Kafka, Kafka, Kafka. Man kommt dieses Jahr nicht herum um ihn, denn er ist 100 Jahre tot. Natürlich zieht das auch öffentlich-rechtliche Produktionen nach sich, und hätte es das nicht, müsste man seinen Rundfunkbeitrag zurückfordern. Neben Dokumentation und Gesprächen wartet die ARD gleich mit einer ganzen Serie auf: „Kafka“ heißt sie schlicht und behandelt das Leben Franz Kafkas, basierend auf der lesenswerten Biografie Reiner Stachs. Aber taugt sie?
Die große Banalität
Kosten hat man jedenfalls nicht gescheut, von Daniel Kehlmann als Drehbuchautor über Charlie Hübner und Lars Eidinger in winzigen Gastrollen bis hin zum Historien-Hochglanz-Look, der aus Babylon Berlin und Co. bekannt ist, hat man versammelt, was die deutschsprachige Mainstream-Filmproduktion 100 Jahre nach Kafkas Tod hergibt. Und da beginnen die Probleme.
Keineswegs hat man Mühen gescheut, wo es um Faktentreue ging, gönnte sich gar Stach als Supervisor, und so sagt der Franz Kafka der Serie auch kaum ein Wort, das der gleichnamige reale Autor vor 100 und mehr Jahren nicht irgendwo zu Papier gebracht hat. Man fragt sich, wozu es dann einen Daniel Kehlmann brauchte, um die Dialoge zu schreiben. Oder anders gesagt: Wo all das unter diesen Umständen anders hätte hinführen sollen als in die große Banalität, die die „Kafka“-Serie der ARD über sehr weite Strecken geworden ist.
Fakten, Fakten, Fakten
Denn sofern man Kunst betreiben will, erweist sich der Glaube an das Faktische als zentrales Manko, und es ist wohl auch der einzige Makel, den man der zugrunde gelegten Kafka-Biografie von Reiner Stach vorwerfen könnte: von Regisseur David Schalko bis Kehlmann sind die hier Beteiligten allesamt dem Trugschluss erlegen, man könne etwas Wahres über eine reale Person erzählen, indem man Fakten aneinanderreiht. Hätten sie Kafka doch nur zugehört: „Wer sucht, wird nichts finden.“ Oder um es mit Werner Herzog zu sagen: Erst jenseits der Fakten entspinnt sich eine Wahrheit, die groß genug ist, um ein Leben zu umschließen. Diese Wahrheit zu erschließen, darin besteht die Kunst.
Von Anfang an kann man sich daher dem Eindruck nicht verwehren, dass hier gar nicht erst versucht worden ist, eine eigensinnige Sicht auf das Phänomen Kafka zu entwickeln, oder auch nur auf das Leben dieses Menschen selbst. Stattdessen regiert die Objektivität, aus der sich dann notgedrungen der banalste aller Deutungsversuche ergibt, selbst wenn man sich große Mühe gibt, nichts zu deuteln: des Künstlers Leben inspirierte ihn zu seinen Texten. Diese immer wieder willensstark bebilderte Beziehung bleibt allerdings stets eine Verlegenheitshandlung, denn es gibt in den universalistischen Texten dieses Schriftstellers nichts Partikulares: Wir würden sie, das sieht Stach genau so, auch dann lesen, wüssten wir rein gar nichts von ihrem Verfasser.
Bemüht anders
So ist es dann auch nicht verwunderlich, dass die Serie sich nach Kräften bemüht, ansonsten anders zu sein, Mittelchen und Wege einschlägt, die dieses Anderssein betonen sollen und gerade deshalb platt und abgegriffen wirken. Dazu beigetragen haben mag die fehlende Originalität: Kafkas Einführung aus dem Off klingt nach „Die fabelhafte Welt der Amelie“, wenn unerhebliche Details aus dem Leben des Schriftstellers zum Besten gegeben werden („Dreimal war er am Meer“). Köstume und Sets entsprechen in ihren durchchoreografierten Farbnuancen in ihren guten Momenten der Wes-Anderson-Ästhetik aus Filmen wie „Grand Budapest Hotel“, die von dort bekannte Besetzung selbst der kleinsten Rollen mit großen Stars verstärkt diesen Eindruck noch. In ihren schlechten Momenten ist kein Unterschied zu den zig anderen ÖR-Hochglanzproduktionen zu erkennen, die zwischen Jahrtausendwende und Zweitem Weltkrieg spielen.
Alternativen hätte es gegeben, sogar naheliegende: Die Ästhetik der Stummfilme der damaligen Zeit hätte man aufgreifen können, Kafka selbst war begeisterter Kinogänger. Man hätte darüber nachdenken können, vom Hochglanz Abstand zu nehmen, etwas mehr Filmkorn, vielleicht sogar Musik. Wie man mit filmischen Mitteln eine vergangene Zeit aufleben lässt, hat zuletzt „The Holdovers“ gezeigt. Aber natürlich ist die Musik atonal, kurze, bedrohliche Klänge, Streicher. Dafür warten die Beteiligten mit dem Bravourstück auf, einen Kafka behandelnden Arzt über die Lunge als „wichtigstes Organ“ referieren zu lassen, während dieser sich eine Pfeife ansteckt. Jaja, so war das damals. Man müsste es Hilflosigkeit nennen, wenn man nicht glauben würde, dass insbesondere Kehlmann zu mehr im Stande gewesen wäre.
Bloß nicht überfordern
Mit der ARD-Serie „Kafka“ haben sich die Macher also auf das herrschende öffentlich-rechtliche/filmförderungskompatible Mantra zurückgezogen: Bloß nicht überfordern. Das ist umso dramatischer, da es sich mit Kafka ja gerade umgekehrt verhält: Kafka ist nicht eingängig und deshalb populär, sein Werk ist geradezu verschlossen, und das das daran Faszinierende.
Was ihnen immerhin gelingt, auch wenn es in die völlig falsche Richtung führt, ist, dass man als Zuschauer vergisst, wo die Grenze verlaufen ist zwischen dem Leben und dem Werk, dass man ihrer These – die keine sein soll und es doch ist – also anschaulich habhaft wird, da man sie selbst erlebt: Hatte Kafka einen Nebenbuhler um die Gunst des Direktors, der gleich im Zimmer nebenan sein Werk tat und nie zögerte, Kafka schlecht aussehen zu lassen, oder war es Josef K.?
Die Furcht vor dem Bild
Allein, das gelingt nur bei jenen Zuschauern, die Stachs Biografie gelesen haben, und ist keineswegs originell. Vor 15 Jahren sah ich ein Stück über Kafka am Kölner Schauspielhaus, es war grässlich. Aber nicht vergessen kann ich den Beginn: Der Vorhang zieht auf, am Ende der tiefen Bühne stehen mannshohe schwarze Buchstaben: K A F K A. Drei Männer betreten die Bühne und tragen die Buchstaben fort, nicht ohne sie dabei durch andere zu ersetzen, und schließlich steht dort: S A M S A.
Ich war damals 21 und sehr beeindruckt von der mir so vor Augen geführten frappierenden Ähnlichkeit, die Zufall nicht sein konnte. Dass die ARD-Serie „Kafka“ nun 15 Jahre später nicht über diese Einsicht hinaus gelangt, mag unter anderem der Tatsache geschuldet sein, dass es auch heute 21-Jährige gibt, die nicht darum wissen. Dass sie dabei in 5 Stunden Spielzeit aber nicht wenigstens nach ähnlich gelungenen Bildern sucht, ist eine Blamage.
So bliebe nichts weiter als zu konstatieren: „ARD-Serie Kafka geschaut. Geweint.“ Wenn da nicht doch ein einzelnes Bild wäre, das versöhnt, doppeldeutet, und eine Haltung wagt. Es wirkt in seiner Vereinzelung fast wie ein Versehen, aber das war es natürlich nicht: Nach einem nicht minder einfältigen, eine Folge dauernden Gespräch zwischen Franz Kafka und der Autorin Milena Jesenská darf die sie darstellende Liv Lisa Fries schließlich noch etwas Gehaltvolles sagen.
Liv Lisa Fries rettet den Tag
Wie sie es sagt, rechtfertigt diesen Gastauftritt, es ist der einzige, dem das gelingt. Was sie sagt, ist interessanter als jedes andere Wort zuvor: der schwache Kafka sei eine Erfindung desselbigen, und etwas fertig zu schreiben unter seiner Würde. Nur die Umstände, die ihn allenthalben am Schreiben, Lieben und Leben hindern, die seien ihm heilig.
In Milenas Anklage mischt sich die Anklage der Leserschaft, auch eines Reiner Stachs vielleicht: Unser lieber Herr Kafka, haben Sie es sich nicht reichlich einfach gemacht?
Und dann kommt das Bild: Am Bahnsteig steigen die beiden in eine Tram. Im Hintergrund erscheint ein Plakat des Naturtheaters Oklahoma, das Karl Roßmann, die Hauptfigur aus Kafkas „Der Verschollene“, am Ende des Romans zu sich ruft. Die Kamera nähert sich. Abermals vermischen sich in der Serie Fiktion und Realität, aber dieses Mal ist es nicht banal, weil einmal nicht nur stumpf der Zusammenhang dieser beiden Bereiche betont wird.
Denn Kafka hat kein Ende gefunden für „Der Verschollene“. In den Tagebüchern ist Jahre vor der Begegnung mit Milena eines angedeutet, dass jenem des Josef K. ähnelt. Doch im Gras liegend präsentiert Milena Kafka zuvor eine andere Möglichkeit: Nichts passiert mehr, Karl Roßmann wird einfach vom Theater aufgenommen. Kafka lächelt.
Das Bild vom Plakat des Naturtheaters sagt nun: Auch in der Realität wäre das doch möglich gewesen. Kafka lässt sich ein mit Milena, dem Zirkus, der ihr Leben zu sein scheint, und das war es dann. Vielleicht schreibt er dann sogar die Dinge zu Ende. Oder hat er das beim Verschollenen womöglich, denn er endet ja wie vorgeschlagen: Nichts passiert mehr?
Vier Züge
Stattdessen aber steigt Kafka in einen Zug, der ihn zurück in die Prager Innenstadt bringt, nicht nach Wien zu Milena, und Milena steigt in einen Zug, und Jahre später in einen weiteren, der sie ins KZ Ravensbrück deportiert. Und für einen Moment haben wir dank Kehlmann, Stach, Schalko, Gschlacht und Fries einen vierten Zug vor Augen, der die beiden nach Oklahoma bringt, wie im Roman. Es scheint unbezweifelbar: Das große Naturtheater Oklahoma hat nach ihnen gerufen, wie auch nach Kafka im Speziellen. Doch „Wer die Gelegenheit versäumt, versäumt sie für immer“, steht es auf dem Plakat und spricht es zu Kafka und uns, und dann geht etwas auf in einem, ist man zum ersten Mal von dem Mediathek-Geschehen auf der Flimmerkiste bewegt.
Es ist das heimliche Ende der Serie. In Folge 6 ergeht man sich wieder in Banalitäten, zumal man Kafkas Widerwillen gegen die sogenannte „Schulmedizin“, die Therapierbarkeit seiner Tuberkulose derart bemüht außen vor lässt, dass es feige wirkt. Stachs Biografie ist dieser Vorwurf nicht zu machen, was die Frage nach dem Warum nur noch verstärkt. Aber es passt zur homöopathischen Dosis an Überforderung und Mut, die in der ARD-Serie „Kafka“ im Gesamten steckt.
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