr. Der Protagonist trägt sie mit sich und zeigt sie stolz herum. Obwohl sie nix besonderes ist und auch überhaupt nicht mehr funktioniert:

Innerlich ist sie kaputt, das steht fest. Aber sie sieht noch aus wie immer. Auch wenn sie nicht mehr geht.

Wolfgang Borchert, Die Küchenuhr

Der zitierte Satz ist eine frühe Parallelisierung zwischen Protagonist und Küchenuhr. Auch der Protagonist selbst ist innerlich kaputt, geht nicht mehr, sieht aber sonst noch aus wie immer. Von seinem Gesicht abgesehen, das so alt aussieht, weil sich in ihm das Innere zeigt. Diese Parallelisierung wird später noch wichtig sein.

2. Die Bomben

Die Küchenuhr ist um halb drei stehengeblieben. Wegen der Bomben, sagt einer der Zuhörer, die dann wohl um halb drei fielen. Wenn sie explodieren, zerstört der Druck das Uhrwerk. Doch der Protagonist weiß es besser:

Nein, lieber Herr, nein, da irren Sie sie sich. Das hat mit den Bomben nichts zu tun. Sie müssen nicht immer von Bomben reden.

Wolfgang Borchert, Die Küchenuhr

Natürlich hat alles mit den Bomben zu tun. Der Verlust des Protagonisten, die versammelte Meute auf der Bank, das Elend, die stehengebliebene Uhr. Ohne die Bomben wäre all das nicht passiert. Aber der Protagonist will nichts davon wissen, hat den Krieg selbst schon verdrängt. Für ihn scheint es Schicksal gewesen zu sein oder ein „Witz“, dass die Uhr „ausgerechnet“ um halb drei stehenblieb. Wir wissen es besser: Als er mit seiner Mutter in der Küche saß, wie jede Nacht um halb drei, müssen die Bomben gefallen sein.

3. Die Personifizierung der Küchenuhr

Doch als die Küchenuhr stehen- und übrig blieb, blieb auch der Protagonist stehen und übrig. Nun ist er nicht länger in der Lage, das Gesamtbild des Krieges zu sehen oder sich dem traumatischen Erlebnis zuzuwenden. Er lächelt beim Erzählen, negiert die Rolle der Bomben. Die bereits angesprochene Parallelisierung zwischen Küchenuhr und Protagonist geht daher weit über ein kaputtes Innenleben hinaus.

Die Parallelisierung unterstreicht Borchert auch sprachlich. Die Küchenuhr hat ein „Gesicht“, ist „innerlich kaputt“. Mit dieser Personifizierung erlaubt Borchert dem Leser einerseits einen Rückbezug, wirft die Frage auf, warum die Küchenuhr personifiziert ist. Andererseits betont er die Merkwürdigkeit der Beziehung zwischen Protagonist und Küchenuhr, die offenbar nicht bloß ein Erinnerungsstück ist.

Sofern sich der Protagonist in der Küchenuhr selbst wahrnimmt, muss er sie hüten wie einen Schatz und sich einreden, dass sie ja noch aussehe wie immer. Und dass es eine Bedeutung hat, dass sie ausgerechnet um halb drei stehenblieb, dass also auch mit ihm noch etwas anzufangen, sein Leben nicht sinnlos geworden ist.

4. Das Paradies

Und natürlich ist die Küchenuhr auch ganz profan ein Erinnerungsstück. Ein Portal in eine heile Vergangenheit. Diese Vergangenheit, ebenfalls ganz profan, bestehend aus einer fürsorglichen Mutter und einem Job im Schichtdienst (er kam immer um halb drei nach Hause), ist ihm jetzt das Paradies geworden. Das unterstreicht die Traumatisierung des Protagonisten und erhöht zugleich den Wert der Küchenuhr. Mit ihr und seiner Sicht auf sie kann er sich noch eine Weile an das Leben klammern, das für immer dahin ist und muss der Sinnlosigkeit seines Verlustes nicht ins Auge sehen.

Seine Gesprächspartner sind offenbar schon einen Schritt weiter: Was das Paradies sein soll, können sie nicht recht fassen. Einer von ihnen denkt „immerzu an das Wort Paradies“. Seine Bedeutung ist ihm schon abhandengekommen.

5. Takeaways

  • Sieh tiefer in deine und fremde Geschichten. Sie sind und sollten komplexer sein, als es auf den ersten Blick scheint.
  • Halte nach Parallelen Ausschau: Zwischen dem Protagonist und seinem Ziel, dem Antagonist, dem Mittel, dem Mittel und dem Ziel, der Verletzung deines Protagonisten und dem Antagonisten.
  • Nutze die Möglichkeiten der Sprache, um gewissen Elemente deiner Geschichte zu betonen und hervorzuheben.

Hast du einen Text geschrieben, der von einem Lektorat profitieren könnte? Informiere dich über alles, was du über das Lektorat literarischer Texte wissen musst. Oder schicke deinen Text an kontakt@lektorat-bauer.de und erhalte ein kostenloses Probelektorat samt unverbindlichem Angebot.
Deine Daten werden vertraulich behandelt.

Kategorien
Talking Story

Better Call Saul [Analyse]

[Massive Spoiler voraus]

Natürlich: Wir liebten Breaking Bad. Wir liebten Saul Goodmann (Bob Odenkirk) und Mike Ehrmanntraut (Jonathan Banks), und sind froh, weiterhin in deren Universum flüchten zu können. Aber Better Call Saul ist nicht bloß ein Nostalgietrip oder ein Prequel, das allein von der mysteriösen Vorgeschichte seines Protagonisten lebt (siehe Star Wars). Neben den grandiosen Nebenfiguren wie Chuck und Lalo Salamanca überzeugt die Serie vor allem durch die Inszenierung der Expertise ihrer Protagonisten.

Jimmy zuzusehen, ist eine helle Freude

Jimmy McGill bzw. Saul Goodman ist eine Mischung aus skrupellosem Trickster und genialem Rhetoriker. Um einen Fall zu gewinnen, studiert er keine Gesetzestexte. Er manipuliert, erfindet, inszeniert. Das ist an sich schon die interessantere Werkzeugwahl für eine Geschichte. Aber Jimmy ist nicht einfach nur gut darin. Er ist begnadet. Ihm fallen Dinge ein, auf die Normalsterbliche nicht kommen würden. Und in brenzligen Situation schafft er es immer wieder, sich irgendwie herauszureden.

Das führt zu den besten Momenten der Serie: die Skaterjungs in der Wüste, die Abzockerei in der Bar, die Verhandlung mit Chuck.

Vergleichen wir diese Szenen mit der Episode in der Wüste ohne Wasser, wird schnell klar, dass sie nicht ansatzweise mithalten kann. Obwohl hier das Leben gleich zweier geliebter Figuren auf dem Spiel steht und Jimmy alle Leidensgrenzen einreißt. Warum?

Lass deinen Held brillieren

Weil weder Mike noch Jimmy etwas tun, das sie sehr gut beherrschen. Sie durchqueren die Wüste. Trinken Urin. Okay. Aber weder performt Jimmy eine seiner grandiosen Ansprachen oder zaubert ein letztes Ass aus dem Ärmel noch ist Mike mit allen Wassern gewaschen und lehrt die Möchtegerngangster das Fürchten. Sie setzten einfach nur einen Fuß vor den anderen. Erst ganz am Ende kommen sie wieder ins Handeln. Jimmy lenkt die Aufmerksamkeit des Verfolgers auf sich, Mike erledigt in per Scharfschützengewehr. Aber verglichen mit ihren sonstigen Großtaten, ist das geradezu banal.

Betrachten wir Mikes Figur, wird auch hier deutlich, wie sehr er die Serie an sich zieht, wenn er etwas von seinem Können zum Besten gibt: Mr. X‘ Blamage im Parkhaus, sein Anschlag auf den Kurierfahrer in der Wüste, seine Rache an den korrupten Cops.

Nimm ihm alles, dann gib ihm ein großes Talent

Oft lesen wir, dass es einen aktiven Helden braucht, um die Geschichte lebendig zu halten. Das stimmt (Ausnahme: der Antiheld), aber Aktivität allein macht deinen Helden nicht zur Ikone. Umgekehrt ist ein Held, der alles kann und dem alles gelingt, nicht sonderlich spannend (Rey in Star Wars: Das Erwachen der Macht zum Beispiel) oder sympathisch. Werfen wir daher einen Blick auf Jimmys Talent und seine Mängel.

Jimmy McGill sucht die Anerkennung seines Bruders, will ein angesehener Anwalt werden wie er und reißt sich dafür den Hintern auf. Fernstudium nach Feierabend, Hilfsarbeiterjob am Tag, den ihm sein gnädiger Bruder verschafft hat. Angekommen im Anwalt-Olymp, passt sein Kaffeebecher nicht in den Getränkehalter des schicken Firmenwagens. Und Jimmy nicht in den gut bezahlten Kanzlei-Alltag. Wir erinnern uns: er ist ein Trickster, ein rhetorisches Genie. Doch bei Davis & Main hält man sich ans Protokoll.

Jimmy hat daher von Anfang an keine Chance auf die Karriere, die er anstrebt. Dennoch versucht er es. Und tut, was er am besten kann: manipulieren, tricksen. Das bringt ihn erst recht in die Bredouille.

Jimmy hat also einen gravierenden Fehler. Er ist unfähig, sich anzupassen und sich Regeln unterzuordnen. Gleichzeitig hat er ein herausragendes Talent: Jenseits der Regeln für sich und seine Klienten zu kämpfen. Erst durch den Mangel gewinnt die Darstellung seines Könnens an der nötigen Höhe. Gegen alle Wahrscheinlichkeit versucht Jimmy, seinen Weg zu gehen. Und wie der geneigte Leser sich bemerkt hat: Sein Mangel bedingt sein herausragendes Talent und umgekehrt. Das ist hohe Plotkunst.

Die Lösung besteht darin, sein Wesen anzuerkennen und nicht länger zu versuchen, ihm zu entkommen, um anderen (vor allem Chuck) zu gefallen. Jimmy muss Saul Goodman werden, um seinen Mangel zu überwinden, ohne sein Talent aufzugeben. Erneut: grandioses Plotting.

Das Talent treibt den Plot

Jenseits der puren Freude, ein herausragendes Talent eines ansonsten gebeutelten Charakters zu bestaunen, treibt dieses Talent also auch den Plot voran. Mike Ehrmanntraut kann für seine Familie sorgen, weil er kriminelle Aufträge übernimmt und mit Bravour erledigt. Diese Verstrickung in Kriminalität treibt jedoch einen Keil zwischen ihn und seine Familie, er wird zum Auftragsmörder, seine Familie wird bedroht.

Und schließlich gelingt Better Call Saul so auch auf der handwerklichen Ebene des Storytellings der Anschluss an Breaking Bad. War es nicht schon eine Freude, Walter White dabei zuzusehen, wie er seine Intelligenz und seine überragenden chemischen Kenntnise einsetzte, um sich seiner Feinde zu entledigen?

Takeaways

  • Lass deine Figuren in irgendetwas sehr, sehr gut sein. So gut, dass du nach der dafür notwendigen Recherche selbst ein kleiner Experte in dem Gebiet geworden bist.
  • Gib ihnen die Gelegenheit, das zu demonstrieren
  • Lass sie nicht in allem gut sein
  • Gib ihnen gravierende Mängel
  • Lass sie nicht gewinnen, ohne auf dieses herausragende Talent zurückzugreifen

Manche Dinge müssen einfach gesagt werden. Das macht es dir als Autorin mitunter leichter. Aber manchmal auch verdammt schwer. Denn gute Dialoge zu schreiben, will gelernt sein. In diesem Artikel erfährst du alles über die größten Fallstricke beim Verfassen deiner Dialogszenen – und wie du es richtig machst.

1. Realistisch bleiben!

Sich an der Realität zu orientieren, ist auch beim Schreiben von Dialogen ein guter erster Rat. Aber was heißt das konkret? Zunächst einmal solltest du deine Figuren nicht so sprechen lassen, wie du denkst, dass Menschen oder genauer, Menschen ihres Schlages, sprechen. Was das bedeutet? Stell dir vor, wie Stefan Raab sich über Rapper lustig macht: „Ey yo, Bruder, was geht ab, alter! Fetter Scheiß, yo!“ Genau so solltest du deine Rapper nicht sprechen lassen. Das ist klischeebeladen, aber vor allem ist es: unrealistisch. Es reißt den Leser aus der Geschichte.

Stattdessen solltest du dir erstmal Interviews mit Rappern anschauen, Kool Savas hören und ein Rap-Battle auf YouTube anschauen. Dann wirst du schnell merken, dass diese Leute durchaus eine eigene Sprache sprechen. Aber eben keine Stefan-Raab-Fantasiesprache. Sondern ihre, seit Jahrzehnten gewachsene, mit ihrer Kultur verwobene Sprache. Gleiches gilt für jedes andere Milieu: Die Bankentürme in Frankfurt Main, den tiefen Pott der Backsteinsiedlungen oder das Bundeskanzleramt.

Von der generellen Sprache deiner Figuren abgesehen, gibt es noch einen weiteren, sehr beliebten, unrealistischen Fehler beim Dialoge schreiben:

„Hallo Max, wie geht es dir?“
„Ganz gut, Timo, danke.“
„Gehst du heute noch raus, Max?“
„Mal sehen, was Mama sagt, Timo.“

fiktives Beispiel

Du hast es bereits erraten: Lass deine Figuren nicht dauernd ihre Namen sagen. Wir tun das nicht. Im Gegenteil: Psychologen haben herausgefunden, dass wir es sehr mögen und unser Gegenüber sympathisch finden, wenn es oft unseren Namen sagt. Weil es eben nicht der Normalfall ist.

2. Unrealistisch bleiben!

Ha, erwischt! Du dachtest wohl, Dialoge zu verfassen, sei eine einfache, widerspruchslose Angelegenheit. Weit gefehlt. Denn so sehr wir Realismus benötigen, um den Äußerungen unserer Figuren das nötige Maß an Authentizitä und Glaubwürdigkeit zu verleihen, so sehr benötigen wir Unrealismus um die Leser zu interessieren:

„Ja, manchmal ist mir, als ob ich selber hinter mir herliefe. Ich will davon! Vor mir selber davonlaufen. Aber ich kann nicht! Kann mir nicht entkommen. Muss … muss den Weg gehen, den es es mich jagt! Und rennen … rennen, endlose Straßen! Ich will weg, ich will weg! Und mit mir rennen die Gespenster … von Müttern, von Kindern. Die gehen nie mehr weg.

Fritz Lang – „M – Eine Stadt sucht ihren Mörder“

Natürlich würden wir nie so reden. Die Sprache ist hier dem Milieu entsprechend (ein mittelloser Mörder) einfach gehalten, aber deswegen nicht weniger gemacht. Sie bedient sich eines eindrücklichen Bildes, das sie mit betörender Effektivität ausführt. Aber wann reden wir schon in Bildern? Doch erst recht nicht vor einem wütendem Mob. Und überhaupt, wer sollte uns dabei zuhören?

Aber das ist ja gerade der Trick: Der Leser hört zu. Das verschafft dir als Autor die Freiheit, auszuholen. Und nimmt dich in die Pflicht, nicht bei der Realität stehenzubleiben, sondern zu konstruieren, zu modellieren, zu erschaffen.

Der Gradmesser für eine gesunde Portion Unrealismus sind die mitgehörten, halböffentlichen Gespräche im Café, in der S-Bahn oder auf dem Büroflur: Selbst wenn jemand bei einer solchen Gelegenheit etwas wirklich Spannendes erzählt, würden wir das so nicht drucken wollen. Es ist zu inkonsistent, zu wirr, zu sehr Rohmaterial.

Was nicht heißt, dass gute Dialoge nicht wirr und roh sein können. Durchaus. Aber eben an den richtigen Stellen, im richtigen Maß, mit gutem Grund – also weil du als Autorin sie so konstruiert hast.

3. Figuren spracclich unterscheiden

„Voll krass.“
„Ja, mega.“
„Shit, da hinten kommt Herr Opitz!“
„Na, Kids? Mega Wetter, oder?“

fiktives Beispiel

Es gibt sie nicht nur im Dialog, aber hier tritt sie direkt und schonungslos zutage: die Stimme deiner Figuren. Je nach Alter, Milieu, Geschlecht, Träumen, Ängsten und vielem mehr sprechen sie mit einer anderen Stimme. Und zwar ausnahmlos, jede einzelne Figur. Denn auch wenn die Kassiererin an der gotttverlassenen Tankstelle irgendwo im ausgedörrten Hinterland nur eine Zeile Text hat, ist sie ein Individuum mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Sie kann nicht so sprechen wie der Mathematik-Professor, der sich zu ihr an die Theke verirrt hat.

Gleiches gilt für Herrn Opitz. Der offenbar deutlich älter als die beiden Jugendlichen ist, und in irgendeinem Sinne eine Autoritätsperson. Der einzige plausible Grund, ihn hier so sprechen zu lassen, wie die ihm unterstellten Kinder, ist eine ausgeprägte Midlife Crisis. Das wäre dann guter Dialog. Sonst ist es falsch.

4. Bescheidene Inquits verwenden

Ein Inquit, das ist eine die wörtliche Rede begleitende Formel. Bei Dialogen sind Inquits also gezwungenermaßen allgegenwärtig. Etwa bei: „Du spinnst doch“, sagte er. Doch Autoren lieben das Ausschweifende. Das Üppige. Deshalb lassen sie sich oft dazu verleiten, auf den schmalen Schultern der Inquits tonnenweise Ballast abzuwerfen. Das sieht dann schnell so aus:

„Ich kann nicht glauben, dass du das gerade gesagt hast“, stellte sie mit hochrotem Kopf fest.
„Hab ich aber!“, donnerte Hans trotzig.
„Du machst es nicht besser“, jaulte sie beinahe wehleidig.

fiktives Beispiel

Überfrachtete Inquits in jeder Zeile. Das Tückische an diesen Inquits ist, dass sie dem Gesagten die Kraft nehmen. Sie ziehen die Aufmerksamkeit des Lesers auf sich. Und sind, in all ihrer Deutlichkeit, dabei streng genommen Fälle von Infodump und/oder des berühmten „Show, don’t tell“. Denn dass Jack hier trotzig donnert, hat der Dialog schon gezeigt – „Hab ich aber!“ ist eine wunderbar kindisch-trotzige Zeile. Die wird hier nun aber einkassiert, beschnitten, für nebensächlich erklärt.

Dabei verstoßen diese Inquits auch gegen ein Grundgebot des Erzählens: Überfrachte den Leser nicht mit Eindrücken. Er kommt sonst nicht mit. Und, noch schlimmer: Es entstehen keine Bilder in seinem Kopf. Wie es anders geht, zeigt die redigierte Version des Dialogs:

„Ich kann nicht glauben, dass du das gerade gesagt hast.“ Ihr Gesicht lief rot an.
„Hab ich aber!“, brüllte Hans. Die kleinen Arme hatte er in die Hüften gestemmt.
„Du machst es nicht besser.“

fiktives Beispiel

Das ist natürlich keine Hochliteratur, aber auf einmal doch Literatur. Durch das Kürzen der Inquits kriegt der Dialog Platz zum Atmen. Verloren geht dabei nichts. Und du als Autor gewinnst Raum zur Entfaltung: die kleinen, in die Hüften gestemmten Arme – das ist ein Bild! Der trotzig donnernde Hans ist keins.

Es gibt noch eine weitere Besonderheit bei Inquits. In ihrer guten, bescheidenen Form (sagte sie, flüsterte er, wurde er gefragt) können sie trotzdem noch grundfalsch daherkommen. Nämlich dann, wenn du als Autorin allzu kreativ wirst. Also den durch die Kürzung gewonnenen Platz gleich wieder breitbeinig mit den Inquits besetzen willst: donnerte Hans, lachte sie, ließ er sie wissen.

Hier werden Verben benutzt, die die Handlung (jemand sagt etwas) allzu blümerant ausdrücken, also ebenfalls ganz viel Bedeutung mitbringen, die a) stört, siehe oben oder b) keinen Sinn ergibt. Oder hast du schon mal einen Satz gelacht? Eine Antwort genickt („Das geht“, nickte sie)? Ich fürchte nein.

Wie aber soll man das dann machen, die Sache mit den Inquits? Ganz einfach, zum Beispiel so:

Dann hörte der Motor auf zu brummen, und draußen schrie eine Stimme: „Die Toten hierhin, habt ihr Tote dabei?“
„Verflucht“, rief der Fahrer zurück, „verdunkelt ihr schon nicht mehr?“
„Da nützt kein Verdunkeln mehr, wenn die ganze Stadt wie eine Fackel brennt“, schrie die fremde Stimme. „Ob ihr Tote habt, habe ich gefragt!“
„Weiß nicht.“
„Die Toten hierhin, hörst du? Und die anderen die Treppen hinauf in den Zeichensaal, verstehst du?“
„Ja, ja.“
Aber ich war noch nicht tot, ich gehörte zu den anderen, und sie trugen mich die Treppe hinauf.

Heinrich Böll – „Wanderer, kommst du nach Spa …“

Rief, schrie, und oftmals auch einfach gar kein Inquit. So einfach kann es sein. Und doch so gehaltvoll. Der Trick ist: Vertraue deinen Worten und vertraue deinen Lesern. Wenn es gut geschrieben ist, wird es verstanden werden. Wenn es nicht gut geschrieben ist, werden aufgeschwemmte Inquits es nicht retten.

5. Nutze Beschreibungen

Dialoge können ein Feuerwerk sein. Knall, Boom, Peng! Dann braucht es kaum mehr als die Dialogzeilen selbst. Doch dafür bedarf es bestimmter Voraussetzungen. Vor allem muss hinreichend klar sein, wer spricht. Und wer bedeutet in dem Fall nicht nur, welche Figur, sondern auch, wer diese Figur ist. Ist das noch nicht etabliert, sind Beschreibungen zwischen den Dialogzeilen eine hervorragende Möglichkeit, die Figur zu charakterisieren:

„Und ihre Mutter, was tat ihre Mutter in solchen Situationen?“
Da war eine Macke im Linoleum-Boden, eine dicke, schwarze Macke, Jürgen konnte sie von seinem Platz aus deutlich sehen.
„Sie weinte.“
„Machte es das schlimmer?“
„Lauter. Es war ein lautes Weinen.“ Am liebsten hätte er eine Walnuss darin verrieben, farblich hätte das gepasst und sich mit der Zeit festgetreten. Vielleicht sollte er nächstes Mal eine mitbringen.
„Gibt es etwas, das Sie sich in diesen Momenten von ihr gewünscht hätten?“ Jürgen sah auf.
„Ja, ich … das Küchenmesser.“

fiktives Beispiel

Das könnte der Anfang eines Romans sein. Natürlich trägt hier der Dialog, vor allem die Fragen des Gegenübers, die inhaltliche Hauptlast. Aber die Beschreibungen charakterisieren Jürgen, etwas, das die Dialogzeilen selbst nicht leisten können. Und so beginnt der Leser sich für Jürgen zu interessieren. Nicht allein deshalb, weil er offenbar eine schlimme Kindheit hatte. Schlimme Kindheiten gibt es viele. Aber diese eine hier, Jürgens schlimme Kindheit, die Kindheit des Mannes, der sich Gedanken über eine Macke im Linoleum macht, während er darüber ausgefragt wird – die ist interessant.

Was für Figuren gilt, gilt natürlich auch für die Welt deiner Geschichte. Auch sie kann in eingeschobenen Beschreibungen beiläufig während deines Dialogs charakterisiert werden.

Hast du einen Text geschrieben, der von einem Lektorat profitieren könnte? Informiere dich über alles, was du über das Lektorat literarischer Texte wissen musst. Oder schicke deinen Text an kontakt@lektorat-bauer.de und erhalte ein kostenloses Probelektorat samt unverbindlichem Angebot.
Deine Daten werden vertraulich behandelt.

Kategorien
Talking Story

Once Upon a Time In… Hollywood [Analyse]

[Massive Spoiler voraus]

Quentin Tarantinos Schaffen ist ein ganzes eigenes Buch wert (vielleicht schreibe ich das noch). Wer sein Werk chronologisch verfolgt, wird eine Steigerung erkennen. Von der Lust an der Unterhaltung über Herzensprojekte, die bestimmte Kino-Traditionen abfeiern, steigern sich seine Filme spätestens mit Inglourious Basterds zunehmend zu gehaltvollen Studien bestimmter Themen: Die Macht des Kinos (Basterds), der Preis der Zivilisation (Hateful Eight). Sein bislang letztes Werk Once Upon a Time In… Hollywood legt noch eine Schippe drauf.

Arbeit am Mythos

Sharon Tate sitzt in Gestalt von Margot Robbie im Kino und sieht sich ihren eigenen Film an. Auf der Leinwand erscheint die echte Sharon Tate. Robbies Tate erfreut sich an deren Schauspiel und den Reaktionen des Publikums. Während sich die echte Tate vor dem echten Dean Martin zum Affen macht, gewinnt man als Zuschauer die leise Ahnung, dass die echte Tate nichts Außergewöhnliches hatte und nicht annähernd an die Anmut Margot Robbies heranreicht. Der Film im Film, ein Motiv, das aus Inglourious Basterds bekannt ist, bricht so in Tarantinos achtem Film genau das auf, was er auf der Oberfläche nostalgisch zu verherrlichen scheint: den Mythos Hollywood.

Filme im Film

DiCaprios Rick Dalton dabei zuzusehen, wie er am Western-Set einen Bösewicht mimt, also eigentlich DiCaprio als diesen Bösewicht zu sehen, bis er schließlich nach einer halben Ewigkeit endlich den Text vergisst und der Zuschauer fast erlöst zurück in den eigentlichen Film findet, hinaus aus dem Film im Film, durchbricht die vierte Wand noch radikaler. Sie ist durchbrochen und gleichzeitig nicht, denn der Hauptfilm umschließt diesen Durchbruch wie eine schützende Plasikfolie.

Das erzeugt ein Gefühl von Dankbarkeit, Dank dafür, zurück in der gewählten Welt zu sein. Tarantino präsentiert so das Destillat des Kinogangs auf dem Silbertablett: die Weltflucht. Eine eigentlich triviale Erkenntnis. Er ergänzt sie aber um die oft übersehene Tatsache, dass Weltflucht immer auch bedeutet, in eine andere Welt eintauchen zu müssen, sofern die Weltlosigkeit und damit der Suizid keine Optionen sind. Once Upon a Time in… Hollywood ist eine Hymne an diese anderen Welten und schwelgt in seiner akribischen Versessenheit auf Kulissen und Ausstattung geradezu in deren Macht.

Eskapismus dank realer Anleihen

Doch das Ganze liegt noch wahnwitziger. Der Film mutet nur deshalb zeitweise wie eine Geschichte an, weil man meint, ihren Ausgang zu kennen. So gesehen beginnt Tarantinos Film noch lange vor den Opening Credits. Nämlich als er bekannt gibt, dass sich der Film lose mit den Morden an Sharon Tate und ihren Freunden befasst. Ein reales Ereignis lauert so im Hintergrund des mäandernden Leinwandgeschehens und gibt diesem, in dem es selbst die vierte Wand in die andere Richtung durchbricht, überhaupt eine Art von Suspense, von Erwartungen und damit Konsumierbarkeit. Die Grenze zwischen den beiden Welten verwischt also, Fiktion blendet über in Realität und umgekehrt.

Dieses wahnwitzige Experiment geht nie ganz auf, weil Tarantino vor allem im Mittelteil eine Spur zu viel ins Risiko geht und die Immersion letztlich abreißt, als der Zuschauer sich an die opulenten Bilder und den kalifornischen Vibe gewöhnt hat. Aber es führt geradewegs zur eigentlichen Pointe dieses kino-intellektuellen Turmbaus zu Babel: Am Ende war alle Anspannung umsonst, denn die Tate-Morde finden nicht statt. Am Ende wird hier ein Märchen erzählt, verdammt nochmal, lest den Titel, und der Film findet zu sich selbst, weil er zum ersten Mal überhaupt ganz Film wird.

Kein Schauspiel eines Schauspielers, das von einem Schauspieler gespielt wird, keine eigens abgedrehten, vermeintlichen Retroschinken im Fernseher, kein Bruch mit der vierten Wand mehr – und gerade deshalb: Katharsis. Katharsis im doppelten Sinne also, denn nicht nur die Tate-Morde bleiben aus, auch der Film beginnt endlich. Sprich das Kino darf endlich seine Macht entfalten, die ja letztlich in nichts anderem gründet als in seiner Fähigkeit, die Realität zurechtzubiegen und Märchen lebendig werden zu lassen (auch hier lässt Inglourious Basterds grüßen).

Tarantino auf der dritten Meta-Ebene

Paradoxerweise gerinnt der finale Akt so zum Fremdkörper im Film (abermals ein Film im Film also), weil er so ganz Film sein darf. Die besten Szenen, die diesen letzten 30 Minuten vorangehen, sind folgerichtig ebenfalls jene, in der sich erzählerische Episoden vollziehen dürfen, Brad Pitts Cliff Booth auf der Hippie-Ranch, Cliff Booth und sein Pitbull, Bruce Lee am Set. In diesen Szenen ist Tarantino ganz Tarantino. Doch was ihm an Altersmilde glücklicherweise abgeht, hat er an Wahnwitz dazugewonnen, weshalb Once Upon a Time in… Hollywood gerade kein Episodenfilm ist wie seine größten Meisterwerke (Pulp Fiction, Inglorious Basterds). Die Episoden durchbrechen das beinahe Dokumentarische, das Geplänkel, die Arbeit am Mythos.

So muss auch die herrliche Denunziation des realen Bruce Lee verstanden werden, verkörpert durch einen fiktiven Bruce Lee, der so verflucht echt aussieht, dass der Moment, in dem er sich die Sonnenbrille vom Gesicht reißt, selbst schon zu einem Bruch mit der vierten Wand wird: Achso, das ist gar nicht der Echte! Bruce Lee muss als Mythos ebenso wie Hollywood, Sharon Tate, Polanski („jung, talentiert, verweichlicht“) und Hippietum der Lächerlichkeit preisgegeben werden, damit der Film auf seine eigentliche Aussage zulaufen kann: Die Realität wird bevölkert von tausend kleinen Göttern – ehrlich macht sich dabei nur das Kino, das nie den Anspruch erhebt, real zu sein. Eine Welt bestehend aus Lügen, in der nicht gelogen wird.

Eine Feier des Kinos

Daher fällt die Wahl des Helden auf denjenigen, dessen Beruf es ist, sogar in der absoluten Fiktion, im Hollywoodfilm, noch eine Fiktion aufrechtzuerhalten: Stuntman Cliff Booth. Cliff steht über den Dingen, haust hinter der Leinwand eines Autokinos in einem Trailer mit seinem Pitbull und scheint ganz und gar zufrieden. Selbst ein LSD-Trip führt ihn nicht ins Abseitige, die halluzinogene Droge nicht zur Verblendung. „Seid ihr überhaupt echt?“, wirft Cliff den Manson-Mördern mit einer Lakonie an den Kopf, die seit Indiana Jones Absage an einen Säbelkampf nicht auf Leinwand zu sehen war.

Natürlich nicht, aber, und das ist die ganze Farce auf den Punkt gebracht, doch „So echt wie ein scheiß Donut!“, wie ihm mit geladener Waffe versichert wird. Das enthemmte Lachen des 55-jährigen Brad Pitts legt sich warm um die Schulter des Zuschauers. Endlich einer, der sich nicht am eigenen Mythos abarbeitet und keinem fremden aufsitzt. Nur ein solcher Mann kann das Angebot eines Blowjobs von Hippiemädchen Pussycat ablehnen, ist Sex mit schönen jungen Mädchen doch auch immer Arbeit am eigenen Mythos.

Herabgesetzte Hippies

Prominentestes Ziel der ganzen Demystifizierung ist aber die Hippiebewegung. „Fuckin‘ Hippies!“ brüllen Cliff und Rick abwechselnd und als letzterer in ein Kostüm mit Hippie-Optik schlüpfen soll, kann er das kaum ertragen. Von Freiheit oder Liebe statt Krieg machen ist bei den auftretenden Blumenmenschen derweil nichts zu spüren. Das hat seine Gründe: Mit Once Upon a Time in… Hollywood bebildert Tarantino einen Wendepunkt der Bewegung. An jenem 9. August 1969 endeten die 60er-Jahre, wie die amerikanische Autorin Joan Didion einmal gesagt hat. Die Manson-Family, irrgeleitete Hippiekinder, ermorden fünf Menschen und schmieren mit dem Blut ihrer Opfer das Wort „Pig“ an die Wand, bei einem anderen Mord auch Songtitel der Beatles, „Helter Skelter“. Im Film hausen sie auf einer ehemaligen Film-Ranch, deren blinden Besitzer sie kaltgestellt haben. „Sie liebt mich!“, entgegnet dieser seinem alten Kumpel Cliff, als der ihm die Augen öffnen will und sitzt selbst erblindet noch einem Mythos auf.

Sektenführer Charles Manson zeigt Tarantino dabei als das einzige unangetastete Mysterium. Keine 10 Sekunden ist er auf der Leinwand zu sehen, aber immer präsent. „Warte nur, bis du Charlie kennenlernst!“, säuselt das Hippiemädchen Cliff ins Ohr, während 5.000 Kilometer entfernt amerikanische Soldaten bei der Ankunft in Vietnam denselben Satz zu hören, aber Charlie (US-Codename für die Vietcong) ebenfalls kaum vor die Linse kriegen. Die Freiheit, von der die Hippies träumen, schließt eine Welt ohne Mythen ein. Aber kaum sind die alten eingerissen, erheben sich neue, nicht weniger falsche aus der Asche: Death to piggies.

Wer ist dein Stuntman?

Die Aufgabe, vor der DiCaprios Rick Dalton steht und die tatsächlich so etwas wie einen Plot konstruiert, reiht sich in all die Arbeit am Mythos ein. Er muss damit aufhören, ständig seinen eigenen Mythos kreieren zu wollen. Stotternd kriecht er durch sein reales Leben, um vor der Kamera Figuren zum Leben zu erwecken, die nicht weiter von dem entfernt sein könnten, was er eigentlich ist. Selbstzweifel zerfressen seine Künstlerseele. Sie betreffen jedoch nicht so sehr sein schauspielerisches Talent, sondern vielmehr die Frage, was er als Star, also als Mythos, verkörpert. „I’m a has-been“, verzweifelt er an Cliffs starker Schulter, der ihm notfalls auch die Fernsehantenne repariert und durch L.A. spazieren fährt, kurz: der längst auch im realen Leben alle Momente der Wahrhaftigkeit für ihn übernimmt.

Als die Hippies schließlich in sein Zuhause eindringen, gewinnt Rick plötzlich seine Tatkraft zurück. Er eilt in den Geräteschuppen und kehrt mit einem Flammenwerfer zurück, eine alte Filmrequisite, die ihm damals noch zu heiß war, und fackelt die Hippies über den Haufen. Der Kinosaal bricht in dieser Szene in schallendes Gelächter aus, weil niemand erwartet, dass der verzagte, Margeritas trinkende Rick tatsächlich zu so etwas in der Lage ist: Wenn Cliff den Abend nicht rettet, bricht die Hölle los.

Rick muss seinen Mythos preisgeben

Aber Cliff fährt verletzt im Krankenwagen davon. Rick bleibt zurück und verfängt sich nach seiner Verwandlung prompt in so etwas wie einem Leben. Sharon Tate fragt über den Türsprecher was los war und lädt ihn zu sich ein. Cliff wird nun nicht länger gebraucht, weil Rick endlich bei sich angekommen ist. Die Kamera erhebt sich in die Vogelperspektive. Sharon umarmt Rick als hätten sich zwei endlich gefunden, als hätte Rick nun endlich auch etwas von diesem unwiderstehlichen Charisma, das nur die Menschen haben, die ganz bei sich sind. Wie Margot Robbies Sharon Tate, aber offensichtlich nicht die Echte. Katharsis Nummer 3.

Und natürlich bleibt das alles ein Märchen, Once upon, denn in der Realität gibt niemand so schnell die eigenen Mythen auf, schon gar nicht die, die ihn selbst betreffen. Und natürlich gerieten die Hippies in dieser Nacht des 9. August 1969 nicht an Cliff Booth und Rick Dalton. Aber mit der Kinokarte hat der Zuschauer sich ja gerade das gekauft: Ein Ticket in eine andere Welt, weil Weltlosigkeit keine Option ist. Anders gesagt: Solange wir ins Kino gehen, geht es irgendwie weiter. Davon handelt Once Upon a Time in… Hollywood auf einer vertrackten Meta-Ebene. Ein paar Stufen Himmelsleiter weiter unten ist es ein Film über die todbringende, lähmende Kraft von Mythen.

Takeaways

  • Wenn du deinem Protagonisten einen Verbündeten an die Seite stellst, wähle ihn weise: Woran mangelt es deinem Helden?
  • Es gibt nicht zu viele Meta-Ebenen, nur zu wenig funktionierenden Plot
  • Episoden können grandios sein, aber das höchste Level des Erzählens ergibt sich immer aus ihrem Zusammenspiel
  • Die Historie ist dein Verbündeter, wenn es um Suspense, Dramatik und Erwartungen geht

Manche Dinge müssen einfach gesagt werden. Das macht es dir als Autorin mitunter leichter. Aber manchmal auch verdammt schwer. Denn gute Dialoge zu schreiben, will gelernt sein. In diesem Artikel erfährst du alles über die größten Fallstricke beim Verfassen deiner Dialogszenen – und wie du es richtig machst.

1. Realistisch bleiben!

Sich an der Realität zu orientieren, ist auch beim Schreiben von Dialogen ein guter erster Rat. Aber was heißt das konkret? Zunächst einmal solltest du deine Figuren nicht so sprechen lassen, wie du denkst, dass Menschen oder genauer, Menschen ihres Schlages, sprechen. Was das bedeutet? Stell dir vor, wie Stefan Raab sich über Rapper lustig macht: „Ey yo, Bruder, was geht ab, alter! Fetter Scheiß, yo!“ Genau so solltest du deine Rapper nicht sprechen lassen. Das ist klischeebeladen, aber vor allem ist es: unrealistisch. Es reißt den Leser aus der Geschichte.

Stattdessen solltest du dir erstmal Interviews mit Rappern anschauen, Kool Savas hören und ein Rap-Battle auf YouTube anschauen. Dann wirst du schnell merken, dass diese Leute durchaus eine eigene Sprache sprechen. Aber eben keine Stefan-Raab-Fantasiesprache. Sondern ihre, seit Jahrzehnten gewachsene, mit ihrer Kultur verwobene Sprache. Gleiches gilt für jedes andere Milieu: Die Bankentürme in Frankfurt Main, den tiefen Pott der Backsteinsiedlungen oder das Bundeskanzleramt.

Von der generellen Sprache deiner Figuren abgesehen, gibt es noch einen weiteren, sehr beliebten, unrealistischen Fehler beim Dialoge schreiben:

„Hallo Max, wie geht es dir?“
„Ganz gut, Timo, danke.“
„Gehst du heute noch raus, Max?“
„Mal sehen, was Mama sagt, Timo.“

fiktives Beispiel

Du hast es bereits erraten: Lass deine Figuren nicht dauernd ihre Namen sagen. Wir tun das nicht. Im Gegenteil: Psychologen haben herausgefunden, dass wir es sehr mögen und unser Gegenüber sympathisch finden, wenn es oft unseren Namen sagt. Weil es eben nicht der Normalfall ist.

2. Unrealistisch bleiben!

Ha, erwischt! Du dachtest wohl, Dialoge zu verfassen, sei eine einfache, widerspruchslose Angelegenheit. Weit gefehlt. Denn so sehr wir Realismus benötigen, um den Äußerungen unserer Figuren das nötige Maß an Authentizitä und Glaubwürdigkeit zu verleihen, so sehr benötigen wir Unrealismus um die Leser zu interessieren:

„Ja, manchmal ist mir, als ob ich selber hinter mir herliefe. Ich will davon! Vor mir selber davonlaufen. Aber ich kann nicht! Kann mir nicht entkommen. Muss … muss den Weg gehen, den es es mich jagt! Und rennen … rennen, endlose Straßen! Ich will weg, ich will weg! Und mit mir rennen die Gespenster … von Müttern, von Kindern. Die gehen nie mehr weg.

Fritz Lang – „M – Eine Stadt sucht ihren Mörder“

Natürlich würden wir nie so reden. Die Sprache ist hier dem Milieu entsprechend (ein mittelloser Mörder) einfach gehalten, aber deswegen nicht weniger gemacht. Sie bedient sich eines eindrücklichen Bildes, das sie mit betörender Effektivität ausführt. Aber wann reden wir schon in Bildern? Doch erst recht nicht vor einem wütendem Mob. Und überhaupt, wer sollte uns dabei zuhören?

Aber das ist ja gerade der Trick: Der Leser hört zu. Das verschafft dir als Autor die Freiheit, auszuholen. Und nimmt dich in die Pflicht, nicht bei der Realität stehenzubleiben, sondern zu konstruieren, zu modellieren, zu erschaffen.

Der Gradmesser für eine gesunde Portion Unrealismus sind die mitgehörten, halböffentlichen Gespräche im Café, in der S-Bahn oder auf dem Büroflur: Selbst wenn jemand bei einer solchen Gelegenheit etwas wirklich Spannendes erzählt, würden wir das so nicht drucken wollen. Es ist zu inkonsistent, zu wirr, zu sehr Rohmaterial.

Was nicht heißt, dass gute Dialoge nicht wirr und roh sein können. Durchaus. Aber eben an den richtigen Stellen, im richtigen Maß, mit gutem Grund – also weil du als Autorin sie so konstruiert hast.

3. Figuren spracclich unterscheiden

„Voll krass.“
„Ja, mega.“
„Shit, da hinten kommt Herr Opitz!“
„Na, Kids? Mega Wetter, oder?“

fiktives Beispiel

Es gibt sie nicht nur im Dialog, aber hier tritt sie direkt und schonungslos zutage: die Stimme deiner Figuren. Je nach Alter, Milieu, Geschlecht, Träumen, Ängsten und vielem mehr sprechen sie mit einer anderen Stimme. Und zwar ausnahmlos, jede einzelne Figur. Denn auch wenn die Kassiererin an der gotttverlassenen Tankstelle irgendwo im ausgedörrten Hinterland nur eine Zeile Text hat, ist sie ein Individuum mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Sie kann nicht so sprechen wie der Mathematik-Professor, der sich zu ihr an die Theke verirrt hat.

Gleiches gilt für Herrn Opitz. Der offenbar deutlich älter als die beiden Jugendlichen ist, und in irgendeinem Sinne eine Autoritätsperson. Der einzige plausible Grund, ihn hier so sprechen zu lassen, wie die ihm unterstellten Kinder, ist eine ausgeprägte Midlife Crisis. Das wäre dann guter Dialog. Sonst ist es falsch.

4. Bescheidene Inquits verwenden

Ein Inquit, das ist eine die wörtliche Rede begleitende Formel. Bei Dialogen sind Inquits also gezwungenermaßen allgegenwärtig. Etwa bei: „Du spinnst doch“, sagte er. Doch Autoren lieben das Ausschweifende. Das Üppige. Deshalb lassen sie sich oft dazu verleiten, auf den schmalen Schultern der Inquits tonnenweise Ballast abzuwerfen. Das sieht dann schnell so aus:

„Ich kann nicht glauben, dass du das gerade gesagt hast“, stellte sie mit hochrotem Kopf fest.
„Hab ich aber!“, donnerte Hans trotzig.
„Du machst es nicht besser“, jaulte sie beinahe wehleidig.

fiktives Beispiel

Überfrachtete Inquits in jeder Zeile. Das Tückische an diesen Inquits ist, dass sie dem Gesagten die Kraft nehmen. Sie ziehen die Aufmerksamkeit des Lesers auf sich. Und sind, in all ihrer Deutlichkeit, dabei streng genommen Fälle von Infodump und/oder des berühmten „Show, don’t tell“. Denn dass Jack hier trotzig donnert, hat der Dialog schon gezeigt – „Hab ich aber!“ ist eine wunderbar kindisch-trotzige Zeile. Die wird hier nun aber einkassiert, beschnitten, für nebensächlich erklärt.

Dabei verstoßen diese Inquits auch gegen ein Grundgebot des Erzählens: Überfrachte den Leser nicht mit Eindrücken. Er kommt sonst nicht mit. Und, noch schlimmer: Es entstehen keine Bilder in seinem Kopf. Wie es anders geht, zeigt die redigierte Version des Dialogs:

„Ich kann nicht glauben, dass du das gerade gesagt hast.“ Ihr Gesicht lief rot an.
„Hab ich aber!“, brüllte Hans. Die kleinen Arme hatte er in die Hüften gestemmt.
„Du machst es nicht besser.“

fiktives Beispiel

Das ist natürlich keine Hochliteratur, aber auf einmal doch Literatur. Durch das Kürzen der Inquits kriegt der Dialog Platz zum Atmen. Verloren geht dabei nichts. Und du als Autor gewinnst Raum zur Entfaltung: die kleinen, in die Hüften gestemmten Arme – das ist ein Bild! Der trotzig donnernde Hans ist keins.

Es gibt noch eine weitere Besonderheit bei Inquits. In ihrer guten, bescheidenen Form (sagte sie, flüsterte er, wurde er gefragt) können sie trotzdem noch grundfalsch daherkommen. Nämlich dann, wenn du als Autorin allzu kreativ wirst. Also den durch die Kürzung gewonnenen Platz gleich wieder breitbeinig mit den Inquits besetzen willst: donnerte Hans, lachte sie, ließ er sie wissen.

Hier werden Verben benutzt, die die Handlung (jemand sagt etwas) allzu blümerant ausdrücken, also ebenfalls ganz viel Bedeutung mitbringen, die a) stört, siehe oben oder b) keinen Sinn ergibt. Oder hast du schon mal einen Satz gelacht? Eine Antwort genickt („Das geht“, nickte sie)? Ich fürchte nein.

Wie aber soll man das dann machen, die Sache mit den Inquits? Ganz einfach, zum Beispiel so:

Dann hörte der Motor auf zu brummen, und draußen schrie eine Stimme: „Die Toten hierhin, habt ihr Tote dabei?“
„Verflucht“, rief der Fahrer zurück, „verdunkelt ihr schon nicht mehr?“
„Da nützt kein Verdunkeln mehr, wenn die ganze Stadt wie eine Fackel brennt“, schrie die fremde Stimme. „Ob ihr Tote habt, habe ich gefragt!“
„Weiß nicht.“
„Die Toten hierhin, hörst du? Und die anderen die Treppen hinauf in den Zeichensaal, verstehst du?“
„Ja, ja.“
Aber ich war noch nicht tot, ich gehörte zu den anderen, und sie trugen mich die Treppe hinauf.

Heinrich Böll – „Wanderer, kommst du nach Spa …“

Rief, schrie, und oftmals auch einfach gar kein Inquit. So einfach kann es sein. Und doch so gehaltvoll. Der Trick ist: Vertraue deinen Worten und vertraue deinen Lesern. Wenn es gut geschrieben ist, wird es verstanden werden. Wenn es nicht gut geschrieben ist, werden aufgeschwemmte Inquits es nicht retten.

5. Nutze Beschreibungen

Dialoge können ein Feuerwerk sein. Knall, Boom, Peng! Dann braucht es kaum mehr als die Dialogzeilen selbst. Doch dafür bedarf es bestimmter Voraussetzungen. Vor allem muss hinreichend klar sein, wer spricht. Und wer bedeutet in dem Fall nicht nur, welche Figur, sondern auch, wer diese Figur ist. Ist das noch nicht etabliert, sind Beschreibungen zwischen den Dialogzeilen eine hervorragende Möglichkeit, die Figur zu charakterisieren:

„Und ihre Mutter, was tat ihre Mutter in solchen Situationen?“
Da war eine Macke im Linoleum-Boden, eine dicke, schwarze Macke, Jürgen konnte sie von seinem Platz aus deutlich sehen.
„Sie weinte.“
„Machte es das schlimmer?“
„Lauter. Es war ein lautes Weinen.“ Am liebsten hätte er eine Walnuss darin verrieben, farblich hätte das gepasst und sich mit der Zeit festgetreten. Vielleicht sollte er nächstes Mal eine mitbringen.
„Gibt es etwas, das Sie sich in diesen Momenten von ihr gewünscht hätten?“ Jürgen sah auf.
„Ja, ich … das Küchenmesser.“

fiktives Beispiel

Das könnte der Anfang eines Romans sein. Natürlich trägt hier der Dialog, vor allem die Fragen des Gegenübers, die inhaltliche Hauptlast. Aber die Beschreibungen charakterisieren Jürgen, etwas, das die Dialogzeilen selbst nicht leisten können. Und so beginnt der Leser sich für Jürgen zu interessieren. Nicht allein deshalb, weil er offenbar eine schlimme Kindheit hatte. Schlimme Kindheiten gibt es viele. Aber diese eine hier, Jürgens schlimme Kindheit, die Kindheit des Mannes, der sich Gedanken über eine Macke im Linoleum macht, während er darüber ausgefragt wird – die ist interessant.

Was für Figuren gilt, gilt natürlich auch für die Welt deiner Geschichte. Auch sie kann in eingeschobenen Beschreibungen beiläufig während deines Dialogs charakterisiert werden.

Hast du einen Text geschrieben, der von einem Lektorat profitieren könnte? Informiere dich über alles, was du über das Lektorat literarischer Texte wissen musst. Oder schicke deinen Text an kontakt@lektorat-bauer.de und erhalte ein kostenloses Probelektorat samt unverbindlichem Angebot.
Deine Daten werden vertraulich behandelt.

Kategorien
Talking Story

Star Wars: Herkunft und Schicksal [Analyse]

[Massive Spoiler voraus]

Der epischste Vater-Sohn-Konflikt aller Zeiten spielt sich im Weltraum ab. Luke Skywalker will werden wie sein Vater vor ihm, und, wie sich herausstellt, bedeutet das, gerade nicht so zu werden wie sein Vater (deshalb ist es der beste Plottwist aller Zeiten!). Dieser wiederum bemüht sich, seinen Sohn genau dazu zu verleiten. Einer Versuchung, der Luke nur widerstehen kann, in dem er den Glauben an seinen Vater als Idol aufrechterhält: „Es gibt noch Gutes in ihm.“ Dieser grandiose Plot legt die Basis für zwei wesentliche Begriffe im Star-Wars-Universum: Herkunft und Schicksal.

Jenseits der Biologie

Der Krieg der Sterne war stets mehr Mythologie als Parabel. Die naheliegende Metaphorik eines Herr der Ringe war in der Geschichte über Luke Skywalker nie zu finden. Schon weil eine Rassenlehre à la Tolkien in George Lucas‘ Galaxie keinen Platz hatte. Die Menschen waren weder habgierig noch leicht zu verführen, ebenso wenig gab es eine Rasse, die in Würde und Erhabenheit mit den Elben vergleichbar gewesen wäre, im Gegenteil: der Jedi-Orden war ein Meltingpot, die Macht eine universelle Kraft zwischen allem Lebendigen.

Auch die den Geschichten übergeordneten Bedrohungen – der Ring der Macht und der Todesstern – unterscheiden sich fundamental hinsichtlich ihrer Dimension. Der Todesstern ist lediglich eine Waffe, die ultimative Vernichtungsmaschine, aber alle Ähnlichkeit mit der Atombombe verschwindet hinter der völligen Abwesenheit einer Ambivalenz. Nie kommen die Rebellen oder die Jedi auf die Idee, selbst den Todesstern besitzen zu wollen. Der Ring der Macht hingegen entpuppt sich als Bürde für jeden, dem er in die Hände fällt. Am meisten für die Rasse der Menschen, die davon träumen, ihn selbst in der Schlacht einzusetzen und unfähig sind, ihn zu vernichten, als sich ihnen die Chance bietet.

Mythische Macht

So wenig wie es im Krieg der Sterne eine biologische Dimension gibt, an deren Grenzlinien Kriege verlaufen könnten, existiert eine territoriale Unterscheidung: Der Krieg der Sterne ereignet sich im leeren Raum. Jeder Planet, der zum Schauplatz des Krieges wird, wird nur besucht, nie besessen. Stellvertreterkrieg reiht sich an Stellvertreterkrieg. Diese Schwerelosigkeit nimmt den Filmen einen weiteren Bezugsrahmen. Hier stirbt niemand für ein Königreich, hier wird keine menschliche Eitelkeit verhandelt. Streng genommen kommt selbst dem Imperium in dieser Schwerelosigkeit jedes konkrete Ziel abhanden. Der Imperator möchte die Rebellen vernichten, aber darüber hinaus gibt es kein Objekt der Begierde, keine ideologische Utopie. Die Herrschaft über die gesamte Galaxis lautet das totale Ziel, total und leer – und daher absolut böse.

Berufsarmeen ohne Emotionen

Die Klonkrieger und Sturmtruppen sind in ihrer Anonymität derweil so austauschbar, dass die Armee des Imperiums als formvollendete Berufsarmee daherkommt. Niemand wurde zu den Waffen gelockt, keine Brandrede hat Kampfeslust entfacht. Die berüchtigte Treffunsicherheit der Sturmtruppen steht dem nur auf den ersten Blick paradox entgegen. Die Professionalisierung des Heeres erspart den Generälen das Emotionsmanagement, aber sie kostet jede Euphorie. Das Gernetöten ist von diesen Schlachtfeldern verschwunden, vom Imperator selbst einmal abgesehen. Die Jedi wiederum reihen sich aus anderen Gründen in diese Emotionslosigkeit ein: Emotionen verführen.

Die Rebellen kämpfen ihrerseits nur gegen das Imperium, nicht aber für eine konkrete Vorstellung von galaktischem Leben. Allenfalls für sehr naive Begriffe von Freiheit und Republik, schwerelos in ihrer Verzweiflung und doch unverzagt: das absolut Gute.

Ein apolitischer Konflikt

Den Jedi nun liegt das Gleichgewicht der Macht am Herzen. Sie sind die konservativen Hüter einer Ordnung, in der nicht alles gut ist, ja nicht einmal alles gleich, sondern nur diffus ausgewogen. Der Krieg dieser Sterne ist apolitisch. Darin liegt die größte Schwäche der Jedi, ihre ewige Achillesferse: Der Versuchung durch die dunkle Seite der Macht, dem Reiz der ungezügelten Herrschaft, der Emotionalität, können sie ideell nichts entgegensetzen als die stoische Ahnung, dass Zorn und Hass zwar mächtig sein mögen, das eigentliche gute Leben aber nur in einer emotionalen Kälte zu finden ist.

Die Weltflucht der Jedi

Nicht von ungefähr treten die Jedi-Ritter wiederholt als diejenigen in Erscheinung, die vom Krieg der Sterne nichts mehr wissen wollen, die nicht einmal mehr einen Schüler bei sich aufnehmen möchten. Obi-Wan Kenobi, Yoda und jetzt Luke Skywalker waren die mächtigsten Jedi ihrer Zeit, doch der Weisheit letzter Schluss blieb die Einöde, die Abkehr von der Welt und ihren Unwägbarkeiten.

Yoda und Obi-Wan erwischt der Zuschauer zwar nie dabei, wie sie zweifelnd dem Sog der dunklen Seite der Macht gegenüber stehen, aber womöglich ist das ihr einziger Vorsprung an Standfestigkeit gegenüber der langen Reihe an Jedi, die Zeugnis ablegten für die grundsätzliche Ambivalenz der Macht. Die dunkle Seite kann nicht besiegt werden, weil sie nicht mit dem Imperator in den Abgrund gestoßen werden kann. Sie existiert wie die gute Seite zwischen den Dingen und damit auch stets zwischen den Jedis und der Welt. Der letzte Triumph der alten Meister besteht immer wieder nur darin, das Zwischen aufzulösen, indem sie die Welt aus ihrem Dasein verabschieden.

Der Jedi-Orden als Erziehungsanstalt

Als Hüter des Gleichgewichts sind die Jedi freudsche Kinder: bewahren oder zerstören, der Urkonflikt der psychoanalysierten menschlichen Seele entzweit die Jedi, ohne sie je endgültig in zwei getrennte Lager aufzuspalten. Darth Vader bleibt bis zuletzt ein wenig Anakin Skywalker und selbst Luke findet in Episode 8 zurück zu der Furcht, die ihn fast dem Imperator ausgeliefert hätte. Die Jedi spüren das Unbehagen in der Kultur. Der Jedi-Orden fungiert so gesehen als ausgeklügeltes Erziehungsprojekt für besonders begabte und damit besonders gefährliche Zeitgenossen. Die Geburt eines Jedi ist nie ausschließlich der Keim einer neuen Hoffnung, immer schon wirft die Möglichkeit des Systemversagens ihren Schatten voraus. Biologie und Nation würden diesen universellen Dualismus nur einschränken, sie wären Störfaktoren in der den niederen Umständen enthobenen und damit mythischen Welt des Sternenkriegs.

Das Schicksal eines jeden Jedi

In diese Ambivalenz drängt nun allerdings doch eine uralte Kategorie: der lange Schatten des Schicksals. Der Krieg der Sterne ist auch eine große Geschichte über das Elternsein, über Vererbung, Abstammung und Zugehörigkeit. Auf der Mikroebene halten diese scheinbar nebensächlichen Kategorien wieder Einzug. Die Geschichte der Jedis verdichtet sich zu einem Stammbaum, die Faszination der Abstammung trägt ödipale Züge. Wer ist mein Vater, wer meine Mutter, das sind oftmals Fragen, deren Beantwortung Risiken birgt, aber auch Türen öffnet und vor allem: Schicksal mit sich bringt.

Im Krieg der Sterne ist die alte Ordnung noch intakt. Die Essenz geht der Existenz voraus, ein Jedi kann sich nicht selbst entwerfen, früher oder später holt ihn sein Schicksal ein. Die radikale Freiheit, von der die Rebellen vielleicht träumen mögen, bleibt dem Jedi versperrt. Die Bürde, die auf ihm liegt, ist dennoch eine der Verantwortung. Sein Schicksal schlägt ihn mit jener Gefahr für sich und andere, die nur vorherbestimmte Wesen entwickeln können: die Gefahr der Abtrünnigkeit, der Rebellion gegen das eigene Los. Auch hier bricht der Mythos in diese weit, weit entfernte Galaxis, stellt der Sternenkrieg nur die Kulisse für ein olympisches Familiendrama bereit. Anakin Skywalker, der Nullpunkt der Skywalker-Dynastie, wurde in Episode 1 zwar als eine Art unbefleckte Empfängnis dargestellt. Doch auch ohne Vater oder Mutter, die qua ihrer Natur mächtige Jedi zeugen, ereilt ihn ein vorherbestimmtes Schicksal: die Macht ist stark in ihm.

Reys nivellierte Herkunft

The Last Jedi bricht mit diesem mythischen Kern. Sie verabschiedet die alten Prämissen, schafft Platz für ein neues Universum, in dem sich niemand mehr damit aufhalten muss, wo er herkommt, welches Schicksal er hat und wer er ist. Die neue Jedi-Hoffnung Rey treibt ebenfalls das Mysterium ihrer Abstammung um, nur um dann zu erfahren, dass ihre Eltern allen Anschein nach herzlose Säufer waren. Der neue Oberbösewicht Kylo Ren hat schon in Das Erwachen der Macht seinen Vater getötet, wie zum Beweis, dass Abstammung nicht länger von Bedeutung ist.

The Rise of Skywalker kassiert diese progressive Sicht auf den Sternenkrieg dann wieder ein. Reys Herkunft wird erneut in Frage gestellt, nur um letztlich keine Antwort mehr darauf zu geben. Stattdessen wird sie in die Skywalker-Dynastie aufgenommen. Per Adoption, per Segen der Überväter und -mütter? Man weiß es nicht. Darin liegt ein befreiendes Moment: Du kannst eine Skywalker werden, ohne eine Skywalker zu sein. Gleichzeitig gilt: Aber eine Skywalker musst du schon werden, willst du etwas Großes sein. Und: Um deinen Platz zu finden, musst du dich würdig erweisen, vor einem größeren Ganzen, das dir deinen Platz zuweist.

Skywalkers Erbe

So ist die Sequel-Trilogie auf der Zielgeraden doch noch konservativ geworden und hat sich einem echten Aufbruch verweigert. Irgendwo zwischen Fachkräftemangel und offenen Grenzen, Integration und Assimilation, ist der Bruch mit dem Mythos hängengeblieben. Keine Skywalker zu sein, weder den Genen noch der Zugehörigkeit nach, nicht von ihnen ausgebildet zu werden, und dennoch den Frieden der Galaxis zu sichern: das wäre ein Star Wars des 21. Jahrhunderts gewesen. Aber dafür hätten sich die Macher von den Figuren der Original-Trilogie lösen und etwas Eigenes erzählen müssen. Da folgten sie dann doch lieber ihrem Schicksal.

Takeaways

  • Ein grandioser Plot besteht aus Gegenbewegungen, aus Anziehung und Abstoßung
  • Die Grundelemente deines Plots werden die Ideologie deiner Geschichte bestimmen
  • Der alte Konflikt zwischen Gut und Böse benötigt, mythisch genug, keine komplexe Motivation

Manche Dinge müssen einfach gesagt werden. Das macht es dir als Autorin mitunter leichter. Aber manchmal auch verdammt schwer. Denn gute Dialoge zu schreiben, will gelernt sein. In diesem Artikel erfährst du alles über die größten Fallstricke beim Verfassen deiner Dialogszenen – und wie du es richtig machst.

1. Realistisch bleiben!

Sich an der Realität zu orientieren, ist auch beim Schreiben von Dialogen ein guter erster Rat. Aber was heißt das konkret? Zunächst einmal solltest du deine Figuren nicht so sprechen lassen, wie du denkst, dass Menschen oder genauer, Menschen ihres Schlages, sprechen. Was das bedeutet? Stell dir vor, wie Stefan Raab sich über Rapper lustig macht: „Ey yo, Bruder, was geht ab, alter! Fetter Scheiß, yo!“ Genau so solltest du deine Rapper nicht sprechen lassen. Das ist klischeebeladen, aber vor allem ist es: unrealistisch. Es reißt den Leser aus der Geschichte.

Stattdessen solltest du dir erstmal Interviews mit Rappern anschauen, Kool Savas hören und ein Rap-Battle auf YouTube anschauen. Dann wirst du schnell merken, dass diese Leute durchaus eine eigene Sprache sprechen. Aber eben keine Stefan-Raab-Fantasiesprache. Sondern ihre, seit Jahrzehnten gewachsene, mit ihrer Kultur verwobene Sprache. Gleiches gilt für jedes andere Milieu: Die Bankentürme in Frankfurt Main, den tiefen Pott der Backsteinsiedlungen oder das Bundeskanzleramt.

Von der generellen Sprache deiner Figuren abgesehen, gibt es noch einen weiteren, sehr beliebten, unrealistischen Fehler beim Dialoge schreiben:

„Hallo Max, wie geht es dir?“
„Ganz gut, Timo, danke.“
„Gehst du heute noch raus, Max?“
„Mal sehen, was Mama sagt, Timo.“

fiktives Beispiel

Du hast es bereits erraten: Lass deine Figuren nicht dauernd ihre Namen sagen. Wir tun das nicht. Im Gegenteil: Psychologen haben herausgefunden, dass wir es sehr mögen und unser Gegenüber sympathisch finden, wenn es oft unseren Namen sagt. Weil es eben nicht der Normalfall ist.

2. Unrealistisch bleiben!

Ha, erwischt! Du dachtest wohl, Dialoge zu verfassen, sei eine einfache, widerspruchslose Angelegenheit. Weit gefehlt. Denn so sehr wir Realismus benötigen, um den Äußerungen unserer Figuren das nötige Maß an Authentizitä und Glaubwürdigkeit zu verleihen, so sehr benötigen wir Unrealismus um die Leser zu interessieren:

„Ja, manchmal ist mir, als ob ich selber hinter mir herliefe. Ich will davon! Vor mir selber davonlaufen. Aber ich kann nicht! Kann mir nicht entkommen. Muss … muss den Weg gehen, den es es mich jagt! Und rennen … rennen, endlose Straßen! Ich will weg, ich will weg! Und mit mir rennen die Gespenster … von Müttern, von Kindern. Die gehen nie mehr weg.

Fritz Lang – „M – Eine Stadt sucht ihren Mörder“

Natürlich würden wir nie so reden. Die Sprache ist hier dem Milieu entsprechend (ein mittelloser Mörder) einfach gehalten, aber deswegen nicht weniger gemacht. Sie bedient sich eines eindrücklichen Bildes, das sie mit betörender Effektivität ausführt. Aber wann reden wir schon in Bildern? Doch erst recht nicht vor einem wütendem Mob. Und überhaupt, wer sollte uns dabei zuhören?

Aber das ist ja gerade der Trick: Der Leser hört zu. Das verschafft dir als Autor die Freiheit, auszuholen. Und nimmt dich in die Pflicht, nicht bei der Realität stehenzubleiben, sondern zu konstruieren, zu modellieren, zu erschaffen.

Der Gradmesser für eine gesunde Portion Unrealismus sind die mitgehörten, halböffentlichen Gespräche im Café, in der S-Bahn oder auf dem Büroflur: Selbst wenn jemand bei einer solchen Gelegenheit etwas wirklich Spannendes erzählt, würden wir das so nicht drucken wollen. Es ist zu inkonsistent, zu wirr, zu sehr Rohmaterial.

Was nicht heißt, dass gute Dialoge nicht wirr und roh sein können. Durchaus. Aber eben an den richtigen Stellen, im richtigen Maß, mit gutem Grund – also weil du als Autorin sie so konstruiert hast.

3. Figuren spracclich unterscheiden

„Voll krass.“
„Ja, mega.“
„Shit, da hinten kommt Herr Opitz!“
„Na, Kids? Mega Wetter, oder?“

fiktives Beispiel

Es gibt sie nicht nur im Dialog, aber hier tritt sie direkt und schonungslos zutage: die Stimme deiner Figuren. Je nach Alter, Milieu, Geschlecht, Träumen, Ängsten und vielem mehr sprechen sie mit einer anderen Stimme. Und zwar ausnahmlos, jede einzelne Figur. Denn auch wenn die Kassiererin an der gotttverlassenen Tankstelle irgendwo im ausgedörrten Hinterland nur eine Zeile Text hat, ist sie ein Individuum mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Sie kann nicht so sprechen wie der Mathematik-Professor, der sich zu ihr an die Theke verirrt hat.

Gleiches gilt für Herrn Opitz. Der offenbar deutlich älter als die beiden Jugendlichen ist, und in irgendeinem Sinne eine Autoritätsperson. Der einzige plausible Grund, ihn hier so sprechen zu lassen, wie die ihm unterstellten Kinder, ist eine ausgeprägte Midlife Crisis. Das wäre dann guter Dialog. Sonst ist es falsch.

4. Bescheidene Inquits verwenden

Ein Inquit, das ist eine die wörtliche Rede begleitende Formel. Bei Dialogen sind Inquits also gezwungenermaßen allgegenwärtig. Etwa bei: „Du spinnst doch“, sagte er. Doch Autoren lieben das Ausschweifende. Das Üppige. Deshalb lassen sie sich oft dazu verleiten, auf den schmalen Schultern der Inquits tonnenweise Ballast abzuwerfen. Das sieht dann schnell so aus:

„Ich kann nicht glauben, dass du das gerade gesagt hast“, stellte sie mit hochrotem Kopf fest.
„Hab ich aber!“, donnerte Hans trotzig.
„Du machst es nicht besser“, jaulte sie beinahe wehleidig.

fiktives Beispiel

Überfrachtete Inquits in jeder Zeile. Das Tückische an diesen Inquits ist, dass sie dem Gesagten die Kraft nehmen. Sie ziehen die Aufmerksamkeit des Lesers auf sich. Und sind, in all ihrer Deutlichkeit, dabei streng genommen Fälle von Infodump und/oder des berühmten „Show, don’t tell“. Denn dass Jack hier trotzig donnert, hat der Dialog schon gezeigt – „Hab ich aber!“ ist eine wunderbar kindisch-trotzige Zeile. Die wird hier nun aber einkassiert, beschnitten, für nebensächlich erklärt.

Dabei verstoßen diese Inquits auch gegen ein Grundgebot des Erzählens: Überfrachte den Leser nicht mit Eindrücken. Er kommt sonst nicht mit. Und, noch schlimmer: Es entstehen keine Bilder in seinem Kopf. Wie es anders geht, zeigt die redigierte Version des Dialogs:

„Ich kann nicht glauben, dass du das gerade gesagt hast.“ Ihr Gesicht lief rot an.
„Hab ich aber!“, brüllte Hans. Die kleinen Arme hatte er in die Hüften gestemmt.
„Du machst es nicht besser.“

fiktives Beispiel

Das ist natürlich keine Hochliteratur, aber auf einmal doch Literatur. Durch das Kürzen der Inquits kriegt der Dialog Platz zum Atmen. Verloren geht dabei nichts. Und du als Autor gewinnst Raum zur Entfaltung: die kleinen, in die Hüften gestemmten Arme – das ist ein Bild! Der trotzig donnernde Hans ist keins.

Es gibt noch eine weitere Besonderheit bei Inquits. In ihrer guten, bescheidenen Form (sagte sie, flüsterte er, wurde er gefragt) können sie trotzdem noch grundfalsch daherkommen. Nämlich dann, wenn du als Autorin allzu kreativ wirst. Also den durch die Kürzung gewonnenen Platz gleich wieder breitbeinig mit den Inquits besetzen willst: donnerte Hans, lachte sie, ließ er sie wissen.

Hier werden Verben benutzt, die die Handlung (jemand sagt etwas) allzu blümerant ausdrücken, also ebenfalls ganz viel Bedeutung mitbringen, die a) stört, siehe oben oder b) keinen Sinn ergibt. Oder hast du schon mal einen Satz gelacht? Eine Antwort genickt („Das geht“, nickte sie)? Ich fürchte nein.

Wie aber soll man das dann machen, die Sache mit den Inquits? Ganz einfach, zum Beispiel so:

Dann hörte der Motor auf zu brummen, und draußen schrie eine Stimme: „Die Toten hierhin, habt ihr Tote dabei?“
„Verflucht“, rief der Fahrer zurück, „verdunkelt ihr schon nicht mehr?“
„Da nützt kein Verdunkeln mehr, wenn die ganze Stadt wie eine Fackel brennt“, schrie die fremde Stimme. „Ob ihr Tote habt, habe ich gefragt!“
„Weiß nicht.“
„Die Toten hierhin, hörst du? Und die anderen die Treppen hinauf in den Zeichensaal, verstehst du?“
„Ja, ja.“
Aber ich war noch nicht tot, ich gehörte zu den anderen, und sie trugen mich die Treppe hinauf.

Heinrich Böll – „Wanderer, kommst du nach Spa …“

Rief, schrie, und oftmals auch einfach gar kein Inquit. So einfach kann es sein. Und doch so gehaltvoll. Der Trick ist: Vertraue deinen Worten und vertraue deinen Lesern. Wenn es gut geschrieben ist, wird es verstanden werden. Wenn es nicht gut geschrieben ist, werden aufgeschwemmte Inquits es nicht retten.

5. Nutze Beschreibungen

Dialoge können ein Feuerwerk sein. Knall, Boom, Peng! Dann braucht es kaum mehr als die Dialogzeilen selbst. Doch dafür bedarf es bestimmter Voraussetzungen. Vor allem muss hinreichend klar sein, wer spricht. Und wer bedeutet in dem Fall nicht nur, welche Figur, sondern auch, wer diese Figur ist. Ist das noch nicht etabliert, sind Beschreibungen zwischen den Dialogzeilen eine hervorragende Möglichkeit, die Figur zu charakterisieren:

„Und ihre Mutter, was tat ihre Mutter in solchen Situationen?“
Da war eine Macke im Linoleum-Boden, eine dicke, schwarze Macke, Jürgen konnte sie von seinem Platz aus deutlich sehen.
„Sie weinte.“
„Machte es das schlimmer?“
„Lauter. Es war ein lautes Weinen.“ Am liebsten hätte er eine Walnuss darin verrieben, farblich hätte das gepasst und sich mit der Zeit festgetreten. Vielleicht sollte er nächstes Mal eine mitbringen.
„Gibt es etwas, das Sie sich in diesen Momenten von ihr gewünscht hätten?“ Jürgen sah auf.
„Ja, ich … das Küchenmesser.“

fiktives Beispiel

Das könnte der Anfang eines Romans sein. Natürlich trägt hier der Dialog, vor allem die Fragen des Gegenübers, die inhaltliche Hauptlast. Aber die Beschreibungen charakterisieren Jürgen, etwas, das die Dialogzeilen selbst nicht leisten können. Und so beginnt der Leser sich für Jürgen zu interessieren. Nicht allein deshalb, weil er offenbar eine schlimme Kindheit hatte. Schlimme Kindheiten gibt es viele. Aber diese eine hier, Jürgens schlimme Kindheit, die Kindheit des Mannes, der sich Gedanken über eine Macke im Linoleum macht, während er darüber ausgefragt wird – die ist interessant.

Was für Figuren gilt, gilt natürlich auch für die Welt deiner Geschichte. Auch sie kann in eingeschobenen Beschreibungen beiläufig während deines Dialogs charakterisiert werden.

Hast du einen Text geschrieben, der von einem Lektorat profitieren könnte? Informiere dich über alles, was du über das Lektorat literarischer Texte wissen musst. Oder schicke deinen Text an kontakt@lektorat-bauer.de und erhalte ein kostenloses Probelektorat samt unverbindlichem Angebot.
Deine Daten werden vertraulich behandelt.

Kategorien
Talking Story

Werk ohne Autor [Analyse]

[Massive Spoiler voraus]

Der künstlerisch begabte Kurt Banert wächst im Nazi-Deutschland der 30er-Jahre auf, überlebt den Krieg und beginnt in der entstehenden SED-Diktatur seine Ausbildung zum Maler. Erst die Flucht in den Westen befreit ihn von den biederen sozialistischen Kunstidealen. In der Folge sieht er sich mit der bohrenden Frage konfrontiert, wozu er diese neue Freiheit nun eigentlich benutzen soll. Der Künstler und der Kampf mit seinem Werk.

Der ganz große Stoff

Der Stoff aus dem Florian Henkel von Donnersmarcks Geschichte ist (stark angelehnt an die Biografie Gerhard Richters und zugleich stark zugespitzt), bietet Raum für Mythen. Die Art und Weise wie Tom Schillings Kurt Banert mit seiner Begabung ringt, das geschichtsträchtige Panorama, in dem all das stattfindet – drei deutsche Staaten, zwei Diktaturen – die Frage nach der Kunst und ihrer Entstehung, die Enthemmung der Beteiligten. Man kann sich kaum etwas Größeres vorstellen, wenn man sich einmal auf diese Geschichte eingelassen hat. Vor allem auch deshalb, weil Donnersmarck damit seiner im Film prominenten eigenen Prämisse folgt: Er sieht nicht weg und zeigt deshalb Wahres, wie schon in Das Leben der Anderen, oder besser und schlimmer noch: Geschehenes, mit den Mitteln der Fiktion.

Der Stoff fliegt seinem Macher davon

Diese Mittel jedoch haben etwas Verführerisches an sich, wenn sie in Kontakt mit einem monumentalen Stoff wie diesem treten. Die Gefahr war groß, dass Donnersmarck der Versuchung erliegt, zu übertreiben, abzudriften in Kitsch und Pathos. Und tatsächlich: Das Pathos ist über die gesamten 188 Spielminuten unüberseh- und hörbar, der Kitsch schleicht sich immer dann ein, wenn der Regisseur Originalität vermissen lässt. Kamerakreisfahrten bebildern Momente der Ekstase, dicht folgt er Frauenkörpern von Fuß bis Kopf im Halbdunkel. Auf dem Boden liegende Kleider verkünden sexuelle Aktivität. Der böse Schwiegervater betrügt natürlich seine Frau mit dem Dienstmädchen. Ironischerweise tönt daher eine gewisse Selbstvergessenheit des Regisseurs aus einigen Bildern von Werk ohne Autor. In diesen Szenen scheint es fast, als sei Donnersmarck ausgelaufenen Pfaden der filmischen Darstellung gefolgt, weil er sie eben für Wahres hält. Und damit für schön, wie des Malers Tante diesem von Kindesbeinen an eintrichtert.

Das Wegsehen und damit im Filmischen das Nicht-Zeigen wird in Werk ohne Autor zum Sündenfall erkoren. Eine geniale Idee, weil sie die Historie spiegelt, durch die der Film sich wühlt. Im Hitler-Deutschland war Wegsehen gleichbedeutend mit der Ermöglichung der Katastrophe, in der DDR mäanderte man zwischen bürgerlichem Wegsehen und staatlichem Hinsehen und als Banert schließlich in der BRD der 60er Jahre aufschlägt, hüllt man sich dort noch in Schweigen bezüglich der Vergangenheit und damit der eigenen Schuld.

Hinsehen verboten?

Für den Künstler aber bedeutet das Hinsehen gleichzeitig das Arbeitenkönnen. Kunst und Moral erleben hier eine Verknüpfung jenseits einer stets vom Dogma bedrohten inhaltlichen Definition: Beide haben die Wahrheit zur Voraussetzung, mehr nicht. Der Schwiegervater als Antagonist wiederum ist aufgrund seiner Vergangenheit Zeit seines Lebens darum bemüht, dass die Leute weiterhin wegschauen, er selbst eingeschlossen – das ist hohe Plot-Kunst. Hier hebt der Film also spürbar zu einem großen Wurf an. Aber leider kommt er damit nie irgendwo an – er stürzt vielmehr.

Dem Dogma des Hinsehens folgt Donnersmarck konsequenterweise auch in seiner eigenen Arbeit. Dies hat zur Folge, dass sich das Gros der Kritiken zu Werk ohne Autor an den vermeintlichen moralischen Verfehlungen abarbeitet, die den Film durchziehen sollen, weil er eben zu genau hinsieht. Einer Figur mit der Kamera in die Gaskammer zu folgen ist zweifelsohne so gewagt, dass sich das Adjektiv krümmt, wenn man es benutzt. Die Bombardierung Dresdens als Gegenschnitt zu wählen, ist zumindest mutig. Vor dem Hintergrund, dass jedes Jahr in diesem Land Mahnwachen stattfinden, bei denen Rechtsradikale auf geschichtsklitternde Weise den Opfern des Bombenkriegs gedenken, ist es zudem auch unglücklich.

Moralisch konnotierte Kritik

Aber man kann die Montage dennoch kaum gegen den Regisseur wenden, spätestens dann nicht mehr, wenn er in derselben Szene das trostlose Ende deutscher Soldaten (die Brüder des Protagonisten) an der Ostfront bebildert. Diese Dreifach-Montage ist künstlerisch gerechtfertigt, weil alle drei Ereignisse den jungen Maler prägen werden. Die geliebte Tante wird ermordet, die geliebte Heimatstadt zerbombt, die Familie zerfällt in ihre Einzelteile. Zumal die Gaskammerszene zwar notwendigerweise ästhetisiert ist, wie alles was auf Film gezeigt wird, aber keineswegs stilisiert. Aller klassischen Musik zum Trotz beklemmt die Sequenz, man kann das Gezeigte kaum ertragen (nicht zuletzt dank der großartigen Arbeit von Saskia Rosendahl). Diese Zumutung an den Zuschauer dröhnt daher wie ein Appell: Verhindern lässt sich die Katastrophe nur, wenn man hinsieht.

Der zweite große moralische Kritikpunkt der Kritiker betrifft den Umgang des Filmes mit seinen Frauen. Zu oft zur Staffage reduziert, ihre Körper ästhetisiert bis hin zur Entmenschlichung – so die Vorwürfe. Und tatsächlich besteht der Film den berühmten Bechdel-Test nicht, sprechen doch eigentlich nie zwei Frauen miteinander. Hin und wieder sieht man sogar nackte Brüste.

Mindestens ebenso oft sieht man allerdings Tom Schillings blanken Hintern, auch wenn dabei zugegebenermaßen keine diesen Körper zelebrierende Kamerafahrt zum Einsatz kommt. Viel verstörender als das bisschen Wahrheit – Männer starren auf schöne Frauen und sind von ihnen inspiriert – gerät die Verquickung von künstlerischem Durchbruch und weiblicher Fruchtbarkeit. Erst als Banert zu seinem Stil gefunden hat, wird seine Frau doch noch schwanger. Der Künstler als Geburtshelfer, die Frau als Trägerin seiner Früchte. Hier hätte man die Kritik am Chauvinismus platzieren können, aber dafür hätte einem die Metapher natürlich auffallen müssen.

Unscharfe Charakterzeichnung

Trotzdem nähert man sich so einem entscheidenden Makel von Werk ohne Autor. Die Nebenfiguren bleiben allesamt, nicht nur weil und wenn es Frauen sind, blass und unterentwickelt. Woher nimmt der Schwiegervater seine fast schon karikaturhafte Bosheit? Was hindert die Tochter und seine Frau am Aufbegehren? Was will die Tochter eigentlich außer ihren Maler? Darauf hat Donnersmarck auf seiner Suche nach der Motivation seiner Hauptfigur keine Antwort gefunden. Vermutlich hielt er es auch nicht für besonders wichtig.

Bei dieser Suche scheint der Regisseur einen kleinen persönlichen Triumph erlebt zu haben, lange bevor die erste Szene überhaupt gedreht wurde. Vier Wochen lang traf Donnersmarck sich täglich mit Gerhard Richter, dem realen Vorbild seines Protagonisten. Wenn man so will, konnte man Richter bis dato als unerschlossenen Künstler begreifen. Als jemanden, der stets alle autobiographischen Deutungsversuche von sich wies und stattdessen seine Bilder sprechen ließ. Donnersmarck aber nimmt sich mit Werk ohne Autor unübersehbar heraus, Richters Betriebsgeheimnis auf die Spur gekommen zu sein.

Am Ende Banales

Das wäre für den Film nicht weiter schlimm, ja sogar förderlich, wenn die vermeintliche Erkenntnis nicht so abgedroschen wäre: Das Werk des Künstlers trägt tiefe autobiographische Furchen. Auf die (Kino-)Leinwand gebannt, mit dem Pathos einer großen Wahrheit, wirkt diese Einsicht noch banaler als ohnehin schon. Die eingangs etablierte Prämisse von der Wahrheit als notwendiger Erfüllungsgehilfin der Kunst, vom Hinsehen als heroischem Akt, kondensiert so zu einer Binsenweisheit.

Nach all dem Pathos hätte man aber einfach mehr erwartet als mystische Momente der kreativen Erleuchtung mit Blätterrascheln und einen Transfer der 8-Mile-Logik vom Ghetto in die Kunstakademie. So kann der Film sein Versprechen nicht einlösen und seine Höhe nicht halten. Aber zwischendurch ist Werk ohne Autor immer wieder brillant, nicht nur was den grundsätzlichen Plot angeht: die Art wie Paula Beer das erste Mal zu Tom Schilling ja-sagt, der erste Auftritt ihres Vaters, die Akribie des Pinselstrichs, das Grauen der Gaskammer, die lähmende Ohnmacht gegenüber der zwangssterilisierenden Staatsmacht, Stanniolpapier auf Nachthimmel. Man wünscht sich mehr solcher Filme, zumal aus Deutschland, die etwas wagen und deshalb wenigstens scheitern, wenn sie enttäuschen.

Takeaways

  • Fürchte dich nicht vor den ganz großen Stoffen
  • Berausche dich nicht an deinen vermeintlich großen Einsichten (jedenfalls nicht nach den ersten Revisionsschleifen)
  • Lass dich in deinem Erzählen nicht von den vorherrschenden Moralvorstellungen einschränken
  • Schreibe deine weiblichen Figuren nicht als Frauen, sondern stets zuallererst als Menschen
Kategorien
Talking Story

Dunkirk [Analyse]

[Massive Spoiler voraus]

Dunkirk ist kein Kriegsfilm. Wenn er es wäre, hätte man zu beklagen, dass er zu faszinierend ist. Dass ihm das „Anti“-Präfix abhanden gekommen ist. Das Dröhnen der vom Himmel stürzenden Flieger, das Knarren des Flugzeugblechs, wenn Tom Hardy an seinem Steuerknüppel reißt, der Geschmack des Wassers, das die Soldaten von der Heimat trennt – Dunkirk ist sinnlich erfahrbar und genau das wird ihm einen Oscarregen verschaffen. Bester Ton, Bester Tonschnitt, Bester Schnitt, Beste Kamera. Bester Film allerdings eher nicht [dieser Artikel entstand vor der damaligen Oscarverleihung, Anm. d. Verf.].

Nolan beginnt mit dem Beginnen

Christopher Nolan wirft den Zuschauer von null auf hundert in das an sich simple Szenario: Soldaten müssen fliehen, der übermächtige Feind naht und noch ist kein Ausweg in Sicht. Viel mehr fügt der Regisseur im weiteren Verlauf auch nicht hinzu. Allgegenwärtig ist das Schweigen. Ein französischer Soldat in britischer Uniform ist gar dazu verdammt, wie auch der Zuschauer schweigt und hinnimmt, also erfährt, was auf der Leinwand geschieht. Das Schweigen jedoch verweist auf die dröhnende Bedrohung, und schafft Raum für deren sinnliche Qualitäten: Spritzender Sand, öliges Salzwasser, Punkte am Himmel. Auf Motive, Charakterisierung im klassischen Sinne, verzichtet Nolan fast vollständig. Seine Soldaten sind anonyme Jedermänner, leere Hüllen, in die der Zuschauer umso leichter schlüpfen kann. Der Gelegenheit zur moralischen Identifikation mit den Protagonisten beraubt, bleibt ihm dabei allerdings nur die sinnliche Identifikation.

Krieg an sich

Die rudimentären Beziehungen unter den Soldaten ergeben sich aus gegenseitiger Hilfe. Man teilt Wasser, Überleben also, das verbindet, weiter nichts. Selbst der Feind ist marginalisiert. Selbstverständlich bringt der Zuschauer das nötige historische Wissen mit, die Nationalsozialisten überrennen Frankreich, aber eigentlich ist dieses Wissen für Dunkirk unnötig und Nolan schert sich auch nicht um historische Korrektheit. So wenig wie es ein Kriegsfilm ist, so wenig ist es ein Film über den Zweiten Weltkrieg. Der Feind tritt hinter seine Erscheinung zurück, ist nie als Exemplar auf der Leinwand zu sehen. Die Kugeln und Torpedos töten anonym. Einzig die Flugzeuge zeugen physisch von der Anwesenheit eines Feindes, ohne jedoch je einen Piloten zu zeigen. Der Krieg, die Bedrohung, ist ganz Maschinerie, übernatürlich. Dunkirk ist ein Film über Krieg an sich.

Ein Antagonist größer als der Mensch

Man fühlt sich an Iñárritus The Revenant erinnert. Auch dort ist der Antagonist die meiste Zeit über kein besiegbares Individuum, sondern ein übermächtiges Schicksal, dem man nur versuchen kann zu entkommen: die Natur (nicht umsonst verliert The Revenant auf der Zielgeraden an Qualität, weil doch noch ein menschlicher Antagonist in den Fokus rückt und die Vision des Films preisgegeben wird). Auf explizite Gewaltdarstellung verzichtet Nolan im Gegensatz zu Iñárritu allerdings völlig. Blut wird immer von jemandem vergossen, aber in Dunkirk stirbt man nicht, es wird gestorben.

All diese Entscheidungen münden letztlich, lange bevor der dreigliedrige Handlungsfluss irgendwohin mündet, im großen Ziel Nolans: den Überlebenskampf für den Zuschauer sinnlich erfahrbar zu machen. Dabei übertrumpft Nolan Iñárritus kaum weniger intensiv geratenen The Revenant gerade wegen der totalen Reduzierung und der damit einhergehenden Anonymisierung der Handlung. Der Zuschauer sieht gerade nicht DiCaprio beim Überleben zu, sondern sieht dem Überleben zu – und überlebt.

Damit hat Nolan etwas Einzigartiges geschaffen. Ob es jedem gefallen wird, ob sich jeder Zuschauer von seinen filmischen Sehgewohnheiten verabschieden und sich auf seine natürlichen Sehgewohnheiten einlassen kann, darf bezweifelt werden. Dunkirk wird nicht für jeden funktionieren und nicht von jedem als das verstanden werden, was er sein soll. Was die Größe eines Regisseurs angeht, kann sie sich nicht objektiver offenbaren.

Takeaways

  • Du brauchst keinen physischen, konkreten Antagonisten, wenn es etwas Größeres gibt
  • Es gibt eine Erzählweise jenseits von Figuren, die funktionieren kann
  • Die Qualitäten einer Sache (hier: das anonyme Sterben, die Maschinerie des Krieges) lassen sich durch grundsätzliche Entscheidungen am besten darstellen
Kategorien
Talking Story

Mandy [Analyse]

[Massive Spoiler voraus]

Mit Mandy hat Panos Cosmatos einen hypnotischen Cocktail angerührt. Der Geruch von Motoröl liegt in der Luft, Eisengeschmack von Blut und rostigen Nägeln, wabernder Nebel unter zuckendem Stroboskop-Licht. In fades Rot getunkte grobkörnige Bilder ziehen den Zuschauer in betörendem Adagio immer tiefer in ihren Bann.

Gravitas allenthalben

Der Höllentrip, von dem Mandy erzählt, vollzieht sich nicht im Vorbeigehen. Daher hält der Film bisweilen stoisch und gnadenlos an seinen Bildern fest. In ihnen schraubt sich die Eskalationsspirale der Gewalt beinahe teilnahmslos nach oben. Die verhandelten Emotionen und Gelüste sind zu elementar, zu schwergewichtig, um sich einem Vernichtungsrausch auf Speed hinzugeben. Hier regiert das Acid und mit ihm die Schwerkraft. Das Metall. Die Planeten.

Im Einsiedler-Idyll verbringen Red (Nicolas Cage) und Mandy (Andrea Riseborough) ein simples, in sich ruhendes Leben. Dann ertönt das Horn Abraxas und die Idylle ist für immer dahin. Red macht sich auf zu einem Rachefeldzug gegen seine Peiniger, gegen Mandys Peiniger. So ganz wird nie klar, wer hier der eigentliche Protagonist ist – der die Hellebarde schwingende Derwisch Red oder doch Mandy als dessen dämonischer Schatten.

What’s your favorite planet?

Jupiter.

How come?

Mmh… well, the surface of its atmosphere is a storm that’s been raging for like, 1,000 years, and the eye of the hurricane is so huge that it could just swallow the whole Earth.“

Mandy

Impotenz als Ausgangspunkt

Überhaupt beherrscht den Film eine manische Doppelbödigkeit. Mandys Martyrium wird durch Reds Rachetrip gegengespiegelt. Dem Jesus, der am Kreuz stirbt, gesellt sich jener Jesus hinzu, der mit göttlichem Zorn auf seine Feinde niederfährt. Das männliche Ego, das sich in Reds Fall als zerbrochen erlebt, als einen Mann, der die nicht beschützen konnte, die ihn lieben, feiert im weiteren Verlauf seine allmächtige Wiederauferstehung.

Dem gegenüber steht der Bösewicht, der Sektenvater Sand Jeremiah (Linus Roache), dessen Gier nach Anerkennung ihn in den Wahnsinn getrieben hat. Sein Sadismus speist sich aus einer verkannten Künstlerseele, ein bisschen Hitler, ein bisschen Grenouille. Als Mandy selbst unter Drogeneinfluss seine übergriffigen Avancen noch der Lächerlichkeit preisgibt, besiegelt sie ihr Schicksal. In diesem Fall zerschmettert das Lachen einer Frau das männliche Ego. Red hingegen kämpft für Mandys Lachen, das er verloren hat. Die Impotenz der beiden Gegenspieler zieht jeweils entfesselte Demonstrationen männlicher Potenz nach sich.

Ein Mann jagt das toxisch Maskuline

Wenn Red das kranke männliche Ego in den Nadelwäldern der Shadow Mountains mit der Kettensäge aufstöbert, dann leistet er damit zwangsläufig der Hoffnung auf ein gesundetes Gegenstück Vorschub. Wenn man so will ist Mandy also eine Abrechnung mit der Philosophie von B-Movie Rache-Plots mit den Mitteln eines B-Movie Rache-Plots. Am Ende verliert sich die Genugtuung daher auch keineswegs in der Trostlosigkeit des Morgens nach der rauschhaften Tat. Der Höllentrip endet mit Besuch vom Himmel.

Ästhetisch kompromisslos

Mandy ist überreich an großartigen Bildern, an Atmosphäre und an Einswerdung von Sound, Inszenierung und Story. Letztere fällt dabei spärlich aus, vieles über den reinen Rache-Plot Hinausgehendes bleibt zudem nur angedeutet. Doch gerade daraus entwickelt der Film seine hypnotische Sogwirkung. Der Einsatz von Dialog dient selten als direktes Vehikel der Handlung. Wenn geredet wird, kommt viel Grundlegenderes zur Sprache. Oder die Worte reihen sich nahtlos ein in die heisere Melange aus Bild und Ton.

„The psychotic drowns where the mystic swims.“

Mandy

Mit seinem Red kredenzt Nicolas Cage zwischen alldem eine virtuose Mischung aus Wahnsinn, Verzweiflung und Coolness. Besonders ins Bewusstsein brennt sich eine Szene im Badezimmer, in das sich Red zurückzieht, nach der nächtlichen Heimsuchung halb zu sich kommend. Allein mit sich und der Realität schreit er gegen diese an, auf dass sie als die Traumblase zerplatzen möge, die sie doch sein muss. Aber nichts platzt und so zeigt die stoische Kamera einen Mann, der innerhalb einer Minute alles an Emotionen, nein, an Menschlichkeit auskotzt, das in ihm steckt.

Als Red das Badezimmer wieder verlässt, hat sich ein Racheengel von archaischer Schönheit aus seinem Kokon gekämpft und begeht seinen Jungfernflug. Man muss Mandy nicht mögen, aber man kann ihn nicht übersehen, wenn man sich einmal fürs Hinsehen entschieden hat. Dass der Film an unpassenden Stellen Gelächter im Saal hervorruft, mag einerseits Cages Karriere als Meme geschuldet sein. Vor allem aber ist das Lachen Ausdruck einer Nervosität, die das Publikum angesichts des Gezeigten befällt. Mehr kann man von einem solchen Film nicht erwarten.

Takeaways

  • Verfolge deine Vision ohne Rücksicht auf Verluste
  • Konstruierst du einen simplen Plot, reichere ihn mit archetypischen Gegensätzen an
  • Wenn sie lachen, verraten sie damit manchmal mehr über sich als über dein Werk
Kategorien
Talking Story

American Psycho [Analyse]

[Massive Spoiler voraus (auch das Buch betreffend)]

Schon im Titel und im Namen der Hauptfigur Patrick Bateman klingt an, was in der Geschichte verfolgt wird. Eine Art Sittengemälde der spezifisch amerikanischen Art des Psychopathen, die den noch vereinzelten Psychopathen Norman Bates aus Hitchcocks 50er-Jahre-Klassiker Psycho längst übertrifft und auf so häufige Art reproduziert, dass gleichzeitig die Frage nach der Verstrickung des amerikanischen Traums in diesen Sittenverfall aufgeworfen wird. Was für ein Satz. Sauerstoffmaske anlegen. Es geht los.

Dialektik des Individualismus

In diesem New York zählt das Eierschalenweiß der Kreditkarte und die Art, wie man die Weste unter dem Sakko trägt, mehr als das eigene Gesicht. Wer man ist, ist unbedeutend. Nur vor dem Hintergrund dessen, was man hat (eine Reservierung im hippsten Restaurant der Stadt etwa), erhebt sich so etwas wie eine Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz. Natürlich führt gerade diese Moral direkt in die Beliebigkeit der beteiligten Personen. Und so ist es kein Wunder, dass niemand die sich anhäufenden Opfer Batemans zu vermissen scheint. Was mit Morden an Obdachlosen und Prostituierten beginnt, nach denen ohnehin niemand fragt, entwickelt sich zu freimütigen Morden an Kollegen und Ex-Freundinnen. Doch die Grenze, die Bateman hier unter zunehmendem Kontrollverlust zu überschreiten scheint, löst sich auf in der Identitätslosigkeit auch dieser gut situierten, vermeintlich integrierten (worin?, dröhnt es) Opfer seiner Gewaltexzesse. Die Konsumgesellschaft dieses Melting Pots der übleren Sorte verschluckt das Individuum.

Realität ohne Subjekte

Ein Privatdetektiv (Willem Dafoe) findet zwar den Weg in Batemans (Christian Bale) Büro, doch seine Ermittlungen geraten bald ins Stocken, als der vermisste Wall-Street Broker in London gesehen wird – oder auch nicht. Selbst Batemans Anwalt, dem dieser ein ohrenbetäubendes Geständnis aufs Band spricht, amüsiert sich über den vermeintlichen Mordfall. Er habe doch vor zwei Wochen mit Paul in London zu Mittag gegessen, was soll das Ganze? Batemans Verbindung zur Realität wird zunehmend in Frage gestellt. Hat er vielleicht den Falschen ermordet? Sich in der Adresse geirrt?

Das ist einerseits irre komisch und andererseits eine beißende Pointe. Die Wahrheit und mit ihr das Rechtssystem bestehend aus Ermittlern und Anwälten hat keinen Platz in einer Welt ohne Subjekte. Genau solch eine Welt zeigt der Film aber. Eine Welt voller hypermaskuliner Kleiderständer, die sich morgens ihre Gesichtsmasken von den Augen pulen, darunter aber nicht entscheidend Menschlicheres zum Vorschein bringen.

Identität nur jenseits der Extreme

American Psycho ist daher ein Film über Identität, der nach den kleinen Unterschieden fragt, die für gewöhnlich aufgeblasen herausgestellt werden: Hier die Guten, dort die Bösen, da der karriereorientierte Wall-Street Yuppie, hier der kaltblütige Serienmörder. Dort, wo sich die Geschehnisse von American Psycho ereignen, sind diese Unterschiede längst nivelliert. Die Unterscheidung zwischen den mit allerlei nichtssagenden Konsumgütern ausstaffierten Individuen fällt so schwer, dass der Begriff Individuum selbst auf die Probe gestellt wird. Am unteren Ende der Hierarchie sind die Individuen wiederum derart vom Entzug von jeglichem Konsum gezeichnet, dass auch hier eine Unkenntlichkeit Einzug hält, die es nicht erlaubt, den einen Obdachlosen vom anderen zu unterscheiden.

Irgendwo zwischen diesen beiden Extremen scheint eine Mitte zu liegen, die den zweifelsohne nötigen Konsum zum Erhalt des eigenen Lebens und der eigenen Distinktion zulässt, jedoch nicht in die völlige Selbstauflösung führt, in der man selbst nur noch Konsumgut ist. Gleich einem Soldaten, der nichts weiter als die an seiner Brust hängenden Abzeichen mehr darstellt, also Kanonenfutter oder General ist, in völliger Ignoranz gegenüber seiner Menschlichkeit. Doch in American Psycho fehlen Figuren dieser gemäßigten Mitte. Einzig der Privatdetektiv, der Bateman aufgrund des rätselhaften Verschwindens seines Kollegen ins Visier nimmt, scheint die normale Bevölkerung zu repräsentieren. Allerdings dauert es nicht lange, bis auch er die Orientierung verliert und selbst nicht mehr weiß, ob der Gesuchte nun noch lebt oder nicht.

Konsum bis in den Kannibalismus

Batemans Gewaltexzesse werden dabei im gleichnamigen Buch ebenso detailliert beschrieben wie die Outfits der Kollegen oder das Essen im Restaurant. Der Unterschied zwischen diesen Tätigkeiten ist also bloß ein gradueller, und letztlich nicht einmal mehr das. Als Bateman beginnt, die Leichen zu essen, sie also wortwörtlich als Konsumgut zu begreifen, erreicht das Geschehen sein Höchstmaß an Ekel. Gleichzeitig verschwimmen die Grenzen zwischen täglicher Arbeit und nächtlicher Triebauslebung zusehends. Im Buch fällt sogar manches Mittagessen zugunsten eines Leichenschmauses aus. Der Film hält sich hier etwas zurück und beschränkt sich auf die spätere Offenbarung von Batemans Taten (in einer schönen Reminiszenz an The Texas Chainsaw Massacre).

Dieser Kannibalismus ist nur die logische Folge einer vollständigen Konsumorientierung, die das Gegenüber zunächst beim Geschlechtsverkehr als bloßes Mittel zur eigenen Befriedigung begreift und schließlich in aller Konsequenz auch nichts moralisch Falsches oder gar (noch wahnwitziger) Abstoßendes mehr daran finden kann, den Körper des Anderen zu verspeisen.

Heilig ist nur der Konsument

Das einzige Tabu, das Bateman aufrechterhält, ist jenes, das die eigene Aufmerksamkeit nach innen richtet und damit den Verzehr behindert: der Selbstkonsum. Trotz aller Psychosen und Wahnvorstellungen (ein Geldautomat fordert Bateman auf, ihn mit einer streunenden Katze zu füttern) beginnt Bateman nie, sich selbst zu verletzen oder zu bestrafen. Sogar die Selbstbefriedigung ist an den Beginn der Handlung gesetzt und geht in der Folge über in zur Masturbation verkommenem Sex. Die Pornos, die Bateman in der Videothek ausleiht, sind schnell nur noch Anschauungsunterricht, mit dem er seine in die Tat umzusetzenden Fantasien beflügelt. Dieses Tabu dient der Erhaltung des eigenen Egos, dem Konsum darf nicht der Konsument wegbrechen, geschweige denn ein Reflexionsprozess bei diesem einsetzen – ganz wie im echten Leben.

Beziehungen – mit wem denn?

Die Unfähigkeit, tiefergehende Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen, reiht sich in dieses Schema ein. Bateman kann die Menschen nicht losgelöst von ihrem Gebrauchswert betrachten, ob tatsächlich oder nur zur Schau gestellt. Dieses Be- und Verurteilen der Menschen in seiner Umgebung macht es ihm unmöglich, sie als das zu betrachten, was sie jeweils sind. Nur zufällig fallen seine Urteile mit dem Wesen der Leute zusammen („Dieses selbstgefällige Arschloch“), die er größtenteils entweder verabscheut oder für gnadenlos langweilig hält (insbesondere Frauen).

Gleichzeitig stellt sich die Frage, wie es Bateman auch gelingen sollte, mit Menschen seines Schlags ernsthafte Beziehungen zu führen, die selbst keine Subjekte mehr darstellen. Allein seine Sekretärin Jean, die qua sozialem Status schon einer anderen Spezies angehört, scheint so etwas wie genuine Zuneigung für Patrick zu empfinden, also tatsächlich dem Subjekt Patrick Bateman näher kommen zu wollen. Was wiederrum nicht für sie spricht. Denn ein Subjekt Bateman gibt es für die Mitwelt eigentlich nicht, sondern nur dessen Visitenkarte, seine Anzüge und seinen makellosen Teint. Patrick selbst scheint das zu spüren, weshalb er von dem eigentlich an ihr geplanten Mord absieht und sie als Einzige unbehelligt aus seiner Wohnung entlässt. Das wirft die Frage auf, ob er überhaupt ein Mörder ist, verschont er doch das einzige Individuum, das ihm begegnet. Tötet er nur Nicht-Subjekte, wo sind dann die Opfer?

Alles nur ein Traum?

Am Ende versucht Bateman, sich einer gerechten Strafe auszusetzen. Zu diesem Zweck läuft er zunächst in den nächtlichen Straßen New Yorks Amok und spricht dann seinem Anwalt ein Geständnis auf Band. Doch Bateman muss feststellen, dass ihm keiner glaubt. Mehr noch, seine Verbrechen verfangen nicht in der Realität, sie geschehen, werden aber von niemandem zu Kenntnis genommen. Selbst das Appartement seines Kollegen, in dem er diesen hingerichtet hat, wird längst neu vermietet, und ein Paul Allen soll dort nie gewohnt haben. Für einen Moment stellt sich die Frage, ob Bateman all das nicht nur geträumt hat.

Doch welchen Unterschied würde das machen? Die Realität, an der Bateman sich orientiert, ist längst in Auflösung begriffen. Bar jeder Subjekte und einer von ihnen konstruierten Wirklichkeit wäre das Morden nicht einmal dann unstrittig, wenn Leichen präsentiert werden könnten. Diese Buch wie Film seit Erscheinen begleitende Frage kann daher nicht kriminalistisch lauten: Lebt Paul Allen oder nicht? Sondern: Gibt es ihn?

Takeaways

  • Nimm etwas, und steigere es bis in seine absurdesten Konsequenzen hinein. Dann schreib sie auf.
  • Wenn du über die fatalen Folgen von X schreibst, suche nach einem damit verwandten Tabu – und brich es
  • Die Realität deiner Geschichte hängt von ihren Protagonisten ab, nicht von der unseren
  • Um Beziehungen wirkungsvoll zu schildern, musst du zuerst beeindruckende Subjekte schaffen
Kategorien
Talking Story

The Favourite [Analyse]

[Massive Spoiler voraus]

Leiden oder Langeweile, mehr halte das Leben nicht bereit, gab Arthur Schopenhauer im 19. Jahrhundert zu Protokoll. Denn entweder man führe ein prekäres Leben mit allerlei Entbehrungen und Knechtschaft oder aber man sei den Niederungen der Lebensnotwendigkeiten entkommen und müsse erkennen, dass ungehemmter Konsum frei von jedweder Mühsal noch viel sinnloser ist als das Dasein der Besitzlosen. Vorhang auf für The Favourite.

Aufeinanderprallende Welten

Unter dem Brennglas des Hofes prallen diese beiden Lebenszustände aufeinander wie nirgends sonst. Die Dienerschaft lebt in beständiger Angst vor den Launen der Obrigkeit, die sich derweil Hummerwettrennen und Schminkexzessen hingibt. Der Stoff, von dem Lanthimos erzählt, ist in dieser Umgebung also bestens aufgehoben, denn The Favourite handelt nur vordergründig von Intrigen und Irrsinn. Eigentliches Sujet sind das Leiden und die Langeweile.

Es herrscht Krieg zwischen England und Frankreich. Doch die englische Königin Anne (Olivia Colman) versinkt in Depressionen, die „Tragik ist ihr ständiger Begleiter“. Umschmeichelt und gleichsam kontrolliert von ihrer engsten Vertrauten Lady Sarah (Rachel Weisz) hält sie die Geschicke des Reichs nur noch pro forma in den Händen. Die Opposition im Parlament fordert Friedensverhandlungen, Lady Sarah aber will noch tiefer in die territorialen Eingeweide des Feindes vordringen – obwohl (oder weil?) ihr Mann an der Front kämpft. In dieses Schauspiel platzt Sarahs Cousine Abigal (Emma Stone) hinein, die ihren Adelstitel verloren hat und am Hofe einen Neuanfang wagen will. Lady Sarah zeigt sich gütig und weist ihr einen Platz in der Küche zu. Doch Abigail hat andere Pläne.

Identifikationsfigur gesucht

In der Folge entspinnt sich zwischen den beiden Cousinen ein Kampf um die Gunst der Königin, der mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln geführt wird. An diesem Punkt verliert sich der Film schnell in der Beliebigkeit des höfischen Daseins. Ein echter Grund für die Motivationen der beiden Anti-Heldinnen ist nicht auszumachen. Lady Sarah führt selbst einige Male die Liebe an, die sie an die Königin und an das Reich und deren beider Wohl binde. Doch überzeugen kann ihr berechnendes und distanziertes Agieren langfristig weder den Zuschauer noch die Königin. Letztere ist Lady Sarahs Definition von Liebe spätestens dann überdrüssig, als Abigail beginnt, sie mit der zuckrigen Anmaßung namens Bewunderung zu überschütten.

Desillusionierte Dekadenz

Abigail wiederum möchte zurück in den Adelsstand, sie träumt von ausschweifenden Gelagen. Zunächst tritt sie dabei als vom Schicksal Gezeichnete auf und bietet dem Zuschauer die einzige echte Identifikationsfigur. Doch schon bald offenbart sich hinter der gutmütigen und allzu nachvollziehbaren Oberfläche, hinter dem Wunsch nach ein bisschen Würde und Friede, ein Mensch, der für den eigenen Vorteil jeden Nachteil Dritter in Kauf nimmt. Zurück im aristokratischen Zirkel ergreift Abigail dann auch nicht die Freude über das Erreichte, sondern eben die Langeweile, übertüncht mit einer morbide anmutenden Feierwut, als sei sie verzweifelt auf der Jagd nach eben jenem Glück, das das Leben in der höfischen Dekadenz aus der Perspektive der Besitzlosen doch verspricht.

Manchmal macht es Spaß, Königin zu sein

Lady Sarah hingegen erkennt ihre Niederlage auf stoische Weise an, so dass es fast scheint, als sei sie froh darüber, die ewige Langeweile und die Macht um der Macht willen gegen ein bisschen echtes Leiden eintauschen zu können. Die Königin hat ihre Depressionen derweil auch mit ihrer neuen Vertrauten nicht überwunden. Zwar dürfen ihre Kaninchen, die die Namen ihrer zahlreichen totgeborenen Kinder tragen, nun frei in den Gemächern herumtollen. Aber diese Befreiung gegenüber der emotionalen Käfighaltung unter Lady Sarah ist ebenfalls nur eine scheinbare. Die Bejahung der eigenen Tragik mündet ebenso wenig in Akzeptanz wie ihre Verdrängung. So entdeckt die Königin dann doch noch ihren Herrschaftswillen als letzte Bastion des Trosts. In einer psychedelischen Sequenz zwingt sie Abigail dazu, sie sexuell zu befriedigen:

„Mir ist schwindlig, ich muss mich irgendwo festhalten“ (packt Abigail an den Haaren).

The Favourite

In diesem Moment realisiert Abigail die unveränderte eigene Abhängigkeit, ihr Ausgeliefertsein an die Launen der Königin. Aus dem Leiden gibt es kein Entkommen, es sei denn, man ist selbst die Herrscherin. Dann aber droht eine völlig andere, nicht weniger schmerzhafte Form der Ernüchterung. Die Szene blendet über in das Gewimmel der Kaninchen, das eine Spur von Ewigkeit vermittelt, vom ewigen, sinnlosen Gewimmel am Hofe wie anderswo.

Auf die Not des Hungers folgt das Erbrechen

Als Siegerin aus dem Kampf um die Krone geht so letztlich doch Lady Sarah hervor, deren stoische Würde ihr als Einzige die Tragik nimmt. Nichts sei umsonst, merkt sie an, angesprochen auf ihren Wunsch, den Krieg gegen Frankreich auszudehnen, obwohl ihr Mann bei den Truppen weilt – und sie sei bereit, ihren Preis zu zahlen. Dieser Erkenntnisvorsprung unterscheidet sie von den übrigen Protagonisten. In all der Sinnlosigkeit hat sie eine Leiden-Schaft für sich entdeckt. Ähnliches hatte auch schon Schopenhauer vorgeschlagen.

Lanthimos bebildert dies eindrücklich: Wo Abigail erst ausgehungert Brot in sich hineinstopft, um sich später nach den Gelagen herzhaft zu übergeben und die Königin den täglichen Kuchen ohnehin stets postwendend wieder zurück auf den Teller befördert, muss Lady Sarah erst vergiftet werden, bevor sie sich erbricht. Die Langeweile der Verdauung ist ihr fremd. Sie hat sich einen Hunger bewahrt, weshalb ihr Körper auch nicht gegen Überfressung rebellieren muss.

Plotting als Verweigerung

Lanthimos Verzicht auf einen ausgearbeiteten Plot, das Dahinplätschern der Exzesse, nimmt dem Film seine leichte Konsumierbarkeit, die anhand der schillernden Charaktere und großen Schauspielleistungen problemlos möglich gewesen wäre. Das kann man dem Werk als Makel auslegen. Aber gerade diese Unkonsumierbarkeit verleiht dem Gezeigten eine Unruhe und Sinnlosigkeit, die den Zuschauer auf das zentrale Thema des Films zurückwerfen: Entweder man leidet an dieser Sperrigkeit von The Favourite oder man langweilt sich. In jedem Fall aber sieht man der Zergliederung menschlicher Befindlichkeiten zu, deren Art und Weise bereits eine Pointe enthält. Auch wenn Lanthimos diesmal nicht das Drehbuch schrieb: So viel Konsequenz ist ihm zuzutrauen.

Unterstellt man dem Regisseur diese Absicht, ergibt auch das unerwartete Genre des Kostümfilms Sinn. Denn Lanthimos Filme (allen voran der grandiose Dogtooth) machten bisher durch eine gewisse Reduziertheit von sich reden. Die Kostüme und Perücken jedoch legen dem Stoff gerade eine Ebene der totalen Oberflächlichkeit bei, von der aus die Abgründe von Leiden und Langeweile noch an Tiefenschärfe gewinnen. So wird The Favourite zu einem Film, der das bloße Vehikel für einen anderen Stoff darstellt. Das muss man nicht mögen. Aber vielleicht sollte man es gesehen haben.

Takeaways

  • Du darfst alle Regeln des Erzählens brechen, wenn du es gut begründen kannst
  • Eine Dreieckgeschichte funktioniert, wenn alle Ecken miteinander in Verbindung stehen (per Winkel, Schenkel und Satz des Pythagoras)
  • Wirkungsvolle Metaphern ergeben sich unter anderem aus den Wünschen und Zielen der Protagonisten und erlangen so Bedeutung
Kategorien
Talking Story

The Texas Chainsaw Massacre [Analyse]

[Massive Spoiler voraus]

Tobe Hoopers The Texas Chainsaw Massacre ist ein Klassiker des Slasher-Kinos. Von seiner verstörenden Wirkung hat das Machwerk bis heute nichts verloren. Zwischen den Morden erzählt es von wirtschaftlichem Niedergang, gescheitertem Hippietum und dem Wert der Familie. Doch seine bedrückende Kraft zieht der Film aus der beispiellos vollendeten Verfleischlichung seiner Protagonisten. Eine Analyse.

Das Grauen entsteht im Kopf

Sommer 1973. Ein VW-Bus voller Twentysomethings strandet im Nirgendwo des texanischen Hinterlands. Bald darauf macht ein wortloser Hühne mit blutverschmierter Metzgerschürze Jagd auf die fünf Freunde, hängt sie bei vollem Bewusstsein an Fleischerhaken auf und zerstückelt sie mit einer Kettensäge.

„It’s a film about meat“, so Regisseur Hooper und so eindeutig auch seine Inszenierung. Der vermeintlich unschuldigen Diskussion über die Vorteile des Bolzenschussgeräts, das im Gegensatz zum Vorschlaghammer das Vieh sofort tötet, folgt wenig später ein Mord mit Letzterem, der dann auch prompt zwei Schläge erfordert. Die Maske des als Leatherface in die Filmgeschichte eingegangen Mörders besteht aus den Hautfetzen seiner Opfer, also aus Leder. Überhaupt ist die degenerierte Familie der Sawyers nicht zufällig zu kannibalistischen Mördern geworden, sondern führt nur die eigene Familientradition fort. Eine arbeitslos gewordene Schlachter-Dynastie hat das Vieh, nicht aber die Profession gewechselt.

Anstatt die Schlachtung der Opfer minutiös zu zelebrieren, wie es die jahrzehntelange Indizierung des Films vermuten ließe, zeigt Hooper ausgesprochen wenig Gore-Szenen. Das Grauenvolle geschieht, ohne dass der Zuschauer es direkt beobachten könnte. Stattdessen rattert die Kettensäge, wackelt der Holzboden.

Die Parallele zur Fleischindustrie wird hier unübersehbar: Eine verstörende Anonymität hält Einzug im Akt des Tötens. Leatherface bringt diese als gesichtsloser und stummer Täter ohnehin schon mit, die beiläufige, explizit nur im Kopf des Zuschauers stattfindende Gewalt verstärkt dieses Empfinden zusätzlich. Als die letzte Überlebende auf dem Ladedeck eines vorbeifahrenden Pick-Ups entkommt, setzt Hooper seine Schlusspointe. Allem Anschein nach ist das Mädchen wahnsinnig geworden. Ihr Intellekt hat das Grauen nicht überlebt, sie wurde zu Vieh und Vieh wird sie bleiben.

Ein veganes Manifest?

All dies kann man als Kritik am Fleischkonsum verstehen. Wenn eines der Mädchen während der Diskussion zu Beginn des Films um einen Themenwechsel bittet, da sie Fleisch doch eigentlich möge, ist dies in Zeiten von Tierethik und veganer Rügenwalder aktueller denn je. Aber diese Interpretation übersieht die Funktion der implizierten Nähe zwischen Fleisch und Mensch.

Fernab aller intellektuellen Scherereien ist The Texas Chainsaw Massacre vor allem ein Film, der den eigenen Körper erfasst. Die dröhnende Tonspur, die schnellen Schnitte und die unentwegt schmutzige Optik machen den Film zu einem primär sinnlichen Erlebnis. Zu Hitze, Staub und Schweiß gesellt sich erst Blut, dann Spinnweben, Rost, Federn, blanke Knochen. Nichts ist vor dem Verfall gefeit, selbst die Häuser verlottern.

Die eigene Fleischlichkeit erfahren

Das Grauen, das der Zuschauer empfindet, vermischt mit einer Spur von Ekel, speist sich vor allem aus der sorgsam vorbereiteten Animalisierung der Protagonisten. Während die Sawyers bereits zu empathiebefreiten, aber keineswegs gänzlich gefühlslosen Bestien degeneriert sind, erleiden ihre Opfer mit fortschreitender Filmdauer im Ergebnis dasselbe Schicksal, wenn auch auf anderem Wege. Die Tötung per Vorschlaghammer, der Einsatz des Fleischerhakens und die anschließende Verwahrung in der Gefriertruhe reduzieren die Protagonisten brutal auf ihre Körper, auf ihr Fleisch und ihre Knochen. Als die Gruppe sich in das fremde Anwesen begibt, betritt sie ein Schlachthaus und wird selbst zu Vieh.

In der Auflösung dieser anfangs scharf dargestellten Dissonanz zwischen Mensch und Fleisch spielt sich zweierlei ab. Die Menschen werden zu Fleisch degradiert, das Fleisch selbst wiederum feiert die Wiederentdeckung seiner Leiblichkeit. Das gegrillte Rindfleisch von der Tankstelle und die von Leatherface kredenzten Überreste der Opfer haben sich am Ende des Films angenähert. Sie sind nun beide Fleisch und bestehen beide unmissverständlich aus Leichenteilen. Konsequent verneint der Film dabei den immer stärker werdenden Wunsch nach Reinigung, nach Sauberkeit, nach Plastikschachtelidylle.

Insofern stimmt es, wenn man The Texas Chainsaw Massacre eine veganisierende Wirkung unterstellt. Der Film hallt auch dann noch nach, wenn das Steak bereits auf dem Teller liegt. Doch dies bleibt ein Nebeneffekt. Die als Kritik am Fleischkonsum interpretierbaren Szenen fragen nach dem Unterschied zwischen Tier und Mensch. Eine nachdrückliche Antwort auf diese Frage liefern die Sawyers. Aus ihr speist sich die unerreicht verstörende Kraft des Films.

Takeaways

  • Die wirklich großen Monster sind keine oberflächlichen Schablonen des Bösen
  • Beschreibungen und Details sind machtvolle Verstärker einer Grundstimmung, aber bilden nicht selbst die Grundstimmung
  • Foreshadowing ist dann am effektivsten, wenn es mehr als eine Funktion erfüllt und mit einem Teil der Geschichte in Verbindung steht
  • Lass deine Figuren allmählich gegen ihren Willen zu etwas ihrem Wesen Entgegengesetztem werden, um große Gefühle auszulösen