Einen aktiven Helden, einen handelnden Protagonisten, den braucht es, hört man oft. Stimmt auch. Aber warum eigentlich? Die Antwort ist so einfach wie erschütternd: Weil ein Held, der nichtst tut und versucht, gar keine Figur im eigentlichen Sinne ist.
Denn wie zeigen wir als Autoren, wie unsere Figuren sind, aus welchem Stoff gemacht, welche Sorte Mensch? Durch ihre Taten. Nicht durch Worte (auch wenn Worte manchmal auch Taten sind, etwa das Ja-Wort vor dem Traualtar – dazu später mehr). Wenn wir also einen Helden schreiben, der nichts tut, dann wird es uns beinahe unmöglich sein, gleichzeitig einen Helden zu beschreiben, der etwas ist.
Figurenzeichnung benötigt Handlung
Die Art und Weise, wie jemand Auto fährt, ist ein gutes Beispiel: Flucht er dabei? Fährt er zu dicht auf? Oder zuckelt er stets 5 km/h unter dem Tempolimit herum? Jede einzelne dieser Verhaltensweisen sagt mehr über eine Figur als es eine ganze Seite biografischer Details jemals könnte. Noch dazu macht es mehr Spaß, das zu lesen oder es auf der Leinwand zu sehen als spröde Fakten (und Infodumping ist ohnehin verboten).
Aber natürlich meint der Ruf nach einem aktiven Helden nicht, dass der Held möglichst viel Autofahren, Kochen und die Wohnung putzen soll. Auch wenn es gerade während der Exposition, also auf den ersten 30 Seiten eines Drehbuchs oder zu Beginn eines Romans, keine schlechte Idee ist, den Protagonisten bei der Bewältigung seines Alltags zu zeigen.
Aktiv im Sinne der Geschichte
Es meint vor allem, dass der Held derjenige sein muss, der handelt im Sinne der Geschichte. Er ist es, der zum Abenteuer gerufen wird (passiv) und er ist es, der diesen Ruf beantwortet (aktiv). Wie er das tut, wann und unter welchen Bedingungen, verrät dem Leser Entscheidendes über den Charakter des Helden. Dass Luke Skywalker ein zögerlicher Skeptiker ist, wissen wir nicht, weil uns ein Erzähler das verraten hat oder wir ihm beim Fernsehschauen beobachtet haben. Wir wissen es, weil er diese Zweifel andauernd durch sein Handeln zum Ausdruck bringt: Weil er den Ruf des Abenteuers ablehnt, weil er beim Training mit Obi-Wan versagt, weil er der Meinung ist, Yoda verlange Unmögliches.
In diesem kurzen Abriss von Skywalkers Heldenreise zeigt sich schon der weitere Verlauf: Die Hindernisse auf dem Weg zum Ziel fungieren immer auch als Etappen der Figurenzeichnung. Wie Skywalker mit dem Hindernis umgeht, Yodas Ansprüche nicht erfüllen und damit seine Ausbildung zum Jedi-Ritter nicht wie geplant abschließen zu können, verrät uns noch mehr über die Figur, spitzt ihre Mängel und Motive zu.
Wir erinnern uns: Skywalker wird ungeduldig, zweifelt an der Macht, und als er den Hilferuf seiner Freunde vernimmt, bricht er entgegen Yodas Rat auf, ohne seine Ausbildung beendet zu haben. Sehr aktiv. Aber auch: unfertig, ungestüm, beratungsresistent. Es wird ihn und seine Freunde in die Katastrophe führen.
Passive Helden sind nervige Helden
Auf Yodas Rat zu hören, wäre nun nicht gleichbedeutend mit einem passiven Helden gewesen. Auch das ist eine aktive Handlung. Aber es wäre eben ein ganz anderer Held, ein vernünftiger, ein ernster, leidenschaftsloser. Ein solcher Skywalker wäre nie in die Versuchung geraten, auf die dunkle Seite zu wechseln. Und deshalb gibt es diesen Skywalker auch nicht.
Wie sähe nun ein passiver Held aus? Das ist an diesem fortgeschrittenen Punkt des Plots schwer vorstellbar, weil bereits so viel Dynamik entstanden ist (seine Freunde sind in Not), aber versuchen wir es dennoch. Ein passiver Held hätte keine Entscheidung getroffen, doch weil die Geschichte ja weitergehen muss, hätte jemand oder etwas anderes ihm die Entscheidung abgenommen. Etwa indem das Imperium auf Dagobah landet, Skywalker entführt und zu seinen Freunden bringt. Oder indem Yoda seine Meinung ändert (aktiv) und Skywalker persönlich in den X-Wing setzt (auch aktiv). Was bliebe in diesem Fall von Skywalker? Nun, er ginge uns wohl ziemlich auf die Nerven.
Auch Worte können Handlungen sein
Nun aber zurück zum Ja-Wort. Denn auch Worte können natürlich Handlungen darstellen, weshalb die geforderte Aktivität eures Helden nicht jeden Sprechakt ausschließt. Aber ihr seht schon: Ein Sprechakt ist etwas anderes als die bloße Äußerung von Worten. Das Ja-Wort ist ein gutes Beispiel für einen solchen Sprechakt, der zwar nichts anderes ist als die Äußerung von Worten, aber gleichzeitig auch viel mehr. Der Unterschied liegt in der Wirkung der Worte, ein Ja-Wort hat etwa rechtliche Konsequenzen.
Auch ein Versprechen kann ein solcher Sprechakt sein. In der 90er-Jahre-Komödie Versprochen ist Versprochen mit Arnold Schwarzenegger verspricht (aktiv) dieser seinem beleidigten Sohn, ihm die begehrte Actionfigur Turbo Man zu Weihnachten zu schenken. Wie Schwarzenegger bald darauf erfahren muss, ist sie allerdings restlos ausverkauft. Hier setzt ein Versprechen also sogar eine ganze Geschichte in Gang, eben weil es dem kulturellen Verständnis nach mehr ist als ein bloßer Satz.
Wäre Schwarzenegger hier bei Worten geblieben, die zwar schön klingen, aber nichts darüber hinaus bedeuten, weil sie keine Implikationen für die Gegenwart oder Zukunft haben, wäre keine Geschichte entstanden. „I love ya, son!“ bedeutet nichts in diesem Sinne. Schockierend, ich weiß.
Passivität als Charakterzug?
Aber so ist das mit schönen Worten. Seinem Sohn zu sagen, dass man ihn liebt, ihm den Kopf zu tätscheln, ist wichtig im echten Leben. Und auch in der Fiktion kann das eine wichtige Geste sein. Aber es ist keine aktive Handlung. In Schwarzeneggers Fall wäre es gar nur eine faule Ausrede eines miserablen Vaters. Denn es folgt nichts aus ihr. Sie ist reines Sedativum. Für den unzufriedenen Sohn, und für den Zuschauer.
Damit betreten wir weiteres unsicheres Gelände. Verrät nicht auch Passivität viel über eine Figur? Sicher. Aber Passivität hat eine natürliche Grenze: Wenn der Held einmal nichts tut, nicht reagiert, ist damit ausgedrückt, dass er eben ein Drückeberger ist, oder einfach desinteressiert an seiner Umgebung. Und dann? Tut er auch beim zweiten guten Anlass nichts, was fügt dies seinem Charakter hinzu?
Deshalb gibt es keine passiven Helden. Nur zögerliche, zweifelnde, ängstliche, immobile und so weiter. Skywalker ist das beste Beispiel: In Episode 4 ist er keineswegs ein zupackender Optimist. Er verweigert sich dem Ruf des Abenteuers. Erst als seine Eltern sterben, bricht er auf in die galaktischen Weiten. Seine Ausbildung zum Jedi beginnt er, aber zweifelt an sich und an der Macht. Dann vertraut er doch auf sie, ehe er auf Dagobah erneut an seine Grenzen stößt. Es ist dieses Auf und Ab, dieser Wechsel zwischen Passivität und Aktivität, der eine Figur wie Skywalker trotz allen Zögerns funktional hält, der die Geschichte vorantreibt, der Skywalkers Charakter immer komplexer und dramatischer werden lässt.
Aktive Helden ermöglichen erst ein Finale
Das führt uns zur letzten Pointe: Gegen Ende der Star-Wars-Trilogie steht alles auf dem Spiel: Wird Skywalker es endgültig schaffen, der Macht zu vertrauen? Oder der dunklen Seite verfallen? Wäre Skywalker passiv geblieben, und immer nur zu seinem Glück gezwungen worden (von Yoda, vom Imperium), dann würden sich diese Fragen gar nicht stellen. Warum sollten wir dann glauben, es könne diesmal anders ausgehen und unser Held selbstbewusst zur Tat schreiten? Nur ein aktiver Held wirft finale Fragen auf.
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