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Talking Story

The Power of the Dog [Analyse]

In „The Power of the Dog“ treibt ein hypermaskulines Schreckgespenst sein Unwesen. Was spannend klingt, ist trivial und überholt.

[Massive Spoiler voraus]

In der Ranch, die die Burbank-Brüder betreiben, spukt es. Ein Geist läuft durch die Bildmitte, durch den Hintergrund, seine Sporen klirren. So muss es sein, so ist es beabsichtigt. Denn Phil Burbank (Benedict Cumberbatch), der diesen Geist verkörpert, macht nicht die Pferde scheu. Er treibt Rose (Kirsten Dunst), die Frau seines Bruders, in die Alkoholsucht. Unterdrückt alles Schwache.

Das hat viel Raubeiniges, wie bei John Wayne, viel Stummes, wie bei Eastwoods Blonder, und viel Vulkanisches unter der Oberfläche, kurz vor dem Ausbruch.

Hypermaskulinität als Schreckgespenst

Phil ist der althergebrachte Prototyp des Western-Mannes, nur eben auf die Spitze getrieben. Wer seinem Ideal von Männlichkeit nicht gerecht wird, muss mit den Konsequenzen leben. Zum Beispiel Peter, der gerade erst erwachsen gewordene Sohn der Frau seines Bruders George (Jesse Plemons). Peter bastelt Papierblumen, tanzt Hula-Hoop.

Phil begreift Rose als Schmarotzerin, die nur auf Geld aus ist. Das sagt er ihr und allen anderen. Ob sie es hören wollen oder nicht. Tatsächlich verliert Phil durch sie seinen Bruder. Fortan schlafen sie nicht mehr im selben Zimmer. Allerdings ist sein Bruder ohnehin ein anderer Typ Mann. Er badet, trägt feinen Zwirn. Ist so weich und sanftmütig wie mollig. Für all das wird er von Phil aufgezogen. Dominiert.

Keine Gefahr also. Anders Peter. Der ist, was er ist, so weh es auch manchmal tut, wenn die Machos zuschlagen. Und das ist ein Problem für Phil. Denn er ist nicht, was er ist. Ahnen wir früh. Phil, dieser Ultramacho, hat ein kleines Geheimnis. Und ja, es ist das, was Sie denken.

Bildsprache wie mit dem Dampfhammer

Die Regisseurin Jane Campion hat sich dafür entschieden, einen filmischen Film zu drehen, das heißt, ganz wie es das Genre mag, auf jedes unnütze Wort zu verzichten und stattdessen die Bilder sprechen zu lassen. Aber dadurch verrät sie allzu viel all zu früh, vielleicht weil sie Bilder aus dem gleichnamigen Roman The Power of the Dog von Thomas Savage (1967) übernimmt. Die hingebungsvolle Pflege des Sattels seines alten Mentors Bronco Henrey, die Art, wie Phil das Innere einer Papierblume berührt, in den Boden gerammte Pfähle – die Liste ist lang und nicht subtil. In einem Roman können diese Bilder beiläufig „gezeigt“ werden, in einem Film sind sie notwendig leinwandfüllend und niemals unschuldig, kein filmisches Bild ist das. So wirkt das (Homo-)Erotische dieser Bilder wie mit dem Trichter eingeflößt.

Mit Vollgas auf die Klische-Klippen zu

Ebenso mag es in den 60er Jahren kein Klischee gewesen sein, dass Homophobie vor allem in den Seelen lauert, in denen eigene Homosexualität unterdrückt wird. 2022 wurde das selbst in Kantinen so oft besprochen, dass man es nicht mehr unfallfrei erzählen kann. Dementsprechend plump wirkt die Aufhängung. Gepaart mit den betont anspruchsvollen Bildern sticht die Trivialität dieser Küchenpsychologie noch deutlicher hervor.

Mangelnde Glaubwürdigkeit

Was von manchen Kritikern als Dekonstruktion toxischer Männlichkeit begriffen wird, hält daher in Wahrheit nichts Neues, Kluges, Intelligentes über Männlichkeit und ihre Grenzen bereit. Verheerender für die Geschichte ist jedoch die Unglaubwürdigkeit der handelnden Figuren, die vermutlich den üblichen Schwierigkeiten bei einer Romanverfilmung geschuldet ist. Weshalb Phil die Frau seines Bruders quält, lässt sich noch nachvollziehen. Warum diese sich als verwitwete, alleinerziehende Betreiberin eines kleinen Restaurants und somit als gestandene Frau so gar nicht dagegen zur Wehr setzt, bleibt jedoch unverständlich. Der Zuschauer kommt zu dem Schluss: Phil ist kein Mann. Er ist ein Gespenst, dem nichts entgegenzusetzen ist.

Auch Phils plötzliche Zuneigung zu Peter wirkt seltsam unmotiviert. Peter erwischt ihn beim Nacktbaden im See. Phil jagt ihn davon. Beim nächsten Aufeinandertreffen nimmt er Peter dann unter seiner Fittiche. Was hat ihn dazu veranlasst? Er kann nicht wissen, dass Peter die Muscle Magazines gefunden hat, die in der Nähe des Sees von ihm aufbewahrt werden. Will er Rose nun auch dadurch quälen, dass er ihren Sohn zu einem der seinen erzieht?

Der Twist bleibt aus

Man kann darüber hinweggehen und es als ambivalente, schwer durchschaubare Figurenzeichnung abtun, die den Zuschauer bis zum Finale im Unklaren lässt. Doch auch dort werden diese Fragen nicht beantwortet. Dementsprechend wartet man auf den einen großen Twist, der all dem Unerklärlichen Sinn verleiht, den Spuk erklärt. Und auf den Vulkanausbruch, der seit den ersten Bildern angekündigt wird. Leider ist der Twist am Ende nur ein halbgarer, da er der Erzählung nichts hinzufügt. Der Ultramacho wird vom Softie hintergangen und ins Reich der Historie geschickt. Erneut: Trivialität.

So ist The Power of the Dog trotz der gemächlichen, filmischen Erzählweise am Ende weder subtile Charakterstudie noch raffinierter Abgesang auf hypermaskuline Geister der Vergangenheit. Für Letzteres hätte Campion dem Ganzen etwas erzählerisch Neues hinzufügen müssen. Für Ersteres hätte die Figurenzeichnung runder ausfallen müssen.

Takeaways

  • motiviere die Handlungen deiner Figuren
  • erkläre, zu gegebener Zeit, das für dein Publikum Unerklärliche
  • übernimmt keine alten Motive, ohne sie auf Aktualität zu prüfen
  • mache dich mit den Spezifika deines Mediums vertraut
  • manchmal ist ein Bild weniger das beste Bild

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