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Das Leben der Anderen [Analyse]

„Das Leben der Anderen“ ist eine herrlich naive Geschichte. Darin liegt die herausragende Stärke und Schwäche des Films.

Jeder guten Geschichte liegt eine sie tragende Einsicht zugrunde – oder wenigstens eine einsichtige Frage. Aufgabe der Geschichte ist es dann, von dieser Einsicht zu erzählen oder diese Frage zu entfalten. Wenn diese Einsicht banal ist, ergibt das Ganze eine Heldengeschichte, wie in Star Wars zum Beispiel: Glaube an dich, du kannst zu den Sternen fliegen und ein großer Jedi werden – es sei denn, du hörst auf die Zweifel.

Wenn diese Einsicht komplexer ist, reichhaltiger, vielschichtiger, dann entstehen Geschichten, die entsprechend weniger leicht fassbar sind, wie Kafkas „Die Verwandlung“ etwa. Worum geht es hier? So genau wissen wir es nicht, aber wir sehen uns gezwungen, darüber nachzudenken, und könnten wir Kafka heute fragen, ihn mit Wein und Amphetaminen gefügig machen, in einem schwachen Moment erwischen, dann würde er sicher eine Antwort zu tage fördern: „Um den Kapitalismus natürlich, der uns alle über kurz oder lang gleichzeitig zu Ungeziefer und zu Parasiten macht.“

Nur ein bisschen Einsicht haben

Und natürlich gibt es auch noch die Nebenhandlungen, auch in Mainstreamkino wie Star Wars, die ihre ganz eigenen Einsichten transportieren: Han Solos Geschichte handelt davon, was Freundschaft wert ist, ob man ihr zuliebe den eigenen Vorteil vergessen kann, oder ob das Romantik derer ist, die nicht Schmuggeln müssen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Deshalb ist es Han Solo, der Darth Vader in die Weiten des Alls schießt, kurz nachdem er die Rebellen verlassen hat, da er hatte, was er brauchte, Sold und einen intakten Millenium Falcon. Und Chewie, der ein flauschiger früher Hinweis auf das Gute in Han Solo ist. Und deshalb ist Han es, der in Carbonit eingefroren wird, und den seine Freunde in der gottverlassenen Einöde aus den Fängen von Jabba dem Hutten retten kommen, denn das ist, was Freunde tun.

Ob eine Geschichte nun gelungen ist oder nicht, hängt dabei nicht von der Qualität der Einsicht ab. Auch das zeigt Star Wars. Aber es hängt davon ab, ob es eine solche Einsicht im Kern gibt, also ob die Frage: „Ja, und was wollte mir des jetzt sagen?“ zu Diskussionen einlädt oder nur ein Achselzucken entlockt. Und davon, ob diese Einsicht tatsächlich erzählt, also gezeigt wird, oder mit dem Holzhammer in unser aller Münder gestopft wird, bis wir nicht anders können, als sie zu schlucken. Auch in diesem Fall ist also Diskussionsraum von nöten, Vagheit, das Ungefähre.

Donnersmarck hat richtig Einsicht

Und dann gibt es noch einen dritten Fall, und den beherrscht niemand so schön wie Florian Henckel von Donnersmarck: Die zugrundeliegende Einsicht so geil finden, so stolz auf sie sein, dass man sie in aller Breite darlegt, sie überhöht, zelebriert und seziert, als sei sie im Grunde Gottes Wort und von jedermann zu hören.

Und da sind wir dann bei „Das Leben der Anderen“ angekommen, diesem deutschen Oscarfilm von eben jenem Regisseur, aus dem Jahr 2006. Zur Erinnerung: Ulrich Mühe, Stasi-Hardliner, hört dabei Sebastian Koch, DDR-Autor, ab, belauscht ihn also, denn es wäre gut für alle Beteiligten, also auf Stasi-Seite, wenn sich was finden ließe, um den Autor loszuwerden. Denn der Oberstasi, der will des Autors Frau. Slavoj Žižek hat zurecht darauf hingewiesen, dass schon in dieser rudimentären Handlung eine Verharmlosung des DDR-Regimes steckt, denn wenn da ein Parteibonze etwas wollte, dann hat er es sich halt genommen, so funktionieren Diktaturen, mein lieber Herr von Donnersmarck.

Doch Donnersmarck hält sich mit derlei Details nicht auf, er hat schließlich Großes zu verkünden. Der Reihe nach: Mühe bezieht also Stellung auf Kochs Dachboden, hört, protokolliert und nachvollzieht dessen Leben, aber so recht geht ihm nichts in Netz, der Autor scheint linientreu. Das Problem bei der Sache: Statt einem Komplott zu lauschen, lauscht Mühe notgedrungen rezitierten Versen Bertolt Brechts und der Sonate vom guten Menschen, denn des Autors Haushalt ist bildungsbürgerlich. Eine Prise In-die-Volksseele-schauen kommt auch noch hinzu und fertig ist die zutiefst naive und gleichzeitig so wunderbare, wahre Einsicht, auf die Donnersmarck zusteuert: Wer all das mitanhört, große Kunst und kleines Leid, der kann nicht anders, als selbst zum Humanisten zu werden.

Zu naiv, um wahr zu sein

Dieses „Hinhören verändert einen“ – ich meine wirklich hinhören – hat Donnersmarck dann Jahre Später in „Werk ohne Autor“ wieder aufgegriffen, dort ist es, kunstformgerechter, zum „Hinsehen verändert einen“ gereift, und Koch spielt den Ex-Nazi, dem es zupasskommt, wenn niemand so genau hinsieht, ganz wie dem deutschen Volk an sich, und so weiter.

Das Problem an der Sache ist nun, dass Donnersmarck das tatsächlich so durchzieht, er den zweifelnden Mühe zeigt, der der Sonate lauscht, der daraufhin beginnt, Informationen zurückhalten, Protokolle zu fälschen und dergleichen mehr. Donnersmarck geht also in seine eigene Falle, lässt sich mitreißen von seiner Einsicht, und verliert die Distanz zu ihr. Andernfalls hätte er diesen Prozess der Wandlung Mühes verkompliziert, Zweifel an den Zweifeln eingestreut, und etwas Sand in die Augen des Publikums gewischt, um seine Einsicht nicht ganz so plakativ dastehen zu lassen. Zumal eine solche Wandlung unter Stasi-Angestellten nicht dokumentiert ist. Aber die Einsicht soll ja strahlen, nicht wahr.

Bei „Werk ohne Autor“ wiederholt Donnersmarck diesen Fehler, nur mit mehr Bombast, was das Ganze schlimmer macht. Dennoch: Donnersmarck versucht in beiden Filmen etwas, er verfügt jeweils über eine simple, aber nicht unbedingt einfältige Einsicht, und er findet Bilder für sie, zeigt sie also, erzählt auf sie hin. Das macht beide Filme sehenswert.

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