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Talking Story

Shape of Water [Analyse]

„Shape of Water“ sorgt sich so sehr um das Anderssein, dass er die Form verliert. Dabei ist die zentrale Prämisse grandios.

[Massive Spoiler voraus]

Guillermo del Torros Shape of Water ist ein Kritikerliebling. Selbst den Oscar für den besten Film konnte ihm niemand streitig machen. Am Film selbst kann das nicht liegen. Sondern eher am Hollywood-Zeitgeist und an einer offenen Rechnung mit King Kong. Ein Versuch der Analyse.

Überdeutliche Figuren

Eine stumme Frau (Sally Hawkins) verliebt sich in Aquaman (Doug Jones). Aquaman ist aber Gefangener der amerikanischen Regierung und soll exekutiert werden, weil nur ein Toter ein „wunderbarer Neger“ ist. Natürlich will einer der Wissenschaftler das verhindern, der zugleich ein russischer Spion ist (Michael Stuhlbarg). Also ist die stumme Frau Elisa nicht allein, ihre schwarze Kollegin (Octavia Spencer) und ihr schwuler Nachbar (Richard Jenkins) helfen ihr ohnehin. Doch Obacht: Der böse weiße Mann Strickland (Michael Shannon) aus der kapitalistisch ergaunerten Vorstadtidylle hat bereits sein Lager neben Aquaman aufgeschlagen!

Ach, übrigens. Der schwule alte Nachbar ist ein brotloser Künstler, der trinkt und vom Fortschritt (es gibt jetzt Fotos) überholt wurde, gefeuert von dieser unbarmherzigen Firma, die doch tatsächlich keine Verwendung mehr für ihn hatte. Elisa und ihre Kollegin sind freilich Reinigungsfrauen, unterste soziale Schublade also. Und Aquaman entstammt natürlich dem Reich der Azteken, wo die Regierung nicht nur neokolonialistisch Öltürme baut, sondern auch noch die einheimischen Gottheiten kidnappt. Diese Fülle an Überdeutlichkeit wird dem Film als Qualität ausgelegt, entpuppt sich in der weiteren Umsetzung aber als Hypothek.

Ein formloser Film

Denn Shape of Water hätte ein sehr guter Film werden können. Ein Film über Sprache, übers Gehörtwerden und Nichtgehörtwerden, über die Liebe selbst. Aber Shape of Water ist ein Film, der selbst keine Form hat, wie die oben angesprochene Überfülle an politischen Konnotationen andeutet. Im Kern seiner Geschichte bleibt der Film zwar ein Stück über die Entdeckung des Subjekts im Objekt – Quelle von Empathie und Schaudern zugleich. Die Mehrheit will diesen Erkenntnissprung dann meist nicht mitgehen und daraus entspinnt sich die ganze Tragik (Frankenstein, Die Schöne und das Biest, ja selbst Romeo und Julia). Für die Regierung ist Aquaman ein Forschungsobjekt. Für die Putzfrau Elisa hingegen ist er Subjekt. Erst ein faszinierendes Subjekt, dann ein Subjekt der Begierde.

Aber dieser erzählerische Kern wird allenthalben verlassen, um Subplots einzufügen, deren einzige Funktion darin zu liegen scheint, noch einer diskriminierten Minderheit Leinwandzeit zu verschaffen. Als böten der entwurzelte Fremdling und die ausgestoßene, stumme Arbeiterin nicht genügend Zündstoff. Als dürfe man niemanden vergessen. Das macht Shape of Water zu einem handwerklich schlechten Film, trotz aller visuellen und akustischen Brillanz.

Absage an die Assimilation

Dabei liegt in der für den Mainstream mutigen, weil bejahenden Haltung zur Liebe zwischen Mensch und (vermeintlichem) Monster durchaus Sprengkraft und gehöriges Potential. Muss in Die Schöne und das Biest das Monster erst noch zum Mensch werden, bevor die Liebe sein darf, ist das hier nicht länger von Belang. Darin liegt das wahre kritische Moment des Films: Werde wie wir, dann können wir dich lieben, ist ein alt- wie neokolonialistischer Anspruch an die Fremden. Shape of Water hätte sich damit begnügen können, diesen Twist zu erkunden, und es wäre vermutlich ein großartiger Film geworden.

King Kongs alte Rechnung

Dennoch begleicht Shape of Water so eine filmhistorische Rechnung mit einem alten Bekannten in Hollywood. Im ersten, spektakulären King Kong-Film von 1933 darf die blonde Frau den Affen noch nicht lieben. Im Schatten seines Angesichts hat sie vor allem zu schreien. Lieben muss sie letztlich doch den weißen Mann. Gut 70 Jahre später ist die Beziehung zwischen Affe und Starlet in Peter Jacksons Remake dann bereits vielschichtiger. Hier kullern die Tränen, aber lieben muss Ann Darow trotzdem den weißen Retter. In Shape of Water schließlich darf endlich gevögelt werden. Das Rassentabu ist aufgehoben, weil es keine Rassen mehr gibt. Und der weiße Mann, der Elisa heldenhaft zu Hilfe eilt, ist schwul und daher fürsorglich unbeteiligt (ein Klischee in sich selbst). Kong nickt del Torro anerkennend zu, dort oben, vom Olymp der Filmgeschichte. Auch wenn ein ausgestochener Nebenbuhler noch progressiver gewesen wäre.

Das sexuelle Verlangen ist in Shape of Water derweil nur dann positiv besetzt, wenn es weiblich bestimmt ist. Etwa wenn Elisa morgens vor der Arbeit in der Badewanne masturbiert oder wenn sie Aquaman verführt. In diesen Momenten ahnt man die Kraft, die feministische Statements in einem Film entwickeln könnten, wenn sie nicht plakativ daherkommen. Diese Subtilität wird aber gleich wieder eingerissen, wenn Fiesling Stricklands Sexualität als so desinteressiert am Gegenüber dargestellt wird, dass Sex für ihn wieder zur Masturbation wird.

Gibt es weibliche Übergriffigkeit?

Aquaman ist indessen in seinem Verlangen so kastriert, wie Freud es sich nicht besser hätte vorstellen können. Trotz aller Nacktheit trägt er nicht mal einen sichtbaren Penis mit sich herum (das das geht, zeigte Watchmen). In Verbindung mit seinem Eightpack gerinnt dieser gewöhnungsbedürftige optische Leckerbissen dann ironischerweise zum Äquivalent des 50er-Jahre-Frauenbilds: ein bedürfnisloses Stück Fleisch und verehrungswürdige Gottheit zugleich. Der Vorwurf der Vergewaltigung ist in Shape of Water wie in der Ehe von damals dennoch undenkbar. Weibliche Sexualität ist unschuldig. Der Widerspruch zwischen Gottheit und Fleischbeschau wird aufgehoben, wo sie aus freien Stücken waltet. Obwohl man ja schon mal darüber nachdenken könnte, ob Aquaman überhaupt versteht – nein, lieber nicht.

Die Erklärung für die unwahrscheinliche Liebe zwischen Elisa und Aquaman ist derweil so klischeebeladen, dass sie vermutlich gar nicht ernst genommen werden soll. Er nimmt Sie so wie sie ist (stumm, sozial benachteiligt), ihre Unvollkommenheit existiert für ihn nicht. Wow. Natürlich, wenn man kurz drüber nachdenkt, dann ist sie für ihn nur deshalb vollkommen, weil er die gesellschaftliche Norm nicht kennen kann, weil er keinen Hebel findet, um sie zu diskriminieren. Und natürlich ist sie eben doch nicht perfekt für ihn, weil sie ihm nicht in sein Reich folgen kann, so ganz ohne Kiemen. Doch auch dafür gibt es eine Lösung. Du kannst schließlich alles werden, wenn du nur willst (a. k. a. Kapitalismus ist super, wenn du nur fest daran glaubst).

Du musst nur fest dran glauben

Es genügt also nicht. Ein paar gute Metaphern heben den Film nicht aus seiner Beliebigkeit heraus, aus seiner angestrengten Haltung, aus seinem Kitsch. Was die Oscarjury geritten hat, dieses Werk als besten Film auszuzeichnen, muss im Dunkeln bleiben. Wenigstens hat sich del Torro eine selbstironische Schlusspointe aufgehoben. Das pathetische Happy End ist nüchtern betrachtet ein Selbstmord: Elisa geht ins Wasser. Vielleicht möchte der Regisseur uns also nur mitteilen, dass es kein Entkommen gibt. Dass die Liebe nicht das ändert, was du bist. So viel Subversivität übersteigt freilich den Interpretationsrahmen, so dass auch hier, haha, nur die Hoffnung bleibt. Und eine Faust gen Himmel für Kong.

Takeaways

  • Auch wenn du ein großes Thema behandelst, das sich gerade um Inklusion dreht, musst du deine Geschichte fokussieren und zuspitzen
  • Auch für dich als Schriftstellerin gilt: Mach dich nie mit einer Sache gemein, auch nicht mit einer guten
  • Hüte dich vor der Bejahung einer Ideologie, während du eine andere dekonstruierst
  • Kontrast ist nur dann ein wirkungsvolles Stilmittel, wenn beide Seiten nicht zum Klischee verkommen