Die Welt der Geschichten ist voll von starken Männern und verletzlichen Träumern, kindischen Helden und großväterlichen Sturköpfen. Vielleicht weil Männer gerne männliche Charaktere schreiben, vielleicht weil man Frauen nicht mal in der Fiktion zutraut, ein Schwert zu schwingen. Das hat zur Folge, dass dem angehenden Schriftsteller im Rahmen seiner Ausbildung kaum gelungene Beispiele für das Schreiben einer weiblichen Figur begegnen.
Denn seine Ausbildung besteht vor allem aus Lesen, dem Lesen der Klassiker. Damit nicht schon wieder eine Generation von Autoren heranreift, die dem Entwurf weiblicher Figuren reserviert entgegentritt, verrät dieser Artikel das wohlbehütete Geheimnis, um mühelos grandiose weibliche Figuren zu entwickeln. Doch zunächst ein Blick auf einige absolute No-Gos.
1. Bestehst du den Bechdel-Test?
Der sogenannte Bechdel-Test funktioniert folgendermaßen: Reden in deiner Geschichte zwei Frauen miteinander? Sehr gut. Reden sie über etwas anderes als einen Mann und ist die Unterhaltung trotzdem relevant? Dann hast du ihn bestanden, Glückwunsch! Leider ist das selten der Fall. Denken wir an Der Herr der Ringe. Dort gibt es zwar starke (und gut geschriebene) weibliche Figuren. Galadriel, Arwen, Eowyn – doch diese Figuren reden nie miteinander und auch nicht mit anderen Frauen. Wenn sie es täten, würden sie wahrscheinlich über Aragorn, Frodo oder Sauron reden.
Ist Der Herr der Ringe deshalb ein schlechter Film? Nein. Ist es eine moralisch fragwürdige Geschichte? Nein. Sollte Tolkien nachträglich gecancelt werden? Gewiss nicht. Der Bechdel-Test funktioniert nicht auf der Ebene des einzelnen Films oder Buchs. Es gibt Geschichten, in denen nur eine einzige Frau vorkommt, diese aber die Hauptfigur ist – laut Bechdel-Test würde eine solche Story durchfallen. Und wenn man nun mal eine Geschichte über die Rekrutenausbildung im Japan zur Zeit des Kaiserreichs schreibt, werden in der Kaserne keine Frauen zugegen sein.
Aber auf Makroebene ergibt der Bechdel-Test durchaus Sinn. Hier zeigt er an, wie wenig Geschichten erzählt werden, in denen die Perspektive von Frauen relevant ist. Wenn 15 von 20 oscargekrönten Filmen durchfallen, könnte man im 21. Jahrhundert schon mal die Frage stellen, wieso eigentlich.
Für dich spielt der Bechdel-Test beim Schreiben einer weiblichen Figur oder deiner Geschichte an sich also nur insofern eine Rolle, als du mit ihm hinterfragen kannst, ob du unbewusst alten Vorstellungen gefolgt bist oder eine gewisse Vermeidungstaktik fährst, wenn es um weibliche Figuren geht. Wichtiger für die einzelne Geschichte ist der sogenannte Bauer-Test (hehe).
2. Der Bauer-Test
Um den Bauer-Test zu bestehen, muss deine Geschichte folgende Frage mit einem herzhaften Nein beantworten: Gerät dein Held im Laufe der Geschichte mit einer ihm nahestehenden weiblichen Person in Konflikt, die in der Folge ein Hindernis für das Erreichen seines Ziels darstellt? Ich hoffe nicht. Denn falls doch: Klischeealarm. Und Gähn. Und vermutlich auch: Sexismus.
Wie du als aufmerksamer Leser meines Blogs sicher weißt, hat Moral beim Schreiben für mich nichts verloren. Aber der Bauer-Test hat durchaus moralische Relevanz. Warum zur Hölle können sich Autoren die Frau, Mutter oder Tochter des Helden nur als emotionale, moralisch sensible Mahnerin und Nörglerin vorstellen, die die Probleme des Helden verschärft? Snowden, Breaking Bad (Skylar White), Sicario (hier gibt es keine emotionale Verbindung, aber natürlich ist die moralische Instanz eine Frau), Werk ohne Autor, The Mule, Batman (alle) – man muss nicht einmal ins 20. Jahrhundert ins zurückreisen, um dauernd mit dieser Beziehung zwischen Held und weiblicher Figur konfrontiert zu werden. Sind Frauen für uns immer noch Brutstätte der Hysterie? Verhinderer männlicher Größe?
Doch lassen wir die Moral beiseite. Es macht nicht einmal Spaß! Ab einem gewissen Punkt wurde jede Szene mit Skylar White nervtötend (grandios gespielt von Anna Gunn). Streicht man Emily Blunts Figur aus Sicario ändert das nichts an der Geschichte. Kein einziges Mal tut sie etwas von Belang. Sie versucht, mahnt, will eingreifen, aber wird nur zur Seite geschoben. Bis man selbst als Zuschauer denkt: Genug von dem Moralgesülze, lasst uns Kartellleute killen.
Der Bauer-Test ist also auch auf der Mikroebene relevant und damit für dich als Autorin. Denn er bewahrt dich vor einem der ältesten und langweiligsten Klischees des Storytellings. Mach eine ihm nahestehende Frau nicht zum Hindernis deines Helden. Lass vor allem ihre emotionalen Bedürfnisse nicht zu seinem Problem werden.
Wie immer gilt: Es gibt Ausnahmen. Schreibst du ein Drama über eine Beziehung zwischen Drogensüchtigen, sind sich die beiden natürlich gegenseitig ein Hindernis. Aber auch dann: Lass nicht die Frau das Hindernis sein. Lass die mangelnde Einsicht der beiden, dass ihre Beziehung sie daran hindert, clean zu werden, das Hindernis sein. Kurzum: Gib dir Mühe. Sei kein fauler Autor. Davon gibt es genug.
3. Das Geheimnis, um eine grandiose weibliche Figur zu schreiben
Nun aber zum versprochenen Geheimnis. Hast du es einmal verstanden, wirst du nie wieder Schwierigkeiten haben. Also: Wie schreibt man eine grandiose weibliche Figur?
In dem man es nicht tut.
Schreibe eine Figur. Entscheide anschließend, welches Geschlecht sie haben soll.
Legst du zuerst das Geschlecht fest, wirst du Klischees und Vorurteilen in die Falle gehen. Und warum sollte man sich festlegen? Weil der Held auf jeden Fall heterosexuell ist? Weil man unbedingt eine weibliche Figur braucht oder noch eine (siehe Bechdel-Test)? Das ist alles Unsinn. Schreib grandiose Figuren. Mit Verletzungen, beispiellosen Charaktereinführungen, die alle etwas riskieren. Dann wirst du währenddessen auf Eigenschaften treffen, die mit dem einen oder dem anderen Geschlecht mehr Sinn ergeben oder reizvoller sind. Aber setz dich niemals an den Schreibtisch, um einen weiblichen Charakter an sich zu schreiben.
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