Antagonist und Protagonist sind Gegner, Feinde, das Schicksal des jeweils anderen. Aber in erster Linie sind sie ein Paar. Ein entzückendes, wenn dir deine Geschichte gelungen ist. Ein Traumpaar, wenn du Ikonisches geleistet hast. Daher ist es unvermeidlich, sich als Autor damit zu befassen, woraus die Beziehung zwischen Antagonist und Protagonist besteht und wie sie strukturiert ist. Beginnen wir ganz am Anfang.
Inhaltsverzeichnis
1. Der Antagonist begründet die Geschichte
Wer über Antagonist und Protagonist reden will, muss über Gott und den Teufel reden. Zunächst ganz simpel: Wer würde die Bibel lesen, wenn es keinen Teufel darin gäbe? Die Schöpfungsgeschichte ist ohne Schlange nur ein nettes Gemälde. Kain und Abel, Jesus in der Wüste, die 10 Gebote, Hiob – in all diesen wirklich großen, archetypischen Geschichten schwingt die Kraft des Bösen mit. Des Verführtwerdens, des Zweifelns. Des Chaos und des drohenden Untergangs. Von der Apokalypse noch gar nicht gesprochen.
Einmal geht es also um die Geschichte(n), die die Bibel erzählt. Sie ergeben ohne den Teufel als Antagonisten wenig Sinn. Es geht aber auch um die Geschichte, die wir uns unabhängig davon selbst über die Welt erzählen oder erzählt haben. Dass es einen Gott gibt, der all das erschaffen hat. Der sagt, wie ein gutes Leben aussieht. Dass es aber nicht leicht ist, diesem Weg zu folgen. Weil es etwas gibt, das dem entgegenwirkt. Auch für die Plausibilität dieser Geschichten ist ein Antagonist erforderlich.
Ganz grundsätzlich zeigt sich in der Beziehung zwischen Gott und Teufel also die Funktion des Antagonisten: Er macht dem Protagonisten das Leben schwer. Er zwingt ihn zum Handeln (Jesus auf die Erde schicken, Adam und Eva aus dem Paradies verbannen etc.). Und er rechtfertigt und erklärt die Existenz des Protagonisten und der Geschichte selbst.
Klar: Die Frage nach einem Schöpfer schließt die Existenz eines Widersachers (bibelgriechisch: „diabolos“) noch nicht zwingend mit ein. Aber sobald man beginnt, sich diesen Schöpfer als gütigen, allmächtigen Gott vorzustellen, wird ein böser Gegenpart zwingend. Denn wie sonst kommt das Leid in die Welt?
2. Antagonist und Protagonist spiegeln sich
Das führt uns zur ersten Definition der Beziehung zwischen Protagonist und Antagonist: In ihren Eigenschaften folgen sie oftmals einem entgegengesetzten Dualismus. Gott ist gut, der Teufel böse. Gott nennt allgemeingültige Regeln, der Teufel schmiedet Pakte mit ihm verfallenen Individuen. Der Teufel wohnt in der Hölle, Gott im Himmel. Dort droht die ewige Qual, da lockt das ewige Leben. Gott erscheint nicht, der Teufel hat Hörner, einen Ziegenfuß und einen Dreizack.
Im Fall von Gott und Teufel liegt die Sache noch komplexer. Gott verspricht uns eine simple, allzumenschliche Kausalität: Tue X (ein frommes Leben) und du erhältst Z (ewiges Leben). Darüber hinaus ist er eine Personifikation der Kausalität. Wo kommt das Universum her, woher das Leben? Gott hat es erschaffen. Warum geschehen unerklärliche Dinge, wieso werden wir von der Natur scheinbar belohnt und bestraft? Gott steckt dahinter.
Mit dieser Kausalität räumt der Teufel auf. Er verkörpert das Chaos und sorgt für das Unerwartete im Universum. Er verursacht Leid und Sünde. Zeichnet verantwortlich für Tragödien und sät Zwietracht unter den Menschen.
Folgt man diesem Pfad der entgegengesetzten Eigenschaften an sein Ende, führt er uns zurück zur Auflösung der ganzen Religionssache. Vollkommene Kausalität, wie sie Gott repräsentiert, lässt keinen Platz für einen freien Willen übrig. Erst durch den Teufel, der den Menschen widerspenstig und ungehorsam macht, bricht Freiheit in die Kausalkette hinein. Ergibt es Sinn, die Frage danach zu stellen, wie man es mit der Religion hält. Beginnt der Mensch darüber nachzudenken, was man tun könnte, um das Chaos des Universums zu ordnen. Vielleicht einen Gott erfinden?
So wird es ja auch gewesen sein: Das Leid war in der Welt, lange bevor die Menschen anfingen, über Gott nachzudenken. Volkssagen über die Entstehung der Welt folgen einem ganz ähnlichen Muster. Die Berge Kamtschatkas erklärte die Sage eines mit Schneeschuhen umherwandernden Gottes, unter dessen Füßen der Boden nachgab.¹ Auch beim Schreiben kann es sinnvoll sein, mit dem Antagonisten zu beginnen. Denken wir an Der Herr der Ringe: Gab es in Tolkiens Vorstellung wirklich zuerst Frodo (bzw. Bilbo) und dann erst die Sache mit dem Ring und Sauron? Ruft die Figur des dunklen Herrschers Sauron nicht geradezu nach dem kleinwüchsigen Auenlandbewohner reinen Herzens?
Das Problem mit der Theodizee gründet ironisch betrachtet demnach auf der grundlegenden Beziehung zwischen Antangonist und Protagonist. Wieso lässt Gott die teuflischen Schandtaten zu, wenn er doch allmächtig und gütig ist? Ganz einfach: Die beiden brauchen einander.
3. Der Antagonist ist die Übermacht
Erzählen könnte man die Geschichte jedoch nicht mit Gott als Protagonisten. Deshalb tauchen in der Bibel die Menschen auf, die mit und gegen den Teufel kämpfen, während Gott sich vornehm zurückhält. Seit den ersten Bibellesungen gilt daher noch ein elftes Gebot: Mache deinen Protagonisten nicht allmächtig. Lass den Antagonisten übermächtig erscheinen. Beinahe allmächtig.
Und dann lass deinen Protagonisten heranreifen, sich verändern, häuten. Bis er schließlich dem Antagonist gegenübertreten und ihn herausfordern kann (Luke Skywalker, Jimmy McGill gegen seinen Bruder in Better Call Saul, jedes Final Girl in jedem Horrorfilm). Ob der Antagonist wirklich übermächtig ist oder nicht, wird sich dann zeigen. Manchmal verliert der Held. Oder erringt nur einen Pyrrhussieg. Wenn er gewinnt, dann weil er sich verändert hat und die Übermacht des Antagonisten so gebrochen werden konnte.
Umgekehrt bedeutet das: Dein Protagonist muss Schwächen haben. Schwächen, die mit den Stärken und Eigenschaften des Antagonisten korrelieren. In Funny Games sind die Psychopathen distinguiert bürgerlich, aber voller Gewalt, während ihre Opfer so bürgerlich geprägt sind, dass sie Gewalt vollständig sublimiert haben und zu mehr als einer lauen Ohrfeige nicht imstande sind. Können die Opfer ihrer gesellschaftlichen Herkunft entkommen, in der Gewalt zwar zum guten Ton des Samstagvormittag-Cartoons gehört, in der realen Welt aber keine gesunde Entsprechung mehr hat?
Im hypnotischen Mandy ist der Täter ein gekränktes männliches Ego, das Nicolas Cage‘ (oscarreife Leistung) Figur eine ähnliche männliche Kränkung zufügt: Seine Geliebte kann er nicht beschützen. Das bereitet den Boden für ein finales Aufeinandertreffen mythischer Sorte, wenn Cage aufgrund seines Verlusts längst zum Halbgott geworden ist.
Wenn du also die Geschichte einer Maus erzählst, die nicht genug Käse bekommen kann, dann lass den Antagonisten nicht einen Käseliebhaber sein, der seine Schätze hütet. Lass ihn allen Käse vernichten wollen, um dem von ihm massenhaft produzierten Analogkäse zum Durchbruch zu verhelfen. Und dann lass die Maus in der Käsevernichtungsfabrik unter die Räder kommen, ehe sie aufgrund ihrer genauen Kenntnisse käsischen Verhaltens doch noch den Häckslern entkommt. Aber was kann eine Maus schon gegen einen Kapitalisten ausrichten, fragst du dich. Die Antwort liegt irgendwo in der Beziehung von Antagonist und Protagonist. Es wird kein Komet einschlagen, der die Fabriken zerstört.
4. Die antagonistische Kraft
Allerdings ist der Antagonist nicht per se eine Person. Vielmehr sollte man sich den Antagonisten als die negative Kraft in deiner Geschichte vorstellen, die sich auf unterschiedliche Weise manifestieren kann. Klar, der Joker ist ein grandioser personifizierter Antagonist (alle Comic-Helden leben davon, außergewöhnlichen, personifizierten Antagonist gegenüberzustehen, siehe Lex Luthor, Loki oder Sandman). Doch was ist mit dem Antagonisten in Dunkirk? In Once Upon a Time In… Hollywood? In weiten Teilen von The Revenant? In Cast Away?
Hier ist der Antagonist entpersonalisiert. In Dunkirk bekommt man nicht einen deutschen Soldaten zu Gesicht. In The Revenant kämpft DiCaprio gegen die Natur. Und in Once Upon a Time In… Hollywood ist der eigentliche Antagonist Charles Manson kaum präsent, sodass die Historie selbst in den Fokus rückt: sehr schlimme Dinge werden geschehen und es gibt nichts, was man dagegen tun kann. Natürlich hat DiCaprios Figur hier noch einen weiteren Antagonisten, nämlich seine eigene Unzulänglichkeit, sein Mangel an Selbstvertrauen und sein Übermaß an Selbstmitleid. Doch auch das sind negative Kräfte am Werk.
Eine dritte Möglichkeit sind personifizierte Wesen, die eine quasi-menschliche Qualität erhalten, weil gegen sie gekämpft wird und ihnen eine Agenda unterstellt wird. Also etwa der weiße Hai in Jaws oder Hal 9000 in 2001: A Space Odyssey.
5. Der Antagonist und die persönliche Hölle
Ein wirkliches Traumpaar erschaffst du nur, wenn der Antagonist deinen Protagonisten bis vor die Tore seiner persönlichen Hölle treibt. Was ist damit gemeint?
Darth Vader hat nicht nur Lukes Vater getötet, wie in Episode 4 behauptet wird. Er ist Lukes Vater oder das, was von ihm übrig ist. Also muss Luke seinen Vater töten, will er den Imperator stoppen. So kommt es nicht, wie wir alle wissen, und dennoch: Darth Vader ist nicht einfach nur ein Sith. Er verkörpert Lukes Zukunft, wenn dieser dem Imperator nicht widerstehen kann. Ohne diesen wohl größten Plottwist aller Zeiten wäre Darth Vader nicht halb so ikonisch geworden wie er es wurde.
Denn damit schickt Vader Luke in die tiefsten Tiefen. In die Verzweiflung. Erinner dich an das Ende von The Empire Strikes Back: Luke hat eine Hand verloren, erfahren, dass sein Vater der dunkle Lord ist und Han Solo wurde in Carbonit eingefroren. Näher kommt ein Held der Hölle nicht.
Nicht immer fällt es leicht, diese persönliche Hölle für den Helden zu identifizieren. Ein Polizist, der um die Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung bemüht ist, wird in einem Verbrecher mitsamt dessen Unrecht und Unordnung einen netten Antagonisten finden. Aber das genügt nicht.
Das bloße Gegenteil ist zu naheliegend, zu gewöhnlich. Ein solcher Antagonist bringt den Protagonisten niemals vor die Tore seiner persönlichen Hölle. Jemand, der etwas Illegales tut, ist noch lang kein Verbrecher. Jemand, der ein Verbrecher ist, ist noch lange nicht das personifizierte Böse. Denn was wäre das für unseren rechtschaffenen Polizisten? Jemand, der Recht und Ordnung nicht nur verletzt, sondern abschafft, ad adsurdum führt. Also ein korrupter Richter oder Politiker. Jemand, mit Macht. Jemand, der das, wofür der Polizist kämpft, nicht nur bedroht, sondern aufzulösen vermag.
6. Zusammenfassung
- Ohne Antagonist keine Geschichte
- Antagonist und Protagonist müssen einander brauchen, sich gegenseitig rechtfertigen
- Ihre Eigenschaften sind oft einander entgegengesetzt, passen wie Schloß und Schlüssel, stehen zueinander in Beziehung
- Übermächtig ist stets nur der Antagonist, der Protagonist hat Schwächen, die mit dem Antagonisten in Verbindung stehen
- Der Antagonist ist eine Kraft, die viele Formen annehmen kann
- Der Antagonist ist und will nicht bloß das Gegenteil des Protagonisten, sondern führt ihn direkt zu dessen persönlicher Hölle
[1] Joseph Campbell (1949). The Hero with a Thousand Faces.
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