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Talking Story

Better Call Saul [Analyse]

„Better Call Saul“ lebt von einer simplen Wahrheit: Wir lieben es, Figuren dabei zuzusehen, wie sie etwas tun, das sie sehr gut beherrschen.

[Massive Spoiler voraus]

Natürlich: Wir liebten Breaking Bad. Wir liebten Saul Goodmann (Bob Odenkirk) und Mike Ehrmanntraut (Jonathan Banks), und sind froh, weiterhin in deren Universum flüchten zu können. Aber Better Call Saul ist nicht bloß ein Nostalgietrip oder ein Prequel, das allein von der mysteriösen Vorgeschichte seines Protagonisten lebt (siehe Star Wars). Neben den grandiosen Nebenfiguren wie Chuck und Lalo Salamanca überzeugt die Serie vor allem durch die Inszenierung der Expertise ihrer Protagonisten.

Jimmy zuzusehen, ist eine helle Freude

Jimmy McGill bzw. Saul Goodman ist eine Mischung aus skrupellosem Trickster und genialem Rhetoriker. Um einen Fall zu gewinnen, studiert er keine Gesetzestexte. Er manipuliert, erfindet, inszeniert. Das ist an sich schon die interessantere Werkzeugwahl für eine Geschichte. Aber Jimmy ist nicht einfach nur gut darin. Er ist begnadet. Ihm fallen Dinge ein, auf die Normalsterbliche nicht kommen würden. Und in brenzligen Situation schafft er es immer wieder, sich irgendwie herauszureden.

Das führt zu den besten Momenten der Serie: die Skaterjungs in der Wüste, die Abzockerei in der Bar, die Verhandlung mit Chuck.

Vergleichen wir diese Szenen mit der Episode in der Wüste ohne Wasser, wird schnell klar, dass sie nicht ansatzweise mithalten kann. Obwohl hier das Leben gleich zweier geliebter Figuren auf dem Spiel steht und Jimmy alle Leidensgrenzen einreißt. Warum?

Lass deinen Held brillieren

Weil weder Mike noch Jimmy etwas tun, das sie sehr gut beherrschen. Sie durchqueren die Wüste. Trinken Urin. Okay. Aber weder performt Jimmy eine seiner grandiosen Ansprachen oder zaubert ein letztes Ass aus dem Ärmel noch ist Mike mit allen Wassern gewaschen und lehrt die Möchtegerngangster das Fürchten. Sie setzten einfach nur einen Fuß vor den anderen. Erst ganz am Ende kommen sie wieder ins Handeln. Jimmy lenkt die Aufmerksamkeit des Verfolgers auf sich, Mike erledigt in per Scharfschützengewehr. Aber verglichen mit ihren sonstigen Großtaten, ist das geradezu banal.

Betrachten wir Mikes Figur, wird auch hier deutlich, wie sehr er die Serie an sich zieht, wenn er etwas von seinem Können zum Besten gibt: Mr. X‘ Blamage im Parkhaus, sein Anschlag auf den Kurierfahrer in der Wüste, seine Rache an den korrupten Cops.

Nimm ihm alles, dann gib ihm ein großes Talent

Oft lesen wir, dass es einen aktiven Helden braucht, um die Geschichte lebendig zu halten. Das stimmt (Ausnahme: der Antiheld), aber Aktivität allein macht deinen Helden nicht zur Ikone. Umgekehrt ist ein Held, der alles kann und dem alles gelingt, nicht sonderlich spannend (Rey in Star Wars: Das Erwachen der Macht zum Beispiel) oder sympathisch. Werfen wir daher einen Blick auf Jimmys Talent und seine Mängel.

Jimmy McGill sucht die Anerkennung seines Bruders, will ein angesehener Anwalt werden wie er und reißt sich dafür den Hintern auf. Fernstudium nach Feierabend, Hilfsarbeiterjob am Tag, den ihm sein gnädiger Bruder verschafft hat. Angekommen im Anwalt-Olymp, passt sein Kaffeebecher nicht in den Getränkehalter des schicken Firmenwagens. Und Jimmy nicht in den gut bezahlten Kanzlei-Alltag. Wir erinnern uns: er ist ein Trickster, ein rhetorisches Genie. Doch bei Davis & Main hält man sich ans Protokoll.

Jimmy hat daher von Anfang an keine Chance auf die Karriere, die er anstrebt. Dennoch versucht er es. Und tut, was er am besten kann: manipulieren, tricksen. Das bringt ihn erst recht in die Bredouille.

Jimmy hat also einen gravierenden Fehler. Er ist unfähig, sich anzupassen und sich Regeln unterzuordnen. Gleichzeitig hat er ein herausragendes Talent: Jenseits der Regeln für sich und seine Klienten zu kämpfen. Erst durch den Mangel gewinnt die Darstellung seines Könnens an der nötigen Höhe. Gegen alle Wahrscheinlichkeit versucht Jimmy, seinen Weg zu gehen. Und wie der geneigte Leser sich bemerkt hat: Sein Mangel bedingt sein herausragendes Talent und umgekehrt. Das ist hohe Plotkunst.

Die Lösung besteht darin, sein Wesen anzuerkennen und nicht länger zu versuchen, ihm zu entkommen, um anderen (vor allem Chuck) zu gefallen. Jimmy muss Saul Goodman werden, um seinen Mangel zu überwinden, ohne sein Talent aufzugeben. Erneut: grandioses Plotting.

Das Talent treibt den Plot

Jenseits der puren Freude, ein herausragendes Talent eines ansonsten gebeutelten Charakters zu bestaunen, treibt dieses Talent also auch den Plot voran. Mike Ehrmanntraut kann für seine Familie sorgen, weil er kriminelle Aufträge übernimmt und mit Bravour erledigt. Diese Verstrickung in Kriminalität treibt jedoch einen Keil zwischen ihn und seine Familie, er wird zum Auftragsmörder, seine Familie wird bedroht.

Und schließlich gelingt Better Call Saul so auch auf der handwerklichen Ebene des Storytellings der Anschluss an Breaking Bad. War es nicht schon eine Freude, Walter White dabei zuzusehen, wie er seine Intelligenz und seine überragenden chemischen Kenntnise einsetzte, um sich seiner Feinde zu entledigen?

Takeaways

  • Lass deine Figuren in irgendetwas sehr, sehr gut sein. So gut, dass du nach der dafür notwendigen Recherche selbst ein kleiner Experte in dem Gebiet geworden bist.
  • Gib ihnen die Gelegenheit, das zu demonstrieren
  • Lass sie nicht in allem gut sein
  • Gib ihnen gravierende Mängel
  • Lass sie nicht gewinnen, ohne auf dieses herausragende Talent zurückzugreifen

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