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Talking Story

Funny Games [Analyse]

„Funny Games“ spielt mit dem Begriff von Fiktion. Vor allem aber zwingt der Film den Zuschauer, seine Sehgewohnheiten zu hinterfragen.

[Massive Spoiler voraus]

Zwei junge Männer terrorisieren eine Kleinfamilie in ihrem Urlaubsdomizil, bis der Zuschauer das Geschehen auf der Leinwand kaum noch ertragen kann. Schleichend und durch und durch böse bricht die Gewalt in die gutbürgerliche Idylle hinein. Michael Haneke (Das weiße Band) inszeniert mit Funny Games einen beklemmenden Abgesang auf mediale Gewaltdarstellung, der heute vielleicht aktueller ist denn je.

Ein höflicher, junger Mann klopft an die Tür der Familie und bittet um ein paar Eier. Nachbarschaftshilfe, so normal wie geboten in dieser bürgerlichen Welt, in der Gewalt keinen Platz mehr hat. Doch kaum wird der Bitte entsprochen, entspinnt sich eben jene Gewalt, wie als Entlarvung des utopischen Charakters einer gewaltlosen Gesellschaft. In dieser ist die Gewalt nicht verschwunden, sie ist nichts von außen Hinzukommendes. Sie ist bloß sublimiert und ritualisiert, nicht zuletzt auch in Gestalt der Unterhaltungsindustrie, wie Haneke in den folgenden 80 Minuten verdeutlicht.

Gewalt in der bürgerlichen Mitte

Die erste gezeigte Gewalthandlung in Funny Games ist dann auch wider Erwarten keine sadistische Grausamkeit seitens der Täter. Das Ehepaar streitet im Auto um die Wahl des Radiosenders, zwei Hände treffen sich, eine gewinnt die Oberhand. Es sind auch nicht die Täter, die das erste Mal zuschlagen. Der Vater verteilt eine Ohrfeige, um die Unverschämtheit der beiden jungen Männer zu sanktionieren. Diese vergesellschaftlichte Form der Gewalt stellt sich jedoch als wirkungslos heraus, sobald sie auf rohe Gewalt trifft, ja sie gibt erst den vermeintlichen Anstoß zur anschließenden Eskalation. Wenig später ist die Familie in der Gewalt der jungen Männer, der Schäferhund erschlagen, der Vater blutig geprügelt.

Die beiden Täter werden dabei gerade als Teil der bürgerlichen Gesellschaft dargestellt: Adrett gekleidet, gewählte Ausdrucksweise und in der Lage, mit einem Golfschläger umzugehen. Umso quälender stellt sich die Frage nach dem Warum des Gewaltausbruchs. Doch alle Rationalisierungsversuche seitens des Vaters ernten nur den Hohn der beiden Männer. Der Sadist widersteht der Einordnung, das ist sein eigentliches und einziges nicht-bürgerliches Merkmal. Das Böse lauert nicht irgendwo da unten, am Boden des gefürchteten sozialen Abstiegs. Oder bloß in der niederen Herkunft, die die Täter spöttisch in fiktiven Lebensgeschichten skizzieren und sogleich als solche entlarven. Es kommt aus der Mitte der Gesellschaft. Auch deshalb wird das eigene Anwesen samt seiner Mauern und dem meterhohen Tor zum unüberwindbaren Hindernis, als sich der Familie schließlich die Möglichkeit zur Flucht bietet.

Die Ohnmacht des Patriarchen

Im Gewaltverzicht, im Räsonieren, um nicht gewalttätig sein zu müssen, schwingt stets auch die Frage nach einem Verlust von (imaginierter und idealisierter) Maskulinität mit. Wie in Nocturnal Animals befindet sich der Vater auch in Funny Games als Führungsfigur und Beschützer in einer besonders prekären Situation. Er enttäuscht alle Erwartungen, auch die eigenen, als er mit nicht sublimierter Gewalt konfrontiert wird. Seine Beschützerrolle vermag er auf dem gesellschaftlichen Parkett auszufüllen, jenseits davon ist er selbst auf tragische Weise Schutzsuchender.

Haneke inszeniert diesen Verfall der Vaterfigur schonungslos. Als die Männer die Ehefrau dazu nötigen, sich zu entblößen, zwingen sie den Vater, ihr den entsprechenden Befehl zu geben. Die Kamera fängt dabei nicht die ohnehin unerträgliche Demütigung der Frau ein, sondern das konsternierte Gesicht des Vaters, des ohnmächtigen Patriarchen, dessen Macht allein auf dem Konsens des Gewaltverzichts gründet. Dort wo der Mensch dem Menschen wieder unverblümt ein Wolf sein kann, ist Vater ohne Vater Staat hilflos. Es ist schließlich der Sohn als noch nicht völlig in die Bürgerlichkeit Erzogener, der dem Überleben und der erforderlichen Gegengewalt am nächsten kommt.

Bürgerliche Moral in all ihrer Absurdität

Ihm verhüllen die Männer im Vorfeld der Szene das Gesicht. Er soll die nackte Haut seiner Mutter nicht mit ansehen müssen. Haneke verhöhnt hier die bürgerliche Moral (vor allem die amerikanisch geprägte, Anlass des Shot-by-Shot-Remakes Funny Games US Jahre später für den amerikanischen Markt), die uns zwar vor blanken Brüsten schützen will, jedoch kein Problem mit der künstlerischen Darstellung von Mord und Totschlag hat. Überhaupt dekonstruiert der Film die bürgerlichen Moralvorstellungen indem er sie zuspitzt und in die Enge treibt.

Die titelgebenden „Funny Games“ sind sadistische Spielchen, in denen die Opfer vor Entscheidungen gestellt werden, die sie nicht bewältigen können, weil sich ihre Moral in Dilemmata verfängt. „Wer soll sterben?“, wird die Mutter gefragt, ihr Sohn oder ihr Ehemann und es kann keine Antwort darauf geben. Konfrontiert mit der ungeschönten Wirklichkeit versagt die Moral als Handlungsanleitung. In einem Moment der Hoffnung kommen die Eheleute zu sich, doch sie bleiben unfähig, zu handeln. Sie halten sich damit auf, darüber zu diskutieren, wer allein beim gewässerten, möglicherweise reparablen Telefon zurückbleiben soll. Die Bürgerlichen föhnen das Telefon, das ist ihr ganzer Akt.

Dem Zuschauer aufs Auge geschaut

Funny Games problematisiert nicht nur die visuellen Inhalte von Filmen als Form der Gewaltverherrlichung, sondern auch die filmischen Funktionsweisen. In der eindringlichsten Szene des Films verharrt die Kamera minutenlang auf dem Grauen, ohne dass etwas passiert. Der Zuschauer, der seinem Wesen nach der Kamera ausgeliefert ist, wird so vom neckischen Spiel der Kamera mit seiner Sehnsucht nach Offenbarung, wie es Monster- und Horrorfilme (etwa der aktuelle Godzilla) oft zelebrieren, vom Sehenwollen also, zu einem Sehenmüssen genötigt. „Wer sitzen bleibt, macht sich schuldig“, sagt Haneke folgerichtig über Funny Games.

Der Film führt den Zuschauer also in einen trotz aller Obszönität wohlvertrauten Bereich des Konsums und macht diesen dann unkonsumierbar. Unterhaltung als Gewalterfahrung statt Gewalterfahrung als Unterhaltung. Der eigentliche Exzess findet dabei stets jenseits der Kamera statt, der visuelle Reiz wird dem Voyeur verweigert. Die Befriedigung des Zuschauers bleibt daher aus. Erst diese Nicht-Befriedigung eröffnet den Raum für eine Form der Gewalterfahrung, in der diese wahrgenommen und zugleich abgelehnt werden kann. Das Auge ist als Medium zu leicht verführbar. Kein Gore dieser Welt kann uns wirklich treffen, im Gegenteil: In Zeiten von Saw 1-7 und LiveLeak.com ist visuell dargestellte Gewalt entweder banalisiert oder ästhetisiert.

Der Komplize auf der anderen Seite der Leinwand

Den vielleicht kontroversesten Punkt des Films bilden jene Szenen, in denen die Täter die filmtheoretische vierte Wand durchbrechen und sich direkt an den Zuschauer wenden. Augenzwinkernd ziehen sie ihn in die Mitwisser- und Mittäterschaft, sofern er eben nicht abschaltet oder den Kinosaal verlässt. Das zentrale Motiv des Films bildet die zynische Wette, die zwischen der Familie und den Tätern geschlossen wird: Überlebt die Familie bis zum nächsten Morgen oder nicht? Im Kontext des Films erscheint diese Wette als sadistisch und abartig, aber tatsächlich basiert beinahe jeder Action- oder Horrorfilm auf dieser simplen Struktur. Überleben die Protagonisten und wenn ja, wie und wenn nein, wie nicht?

Durch das Ignorieren der vierten Wand wird diese Struktur aufgebrochen und der Zuschauer als eigentlicher Motor der Gewalt entlarvt. „Ist es schon genug? Sie wollen doch ein richtiges Ende?“, befragt einer der Täter das Publikum und fragt dabei auch nach der Motivation einen gewalttätigen Film zu schauen. Geht es wirklich um die Geschichte, also um das Ob des Überlebens, oder doch nur um das Wie des Überlebens und Sterbens? Und natürlich ist es bereits zu diesem Zeitpunkt genug, moralisch betrachtet. Aber der Film läuft weiter, denn er ist kein moralisches Werk. Er ist und bleibt Unterhaltung. Die Moral tritt erst durch den Zuschauer hinzu, der sich von ihm unreflektiert unterhalten lässt.

Haneke gelingt es, Funny Games jenseits dieses üblichen Unterhaltungsfaktors und gerade deswegen zu einem sehenswerten Film zu machen. Als die Täter schließlich seelenruhig über einen Film diskutieren, wird die Ausgangsfrage von Funny Games erstmals deutlich: Der Protagonist dieses Films ist in einem fiktiven Universum gefangen, getrennt von seiner Familie. Doch einer der Beiden wirft ein: Ist Fiktion denn nicht real? – Wieso? – Man sieht sie doch im Kino.

Oder? Hier wendet sich Haneke gegen Tarantino und andere Apologeten der filmischen Gewalt, für die „Filme Filme sind“, – weiter nichts.

Takeaways

  • Mach das Böse nicht außerweltlich, sondern zeige seine Verbindungen zu der von ihm bedrohten Welt
  • Das Grauen lauert nicht in der expliziten Beschreibung an sich, sondern in der Unkonsumierbarkeit der gezeigten Gewalt
  • Wenn deine Opfer ohnmächtig sind, halte einen Grund dafür bereit

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