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Ein sehr guter Text Prosa

Worldbuilding als Technik: Wie du dem Leser deine Welt erklärst

Du hast mittels Worldbuilding eine fiktive Welt entworfen und dir den Kopf zermatert – aber wie bringst du diese Welt nun an den Leser?

Du hast mittels Worldbuilding eine fiktive Welt entworfen und dir den Kopf zermatert – aber wie bringst du diese Welt nun an den Leser?

Im ersten Teil der Worldbuilding-Serie ging es um die verschiedenen Genres und ihre Besonderheiten in Bezug auf das Worldbuilding. Im zweiten Teil widmeten wir uns dem Worldbuilding als Prozess vor dem eigentlichen Schreiben. Im dritten und letzten Teil geht es nun um die wohl wichtigste Frage: Wie erklärst du deinen Leserinnen diese Welt und was gilt es zu vermeiden?

Denn eins ist klar: Du kannst noch so wundersame Welten entwerfen und ganze Kulturen erfinden – wenn du es nicht schaffst, diese elegant und effektiv an den Leser zu bringen, ist das verlorene Liebesmüh. Und dein Roman oder dein vierteiliges Fantasy-Epos werden nicht funktionieren.

Vorausgesetzt, du hast die ganz grundsätzlichen Fallstricke aus dem zweiten Teil der Serie erfolgreich umschifft, gibt es noch folgende Fehler, die beim Schreiben selbst zu vermeiden sind.

Infodump tötet das Interesse

Als Autorin hast du nun eine Fülle an Informationen über deine Welt im Kopf und auf Papier und kannst kaum erwarten, all diese tollen Einfälle loszuwerden. Aber ein gutes Worldbuilding als Technik verlangt nun vor allem eins von dir: Disziplin.

Denn das Schlimmste, was du nun tun kannst, ist, all diese Informationen über deinem Leser auszuschütten. Also etwa so:

Das Klima in Knockturnal ist kalt und rau. Nachts pfeift der Wind von Norden die Hänge des Albunar hinab, tagsüber wärmt eine weiße Sonne nur die Spitzen der Flaktürme. Deshalb haben die Knockturner tief in die Erde gegraben, in Richtung des Erdkerns, und graben noch immer. Auch Celestus gräbt dort, seit er 13 ist. Es ist eine schweißtreibende Arbeit, und noch ist der Ertrag gering.

fiktives Beispiel

Hier geht es inhaltlich darum, dass die Stadt, in der der Held lebt, zu kalt ist, und die einzige Wärmequelle tief unter der Erde liegt. Das ist an sich eine schöne Idee. Aber an der Umsetzung hapert es, denn anstatt einer Szene kriegen wir hier nur Erklärungen serviert. Und das ist immer langweilig und abschreckend. Wir haben ja kein Lexikon gekauft.

Ein wenig mildern die Beschreibungen die Langeweile, weshalb das Beispiel keine Katastrophe ist. Wir sehen den Berg vor uns, den Wind, die ihm schutzlos ausgelieferte Stadt, und auch die „weiße Sonne“ ist ein schönes Bild. Aber letztlich kommt die Info doch reichlich platt daher, eben als das, was sie ist: als Info. Celestus gräbt dort. Punkt.

Das ist sogenannter Infodump, der deine Leserinnen nicht nur langweilt, sondern auch aus der Geschichte reißt, weil es kein Erzählen ist. Es ist bloßes Mitteilen von Informationen. In einem separaten Artikel über Infodump habe ich das genauer erklärt. Wichtig für dich ist erstmal: Du musst mit Informationen haushalten, sie Stück für Stück deinen Leserinnen verraten. Und wenn du es tust, solltest du es beiläufig tun, nebenbei, während etwas passiert. Also, indem du erzählst. Etwa so:

In Knockturnal pfiff der Wind die Hänge des Albunar hinab, wie jede Nacht. Tief im Innern der Stadt gefror Celestus der Schweiß an der Stirn, während er seinen Spaten wieder und wieder in die harte Erde stieß. Seit Jahren schon gruben sie hier in Richtung des Erdkerns. Aber sie waren noch lange nicht tief genug. Und so half es nichts, wider den Schwielen und Schweißtropfen galt: tiefer! Tiefer! Für Knockturn, Heimstatt der weißen Sonne!

fiktives Beispiel

Wir büßen hier ein paar Beschreibungen ein und vor allem einige Informationen. Dafür ist dieser Text nun aber durch und durch szenisch, es wird erzählt. Und der Leser merkt gar nicht, wie er nebenbei informiert wird. Der Ton wird gleichzeitig indirekte, impliziter: „Für Knockturn, Heimstatt der weißen Sonne!“ – ist das hier eine verschworene Gemeinschaft, ein Orden? Glauben sie an etwas? Und was hat es mit der weißen Sonne auf sich?

Kurzum, hier entstehen Fragen. Und Fragen sind das, was uns die Seiten umblättern lässt. Deshalb lautet die wichtigste Regel beim Worldbuilding im Manuskript selbst: Kein Infodump! Nicht umsonst ist Infodump bei meinen Lektoraten oft einer der kritischsten Punkte.

Komplexität hat eine Grenze

Ja, Der Herr der Ringe ist der pure Wahnsinn, wenn es um Worldbuilding geht. Tolkien hat Sprachen, Historie, Völker und Mythen erschaffen, nur um dann einen winzigen Ausschnitt daraus zu erzählen. Aber eins ist Der Herr der Ringe in Bezug auf sein Worldbuilding dennoch nicht: übermäßig komplex.

Denn um die Geschehnisse um Frodo und Aragorn nachvollziehen zu können, müssen wir weder Elbisch lernen noch die Historie von Gondor studieren. Die zentrale Prämisse ist schnell erklärt, und all die Magie, die Völker, die Landschaften werden nebenbei erläutert. Dadurch wirkt das riesige Universum nicht überfordernd auf den Leser und er kann sich Stück für Stück darauf einlassen. Besser noch: er wird hineingesogen.

Für dich heißt das: Nicht jedes Detail, dass du dir im Vorfeld über deine Welt erdacht hast, muss auch Eingang in dein Manuskript finden. Manches bleibt außen vor, gehört sozusagen zur Backstory, zum Teil des Eisbergs, der unter Wasser bleibt. Auch hier ist also wieder Disziplin das Zauberwort.

Außerdem solltest du für komplexe Inhalte, die unbedingt zur Story gehören, ein Vehikel finden, dass es dir erlaubt, diesen Inhalt möglichst anschaulich darzulegen. Ein klassisches Beispiel hierfür wäre der ahnungslose Sidekick, der vom Protagonisten (oder auch Antagonisten) über einen solchen Inhalt aufgeklärt wird. Wie Elliot Page von Leonardo DiCaprio in Inception, der ihr die ganze Sache mit den Trauminvasionen erklärt. Hier wird hemmungslos Infodump betrieben, aber eben unter einem erzählerischen Deckmantel. Der Zuschauer muss es wissen, aber Page’ Figur ebenfalls. Elegant gelöst.

Sprich alle Sinne an

Worldbuilding als Prozess ist eine intellektuelle Sache, schon klar. Aber Worldbuilding als Technik muss sich in die Niederungen der Wahrnehmung begeben, um wirklich zu funktionieren. Gerüche, Geschmäcker, Oberflächen, Farben, Geräusche! So also nicht:

Und hinter dieser Tür backte Rotehb das magische Brot. Es war nahrhaft, wohlschmeckend und schien nie zu erkalten.

fiktives Beispiel

Der Leser sieht nichts, hört nichts, seine Sinne sind unbeteiligt. Besser so:

Und hinter dieser Tür backte Rotehb das magische Brot. Noch am nächsten Morgen duftete es die Stube voll, süßlich und würzig wie das himmlischste Kraut. Mutter legte ihre Hände darum, es war immer noch warm.

fiktives Beispiel

Kein Kunstwerk, aber durch die sinnlichen Beschreibungen gewinnt das Brot an Kontur, wird lebendig und anschaulich. Und bleibt dem Leser in Erinnerung. Nun musst du natürlich nicht jedes fantastische Element deiner Welt so eingehend beschreiben. Aber angenommen, dem Brot kommt eine gewisse Bedeutung zu – dann ist es die Mühe wert.

Okay, das war viel Info. Ich hoffe, die kleine Worldbuilding-Serie hat dir einen guten Einblick in die damit verbundenen Herausforderungen gegeben und du konntest den ein oder anderen Tipp mit an den Schreibtisch nehmen.

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