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Ein sehr guter Text Prosa

Worldbuilding als Prozess: Wie du eine Welt entwirfst

Eine fiktive Welt zu entwerfen, ist ein großer Spaß, aber kein Zuckerschlecken. Worauf du beim Worldbuilding achten musst.

In welchen Genres Worldbuilding besonders relevant ist und was deren Besonderheiten sind, haben wir bereits im ersten Teil der Worldbuilding-Serie besprochen. Dabei haben wir auch unterschieden zwischen Worldbuilding als Prozess vor dem eigentlichen Schreiben und Worldbuilding als Technik im Manuskript, das die fiktive Welt für deine Leserinnen etabliert.

In diesem Artikel soll es nun um den Prozess des Worldbuildings gehen, also darum, wie du eine solche Welt gedanklich entwerfen kannst und worauf dabei zu achten ist.

Worldbuilding kann alle Bereiche umfassen

Zunächst einmal gilt: Worldbuilding ist Recherche in der eigenen Fantasie. Deshalb sind ihr prinzipiell auch keine Grenzen gesetzt. Je nach Genre und der Geschichte, die du erzählen willst, kannst du also ein ganz neue Welt erdenken, samt Geografie, Flora und Fauna (vor allem für Fantasy). Oder nur ein pervertiertes Rechtssystem samt dystopischer gesellschaftlicher Verhältnisse. Aber auch eine eigene Historie ist denkbar sowie kulturelle Aspekte: Traditionen und Sitten, Religionen, sogar Sprachen.

Technologische Veränderungen sind natürlich vor allem für Science-Fiction interessant. Wenn du es auf die Spitze treiben willst, kannst du dich an neue physikalische Gesetze machen, das ist dann Worldbuilding für Anspruchsvolle.

Du nimmst also die Welt, wie wir sie kennen, und drehst an diversen Stellschrauben. Je nachdem, wie weit du drehst und an wie vielen Schrauben, gerät dein Worldbuilding aufwändiger und komplexer oder minimalistisch. Ein gutes Beispiel für letzteres sind klassische Zombie-Apokalypsen. Meist bricht hier das Chaos in der bekannten Welt aus, weil ein Virus Menschen zu Untoten macht. Im Rahmen des Worldbuildings musst du dir als Autorin vorab also keine neue Sprache überlegen, aber eben doch einige Fragen beantworten: Ursache (wirklich ein Virus oder doch ein Chemiewaffenangriff?), Ausmaß, Übertragungswege (wie wird ein gesunder Mensch zum Zombie?), Schwachstellen der Untoten und so weiter.

Ausgangsbasis ist immer die bekannte Welt

Aufwendiger wird es beispielsweise bei High Fantasy: Oftmals musst du hier erstmal die Buntstifte zücken und zumindest eine grobe Karte deiner Welt anfertigen. Gibt es unterschiedliche Völker? Alte Feindschaften? Welche übernatürlichen Fähigkeiten nutzen die Bewohner deiner Welt?

All diese Aspekte definieren die Welt, in die deine Leser mit dem ersten Satz deiner Geschichte eintauchen. Nur wenn du dir als Autorin im Vorfeld über diese Dinge im Klaren bist, kannst du deine Leserinnen effektiv in diese Welt mitnehmen.

Generell sind deiner Fantasie dabei keine Grenzen gesetzt. Auf die folgenden vier Dinge solltest du aber unbedingt achten!

Konsistenz ist die Mutter der Glaubwürdigkeit

Ermittlerinnen stellen Tatverdächtigen wieder und wieder dieselben Fragen und lassen sie dieselben Geschichten x-mal wiederholen – warum? Ganz einfach: Die Realität kann sich nicht widersprechen. Fiktion sehr wohl.

Damit ist auch schon der wichtigste Punkt des Worldbuildings für dich als Autorin angesprochen. Deine Welt kann sich völlig von der Realität unterscheiden. Bis auf einen Punkt: auch sie muss in sich stimmig sein.

Einfache Widersprüche sind hier noch am harmlosesten: Im Jahr 3555 begrub ein Komet die USA unter sich. 200 Seiten später war es dann plötzlich ein Hyper-Erdbeben.

Gravierender wird es, wenn einzelne Elemente des Worldbuildings keinen Sinn ergeben. Etwa, wenn Hexen alles Mögliche hexen können, sich aber über Care-Arbeit beschweren – wieso hexen sie die Wohnung nicht einfach sauber? Elfie Donelly, die Autorin von Bibi Blocksberg, erfand für dieses Problem den Hexen-Kodex, der es Hexen untersagt, einfach nur für ihren eigenen Vorteil zu hexen.

Solche Widersinnigkeiten reißen deine Leser aus der Geschichte. Sie verraten quasi, dass es sich um Fiktion handelt, und zerstören die Immersion. Schlimmer noch, sie sähen Zweifel an der Verlässlichkeit des Autors. Deshalb wird ein Lektorat immer besonderes Augenmerk auf die Konsistenz deines Worldbuildings legen.

Kultur zeigt sich in Details

Mit fremden Welten gehen meist auch der Leserin unbekannte Kulturen einher. Diese kann man natürlich groß und breit darstellen, etwa durch die Feier eines religiösen Festes oder eine Sportveranstaltung. Keine schlechten Ideen, das taugt für großartige Szenen im Manuskript. Aber Kultur dringt tief in das Verhalten ihrer Träger ein, und zeigt sich daher auch in winzigen Handlungen des Alltags.

Wir in Deutschland schütteln einander etwa die Hände zur Begrüßung, halten am Zebrastreifen und teilen beim Italiener penibel die Rechnung auf. Kommt jemand zu spät, nehmen wir Anstoß daran. All das sagt etwas über uns als Individuen aus, aber auch über die Kultur, die uns umgibt. Deshalb ist es beim Worldbuilding als Prozess wichtig, sich auch über diese Alltagshandlungen Gedanken zu machen. Wie begrüßen sich die Menschen, wie ist der Verkehr, reden sie laut oder leise, ist man als schüchterner Mensch ein Ausnahmeerscheinung oder die Regel? Erst dieses dichte Netz an Verhaltensweisen erweckt eine fiktive Kultur wirklich zum Leben.

Figuren sind Produkte ihrer Umwelt

Ein weiterer wichtiger, aber oft übersehener Punkt beim Worldbuilding sind die Auswirkungen, die eine Welt, eine Gesellschaft und ein Rechtssystem auf die in ihr agierenden Figuren haben. Genau wie wir, sind auch deine fiktiven Charaktere Produkte ihrer Umwelt und werden von ihr geprägt. Eine gleichgeschaltete Gesellschaft wird daher nicht lauter eigenwillige Freigeister hervorbringen – aber vielleicht einen, der dann zufällig auch deine Protagonistin ist. Wenn das Recht des Stärkeren gilt, wird das Familienoberhaupt nicht unbewaffnet sein, es wird die Haustür nicht offenstehen lassen und auch nur äußerst ungern mehrere Tage von seiner Familie fernbleiben.

Und wenn Aufstieg durch Bildung kaum möglich ist, werden weder die Kinder mit viel Fleiß für die Schule lernen noch die Eltern viel Wert auf deren Bildung legen. Was du dir also am Reißbrett ausdenkst, muss auch in deine Figurenzeichnung einfließen. Auch wenn du dort frei bist, und Ausnahmen die Regel bestätigen: all deine Figuren sollten sich nicht frei von ihrer Prägung und Erziehung machen, sonst stehen sie im luftleeren Raum jenseits des Universums, das sie angeblich bewohnen.

Du brauchst eine besondere Prämisse

All deine Anstrengungen werden von einem Ziel getragen: Dein Worldbuilding muss sich von denen bestehender Geschichten unterscheiden. Allerdings nicht in Bezug auf die Lieblingsspeise der Königin, sondern im Kern, im Innern deiner fiktiven Welt. Das heißt, die zentrale Prämisse, auf der deine Welt fußt, muss innovativ sein, einen Raum aufmachen für eine neue Art von Geschichte.

Beispiele dafür gibt es in Hülle und Fülle. Jurassic Park etwa betreibt nur minimales Worldbuilding, lebt aber von einer zentralen, faszinierenden Prämisse: Was würde passieren, wenn wir lebende Dinosaurier klonen könnten? Das Worldbuilding befasst sich dann vor allem damit, diese Prämisse einigermaßen realistisch zu rechtfertigen und in unsere bestehende Welt einzuflechten.

Die zentrale Prämisse von Star Wars ist nicht, dass die Galaxie von einem bösen Imperium beherrscht wird, gegen das sich ein paar tapfere Wesen auflehnen. Sondern, dass es eine Kraft gibt, derer man habhaft werden kann, und die es einem ermöglicht, selbst die ärgsten Widersacher in die Knie zu zwingen: die Macht. Doch Vorsicht! Der Weg dahin birgt viele Gefahren und die Macht hat auch eine dunkle Seite, der man gerade als Novize allzu leicht verfällt.

Harry Potter wiederum besticht durch die einzigartige Kombination aus herkömmlicher Coming-of-Age Internatsgeschichte mit Zauberei – und erschafft dadurch ganz neue Probleme und Möglichkeiten.

Eine solche Prämisse zu finden, ist nicht einfach, wird es dir aber erheblich erleichtern, dich von den anderen Geschichten deines Genres abzuheben und innerhalb weniger Pinselstriche ein ganzes Panorama an möglichen Konflikten und Motiven zu entwerfen.

Wie du dein ausgetüfteltes Worldbuilding dann im Manuskript selbst umsetzt und an deine Leserinnen bringst, diskutieren wir im dritten Teil der Worldbuilding-Reihe.

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